Ergänzungsblätter Nr. 1 bis Nr. 15, Steyr 1848

Sero Ergänzungsblatt der „wanglosen Blätter. : Steyr den 28. Mai 1848. Neuestes aus Wien. Wir beeilen uns unserm verehrten Leserkreise die neue¬ sten Berichte mit dem Bemerken mitzutheilen, daß wir in der gründlichen Betrachtung unserer Zustände, und in der Entwickelung des Bedürfnisses unserer Tage in der nächsten, wills Gott ruhigeren Stunde mit derselben Be¬ stimmtheit, Offenheit und Ehrlichkeit fort¬ fahren werden, um derer Willen uns unsere Feinde am meisten feind sind. Lieber Sohn!*) Nachdem hier 8 Tage so ausgezeichnete Ruhe herrschte, kam gestern ein Placat von Colloredo Mansfeld, dem Com¬ mandanten der Garden: “die Studenten sollten sich binnen 24 Stunden erklären, ob Sie sich auflösen oder nicht., Ein Nein bestimmt ihm mit Vergnügen ferner der Com¬ mandant zu sein, ein Ja dagegen seinen Rücktritt. Da die Studenten vielleicht den größten Theil der Bewohner für sich haben, so erregte dieses Placat eine üble Stimmung. Als ich heute Früh ½ 9 Uhr von der Vorstadt bei der Salzgrieß Caßerne vorbei ging, stund das Militär bereits unter Waffen, und der Salzgrieß war voll bespannter Kanonen. Um 10 Uhr waren alle Gewölbe gesperrt, und sämmtliche Stadtthore. Jetzt 11 Uhr sind bereits in den meisten Straßen Barricaden aufgerichtet, wovon die nächste unten am hohen Markt, dann der Woll¬ zeile ist. Das Pflaster ist aufgerissen, das Militär besetzte die Universität, mußte sich aber wegen eines alten Rech¬ tes, (daß kein Soldat die Universität betreten darf) zurück¬ ziehen. Das Rothenthurmthor wurde von den Arbeitern eingeschlagen, ein Bürger erschossen, das Militär soll vor die Thore hinaus, die Bürger bewachen die Thore. Das unerwartete Einschreiten der Militärsmacht erregte Ent¬ rüstung. Am Hof steht ein ganzes Bataillon mit Kanonen dennoch. Viele noble Damen arbeiten bei den Barricaden und tragen Steine zu, zwei darunter mit Gewehren, Voiles und feinen Hüten. Alles ist für die Studenten. Es sieht fürchterlich aus, dennoch glaubt man ein wider¬ rufendes Placat besänftige Alles wieder. So eben ziehen eine große Menge unserer Barrica¬ den =Männer mit Werkzeugen in der Wipplingerstraße durch. Die Häuser an den Barricaden sind mit Pflaster¬ steinen und Ziegeln versehen, welche Hand in Hand, Stock zu Stock gereicht werden, um das Militär wenn es nicht abzieht, zum Abzug zu zwingen. Jetzt wird eine Barricade zur Sperrrung der Tuchlauben beim Polizeihaus errichtet. Nationalgarden ziehen durch die Straßen. Ich schreibe im Caffe, vis à vis von meinem gesperrten Ge¬ wölbe, bei geschlossenen Balken, nur das Hausthor ist *) Brief eines allgemein geachteten Kaufmannes zu Steyr, aus Wien. halb offen. Nationalgarden ziehen in Massen um die Thore zu besetzen, und das Militär zum Abzug zu bewegen. Zieht das Militär ab, so ist vielleicht wieder Ruhe welche ge¬ wiß nicht gestört worden wäre, wenn dieses nicht ausge¬ rückt wäre. So eben wird an der Schrane publicirt; die Studenten sollen ihre Waffen behalten, als Staatsbür¬ ger anerkannt und gemeinschaftlich mit den Bürger=Garden zur Herhaltung der Ordnung hinwirken. Wieder werden Höl¬ zer zu Barrikaden um ½ 12 Uhr gebracht. — So eben sprengt ein Garden=Offizier mit weißem Tuch durch die Strasse. Die Legion besteht, alles bleibt beim alten. — Jetzt erschallen Vivats! Das Militär hatte Befehl zum Ausrücken ohne daß es Je¬ mand nicht einmal der Sicherheitsausschuß, neu kreirt, wußte; nun muß es heraus wer diesen Verrath¬ zeigenden Befehl ertheilte. Alles wirkt hin zur Herstellung der Ordnung, und man hofft Ruhe. — Jetzt 3 Uhr ziehen Wachen und Garden von Fünfhaus und entlegnen Vor¬ städten herein. Ein Gardist gab mir dieses Placat von seinen Czako herab: Das Fortbestehen der akade¬ mischen Legionen im Sinne des kaiserl. Er¬ lasses vom 14. April. Die Polizei vor der Schrane mußte so eben die Ge¬ wehre abgeben. Bei allen dem scheinbare Ruhe, vielleicht auch wirkliche. Der Barricaden=Bau dauert indessen fort. Niemand verkenne in den Provinzen den guten Sinn der Wiener, aber schändlich gereizt empören sie sich. Gerade jetzt ist die ganze Wipplingerstraße voll Garden. — Es wird vorgelesen — Vivat! — Ich schließe jetzt 3 Uhr, obwohl man glaubt die Post geht heute nicht weg. d. Wien, 22. Mai. Der Kaiser langte Donnerstag Nachts 12 Uhr in Salzburg an. Erst dort kauften er und die Kaiserin sich Mäntel, denn sie waren noch immer in den Spazierkleidern. In ihrer Begleitung befand sich Graf Bombelles. Lassen Sie diesen Namen mit hervorstechenden Lettern drucken. Die Herrschaften blieben nur bis 3 Uhr, und gerade beim Herabgehen aus dem Gasthof zum Schiff traf auf der Stiege die nacheilende Deputation aus Linz ein, und stellte die dringende Bitte, dorthin zurückzukehren. Se. Majestät lehnte die Zusage bestimmt ab, indem er längst den Tiro¬ lern einen Besuch versprochen habe. Zwei Stunden nach der Weiterfahrt langten die Grafen Hoyos und Wilczek aus Wien an, die noch glücklicherweise die vom Grafen Bombelles diktirte Proklamation zurückhielten, und den Druck sistirten. Darin soll stehen: „daß Se. Maj. durch ein Attentat auf Se. geheiligte Person bewogen worden sei, aus Wien zu flüchten!“ Graf Bombelles soll übrigens der Linzer Deputation gesagt haben, daß sich dieser Theil

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