Zwanglose Blätter, Nr. 71, vom 18. November 1848

296 zugleich ein Trauerhaus für das Volk. Inmitten von Gärten, Alleen, Kirchen, Springbrunnen, Wasserfällen und Statuen erhebt es sich stolz und steinern, und über¬ blickt die niedrigen Häuser der Stadt und der Dörfer im Lande — deren Besitzer es einst gebaut haben. In diesem Schlosse wird die Reichsversammlung tagen. Der soge¬ nannte Lehrsaal wird zu ihren Sitzungen eingerichtet dort wird sie durch die Kamarilla ihre Instruktionen er¬ halten. Es wurde mir versichert, man wolle die Depu¬ tirten mit aller Humanität behandeln. Eine Restauration wird eingerichtet, wo sie sich ein paar Stunden des Tages frei unterhalten können, dazu ein paar Billards, selbst ein Fortepiano — sogar ein paar Zeitungen sollen ihnen gehalten werden. So werden unsere Volksvertreter den Winter ganz erträglich verdehnen, und wenn es wieder einmal Frühling wird, und einmalwirdeswieder Frühling, wenn wieder alle Zweige knospen im März und der frostige Nordwind der aristokratisch kalte, der uns jetzt so rauh begrüßt, nicht mehr im Stande sein wird auch nur einen Keim zurückzudrängen, wenn die Bäume im erzbischöflichen Garten zu Kremsier wieder grünen, die Brunnen springen Bäche, Ströme, Alles seine Fesseln gesprengt hat und sich erfreut der angeborenen Freiheit, wenn die Nachti¬ gallen schlagen Tag und Nacht in allen Hecken, wenn die blauen Veilchen thaubetropft aus dem Grase heraufschauen, als hätten sie sich noch nicht satt geweint über den Tod und die Schmach, die der letzte Herbst so reichlich über Deutschlands Jugend geschüttet, wenn alle Gräber im Friedhof und auf der Haide voll Blumen prangen, wenn Der Wiener Zuschauer Um den Lesern dieses Blattes ein Beispiel zu geben, wie hundemäßig manche Subjekte vor den Machthabern des Tages in Wien kriechen, will ich hier einige Stellen aus Nr. 170 des Wiener Zuschauers anführen, die aus der Feder eines Mannes (?) geflossen zu sein scheinen, der an politischer und an Bildung des Herzens mit dem Min¬ desten unserer seressanischen Befreier auf einer Stufe zu stehen scheint. Zuerst behauptet der Zuschauer, die Aufgabe des Reichs¬ tages sei lediglich gewesen: die Konstitution zu ent¬ werfen! Stolz auf diesen österreichischen Landsmann frage ich den König von Preußen: wie klein ist ihre Er¬ findung des „Vereinbarens“ gegen des Zuschauers „Entwerfen.“ Der konstituirende Reichstag hat lediglich die Konstitution zu entwerfen! Der konsti¬ tuirende Reichstag ist der Stylist des Vaterlandes, der Hofkonzipist Sr. Majestät des Kaisers, oder wenn man lieber will, des Ministeriums, oder wenn man noch lieber will, der Hofkonzipist von — wem immer! Der Reichs¬ tag entwirft, der — „wer immer“ prüft, verbessert (?) streicht, setzt hinzu — gibt das Konzept zurück, der Reichs¬ tag schreibt es dann in's Reine — und das Volk hat konstituirt! Aber wie kommt es denn, daß der Reichstag plötzlich nur mehr eine so geringe Aufgabe zu lösen hat, das vergessenste Grab auf dem Schindanger ein Sänger auf Gotres Geheiß verherrlicht — die Lerche, der Vogel des Frühlings und der Freiheit — ja dann!? Siegern baut man Triumphpforten aus Lorbeer¬ zweigen — über die Morava führt eine Kettenbrücke über diese Brücke wird der Reichstag einziehen in Krem¬ sier — füge es Gott, daß wenn er heimkehrt in das ge¬ liebte Wien, des Volkes üppige Lorbeeren ihm den Anblick aller Ketten ersparen. Warum wurde der Reichstag nach Kremsier verlegt? Nach den Worten des Kaisers: weil in Wien das Gesetz nicht mehr herrschte, und der Reichstag nicht mehr frei berathen konnte. Warum wendete man gegen Wien so schonungslos alle militärischen Gewaltmaßregeln an? Weil man nur so das Gesetzzur Herrschaft bringen konnte! Ist Wien von der Militärgewalt bezwungen worden? Ja — schonungslos! Herrscht jetzt das Gesetz wieder und kann der Reichs¬ tag frei berathen? Die Antwort auf diese Frage ist ein Urtheilsspruch. Lautet sie „nein“ — wozu dann diese Ströme Blutes, diese zahllosen Verarmungen, wozu die Anwendung eines schrecklichen Mittels, das nicht zum Ziele führte, nie zum Ziele führen konnte? Lautet aber die Antwort „ja.“ Warum besteht man noch darauf, daß die Reichsver¬ sammlung in Kremsier tage? Aler. Jul. Schindler. in seiner neuen Glorie. da ihm doch das Einberufungspatent eine ganz andere und größere stellte? Das erklärt der Wiener Zuschauer durch folgende Stelle: „So lange die Verfassung nicht urkund¬ lich vorliegt, ist der Kaiser absoluter Monarch, wenn Er*) will! Nach Durchlesung dieses Satzes war es mir, als hätte ich einen Sklaven seine Peitsche küssen sehen. Es thut aber Noth, ohne alle Leidenschaft¬ lichkeit jenen Satz zu betrachten. Wir befanden uns in den Märztagen auf dem Boden der Revolution. Der Kaiser bot die versöhnende Hand und sicherte sich auf's Neue Herrschaft und Liebe durch das klare Versprechen, sogleich aufzuhören ein absoluter Regent zu sein (in Folge dieses Versprechens schrieb er sich auch sogleich und seither ununterbrochen „konstitutio¬ neller Kaiser“) und durch freigewählte Volksvertreter dem Staate im Einklange mit diesem Titel eine Verfassung zu geben. Würde also der Kaiser seinem Versprechen un¬ treu und wollte er auf die Stelle zurücktreten, auf der er am 13. März stand, wollte er wieder absoluter Kaiser wer¬ den, was ich übrigens nicht voraussetze, so schiene mir wohl auch das Volk im vollen Rechte, wenn es sich wieder so hin¬ stellte, wie es im März stand, und auch das würde, war *) Dieses „er“ ist im Wiener Zuschauer wirklich mit einem großen Anfangs buchsstaben gedruckt!

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