Zwanglose Blätter, Nr. 82, vom 30. Dezember 1848

340 entfernte Meer führt eine Kettenbrücke über den Fluß welche 1832 erbaut wurde und die erste war, die man in Italien ausführte. Hat man sie überschritten, so hat man Campanien hinter sich und ist in Latium; man be¬ tritt die Via Appia, die regina viarum. Der Weg bleibt dem Meere ziemlich nahe, und lauft zwischen Feldern und umzäunten Grundstücken hin, deren Umfassung riesige Cactus und hohe Agaven übertragen. Links erblickt man Ruinen eines Aquaducts, eines Theaters, eines Amphi¬ Theaters — Reste des alten Minturnä, in dessen Nähe einst im Schilf der Sümpfe sich Marius vor Syllas Sol¬ daten verborgen hielt. Rechts in einiger Entfernung zie¬ hen sich sanft ansteigende Höhenreihen hin. Eine eigen¬ thümliche Stille ruht über dem tief dunklen Grün der Gegend. Der Sonnenuntergang machte diese in der That wun¬ derbar schön. Denn von der Appischen Straße, deren leichten graziösen Windungen man folgt überblickt man den ganzen Golf von Gaeta, siebt nach der Seite hin, woher man kommt, über den Meeresspiegel die duftig blauen Umrisse der Inseln vor Neapel aufschimmern, und vor sich links die weit in's Meer vorspringende Felsen¬ kuppe von Gaeta, unten am Strande die weißschimmern¬ den Häuser, die Masten, die Schiffe oben die Vesten, Kloster= und Schloßgebäude. Auf den wie ein leichter Hauch über den Golf geworfenen Purpurtinten, die sich näher dem Gestade in das prachtvollste Kornblumen=Blau verlieren, stehen weiße schimmernde Segel zahlreicher Fi¬ scherbarken, die so unbeweglich dastehen wie die träumen¬ den weißen Wolkenflocken am Sommerhimmel, als woll¬ ten sie nichts sein, wie eine Staffage in dem wunderbar schönen Gemälde, welches das Auge überfliegt. Je tiefer die Sonne sinkt, desto schärfer schneiden sich die Linien welche die Umrisse von Gaeta bilden, am Himmel ab, desto phantastischer, größer, lockender wird diese, wie aus blaugrauen Wolken an den rosenrothen, glühenden Hori¬ zont aufgebaute Stadt. Der Weg führt zuerst nach Mola di Gaeta; hinter diesem Städchen zweigt sich von der Chaussee nach Terra¬ cina die Straße ab, welche dem Meere treu bleibt, und nach Gaeta führt. Bei einem Flecken Castellone di Gaeta, an dem man vorüberkommt, war die Villa Ciceros; ein altes Bauwerk wird als sein Haus bezeichnet. Gewiß ist nur daß Cicero hier in der Nähe den Todesstreich von Popilius Cänas empfing, als er in einer Sänfte von seinen „Formianum,“ wie er seine Villa nannte, geflohen war, und unweit der Küste von den Schergen des Anto¬ nius erreicht wurde. Eine hohe Ruine heißt la Torre die Cicerone scheint aber zu diesem in keiner Beziehung zu stehen. Aber nicht allein an das unglückliche römische Stylmuster, das uns in unseren jungen Jahren so viel zu schaffen gemacht hat, erinnern diese Gestade, wie Min¬ turnä an Marius, sondern auch an unseren unglücklichen Hohenstaufen Conradin, der unweit von hier durch Fran¬ gipani, den Gebieter von Astura, gefangen und verrathen wurde. Gaeta selbst taucht nun dicht vor uns auf mit seinen Citronen= und Orangengärten, zwischen denen hier und da der Wipfel einer Palme sich bewegt; denn da die Stadt ganz dem Süden zugekehrt ist, und wie eine schützende Mauer die Felsen, an welche sie sich lehnt, sie umgeben so ist das Klima außerordentlich südlich — Gaeta ist eigentlich die erste ganz südliche Stadt Italiens. Die ma¬ lerisch gruppirten Häuser und die imponirenden Bauten an und auf der Felsenhöhe über der Stadt, welche Terassen mit einander verbinden, alles das von dem herrlichen Spiegel des Golfs zurückgeworfen, bildet einen entzückenden Anblick. In den Strassen fällt die Tracht der Gaetanerinnen auf; ihr mit farbigem Bande durchflochtenes Haar ist meist fast hellbraun, was sie von den andern Italienerinnen unter¬ scheidet, und ihre durchgehende Schönheit erinnert den Rei¬ senden daran, daß er eine Stadt betreten, die zu Ehren einer Frau gebaut wurde — einer Frau, von deren Schön heit man freilich nichts Bestimmtes mehr weiß, denn sie ist schon sehr lange todt — es war Cajeta, die Amme des frommen Aeneas. In und bei der Stadt sind Ruinen eines Theaters, eines Amphi=Theaters, eines Neptun=Tempels und der Villen des Scaurus und des Haerian zu sehen. Gaeta hat ein wohlhabendes Ansehen und ist ziemlich stark be¬ völkert (12,000 Einwohner,) und der schöne Hafen, wel¬ cher noch ganz derselbe ist, wie die Alten ihn benutzten, umschließt eine Menge kleinerer und größerer Fahrzeuge. Dieser Hafen hat der Stadt auch große Wichtigkeit gege¬ ben, welche sie in der Kriegsgeschichte behauptet. Alphons von Arragen ließ sie zuerst befestigen (1440,) und Karl V erweiterte diese Fortificationen. Wenn man aus der unteren Stadt den über Terrassen sich die Felsenhöhle hin¬ aufschlängelnden Weg ersteigt, hat man rechts das Castell oder die Citadelle, eines jener ausgezeichneten Werke der spanischen Kriegs=Baukunst, die man auch in Neapel be¬ wundert. Dieses Castell wird überragt von einem pitto¬ resken Thurme, welcher der Thurm Roland's genannt wird, aber eigentlich das Grabdenkmal des Lucius Muna¬ tius Plancus ist. Im Innern zeigt man das Grab des Connetabels von Bourbon. Mehr links zeigt sich das königliche Schloß, ein Gebäude aus dem siebenzehnten Jahrhundert, mit Altan und Säulen, welches sich an eine sanft aufsteigende Gartenanlage lehnt und jetzt die Residenz Pius IX. ist, nachdem er einen halben Tag lang nach seiner Ankunft in Gaeta im „Hotel del Giardinetto“ gewartet hatte, bis der unschlüssige Cammandant durch den Telegraphen sich seine Weisung aus Neapel geholt, ob er den Papst aufnehmen und überhaupt in Gacta wei¬ len lassen dürfe. Noch mehr zur Linken, tiefer am Berg herab, liegt ein Franziskaner=Kloster und da, wo der ganze Felsenrücken steil in's Meer sich absenkt, ein zweites klei¬ nes Festungswerk. Seine kriegerische Ehre hat sich Gaeta besonders im Jahre 1702, wo die Oesterreicher es belagerten, 1734 wo die Franzosen, Spanier und Sarden, 1806, wo die Franzosen, und 1815, wo wieder österreichische Truppen es angriffen, erworben. Gaeta ist Bischofssitz und der Bischof unter den libera¬

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