Steyrer Wochenblatt, Juni 1945, Blatt 1

Steyrer Wochenblatt Männer und Frauen an die Arbeit! Das Staatsamt für soziale Verwaltung richtet folgenden Aufruf an die Bevölkerung: Die provisorische Staatsregierung und die Parteien des neuen Oesterreich haben bereits zu wiederholten Malen die Männer und Frauen zur Mitarbeit der Wiederaufrichtung unseres freien Gemein¬ wesens und zum Wiederaufbau unserer Wirtschaft aufgerufen. Diele sind diesem Rufe schon in den ersten Tagen willig nachgekommen und haben oft unter den schwierigsten Bedingungen die Arbeit auf ihrem alten Arbeitsplatze wieder ausgenommen. Allen Schwierigkeiten zum Trotz wurden schon auf manchen Gebieten, so vor allem bei der Gas¬ Wasser= und Brotversorgung, bei den Straßenbahnen usw., sehr an¬ ehnliche Leistungen vollbracht. Wenn in der Zwischenzeit nicht noch mehr zum Wiederaufbau geschehen ist, so ist dies vor allem darauf zurückzuführen, daß ein Großteil der arbeitenden Bevölkerung durch die Kriegseinwirkung chwer mitgenommen wurde und infolge seiner persönlichen und fami¬ liären Verhältnisse (Wiederinstandsetzung der beschädigten Wohnung Uebersiedlung und Ordnung des Haushaltes sowie ähnliche Umstände) vorerst noch an der Wiederaufnahme seiner Berufstätigkeit gehindert war. Es möge aber jeder bedenken, daß der begonnene Wieder¬ aufbau ganz wesentlich von der Mitarbeit jedes Einzelnen ab¬ hängig ist und daß sich auch die Lebensbedingungen jedes einzelnen Staatsbürgers um so rascher bessern, je schneller der Wiederaufbau des gesamten Wirtschaftslebens vor sich geht Es ist begreiflich, daß es bei dem derzeitigen Notstand unseres neuen Staates nicht jedem einzelnen überlassen bleiben darf, ob und auf welchem Arbeitsplatz er seine Arbeitskraft zur Versügung stellt. Es muß vielmehr von staatlicher Seite her dafür gesorgt werden, daß jeder, dem die Verrichtung von gecegelter Aebeit zumutbar ist, dort eingesetzt wird, wo er unter Berücksichtigung seiner Ver¬ wendbarkeit heute am wichtigsten benötigt wird. Dies festzu¬ stellen, ist Aufgabe der staatlichen Arbeitsämter, die ihre Tätigkeit bereits ausgenommen haben. Bei diesen werden einerseits alle offenen Arbeitsplätze von den Arbeitgebern angemeldet, anderseits haben sich dort alle arbeitsfähigen Arbeitnehmer, so¬ weit sie noch nicht tatsächlich im Arbeitsverhältnis stehen, zu melden. Die abgetretene Naziherrschaft hat uns ein aus tausenden Wun¬ den blutendes Land, eine zertrümmerte Stadt, eine vollständig dar¬ niederliegende Wirtschaft hinterlassen, die nun wir, wir ganz allein aufrichten und in Gang bringen müssen, Daher haben alle, restlos alle arbeitsfähigen Männer und Frauen, unbeschadet ihrer Dorbildung oder ihres erlernten Berufes, mit Hand anzulegen wer jetzt nicht mithilft, kennzeichnet sich als Mensch, der weder mit Oesterreich fühlt, noch denkt, noch Oesterreich helfen will, und scheidet damit selbst aus der Gemeinschaft der Gesitteten aus und wird in Zukunft nach dem Grundsatz: „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“, behandelt werden müssen. Fest überzeugt, daß die Jahl derer, die nur unter Zwang sich dem Wiederaufbau wicmen wollen, gering ist, fordern wir die groß Masse der Arbeitsfreudigen auf, sich bei den Arbeitsnachweisstellen zu melden und mit Freude, Eifer, Ausdauer und Energie die harte Arbeit im Interesse unseres neuen Oesterreich zu beginnen. waren.Die Transporte gehen weiter. Das Hunger gespenst für Wien ist gebannt. Verzicht der höheren Geistlichkeit. Das erzbischöfliche Ordinariat Wien übermittelt uns folgende Erklärung Sr. Eminenz des Herrn Kardinals Dr. Theodor Innitzer: „In der großen Lebensmittelaktion des Marschall Stalin wurde die höhere Geistlichkeit in die Gruppe der am besten be¬ dachten Schwerarbeiter eingereiht. Wir sind aufrich¬ tig dankbar für die darin enthaltene Bekundung der Seite 2 Das Hungergespenst für Wien gebannt! Lebensmittelaktion für Steyr in Vorbereitung. Die großzügige Lebensmittel¬ aktion Marschall Stalins bildet für Wien noch immer das Tagesge spräch. Unglaublich erschien es Vielen, daß angesichts der ungeheuren Ar¬ beit, die von zuständigen Stellen zu bewältigen war, eine Woche nach der Botschaft den Worten die Tat folgen sollte. Und doch wurde dies ermöglicht. Zunächst hat der Stadt¬ kommandant Gen.=Leutn. Blago¬ datow, auf dem Gebiet der Frie¬ denspolitik einen Erfolg erzielt, der ohne Übertreibung den militärischen Erfolgen der Roten Armee als eben¬ bürtig an die Seite gestellt werden kann. Durch die Maßnahmen zur gerechten und raschen Verteilung der Lebensmittel hat der Stadtkomman¬ dant mit Schnelligkeit und Energie dazu beigetragen, den Entschluß Marschall Stalins in die praktische Tat umzusetzen und das von Hungers¬ not bedrohte Wien vor einer Ka¬ Binnen tastrophe zu bewahren. 48 Stunden wurden Riesenmengen an Lebensmittel über alle Wiener Bezirke verteilt, die uns auf Stalins zur Verfügung Wunsch gestellt wurden. Hundert große russische Miltärautos und Transportwager kamen in Kolonnen und fuhren bis dicht an das Donauufer heran. Am Kai lagen zwei unförmige Donau schlepper. Aus dem Bauche hober mächtige Krane Tonne um Tonne Es wurden 120 Tonnen ausgeladen, man hofft es auf 150 Tonnen zu steigern Heute leben in Wien unge¬ 1,500.000 Menschen. fähr Ein Bild von der Lebens mittelmenge, die Rußland der Wiener Bevölkerung für die ärgste Zeit zur Verfügung stellt, bekommt man, wenn man zum Rechenstift greift. Nehmen wir nur eine durchschnittliche Brot menge von 300 Gramm pro Tag und Person an so sind täglich 450.000 Kilogramm Brot notwendig das entspricht einem Güterzug mit ungefähr 50 Last¬ wagen. Die Tagesration an Grütze beträgt für Wien etwa 60.000 Kilogramm. Dazu werden noch durch¬ schnittlich 45.000 Kilogramm Fleisch, 30.000 Kilo¬ gramm Zucker 15.000 Kilogramm Fett benötigt, um nur die wichtigsten Lebensmittel zu erwähnen Die Versorgung einer Millionenstadt mit Lebens¬ mitteln innerhalb weniger Tage ist eine gewaltige Leistung, die man erst richtig würdigen kann, wenn man bedenkt, welche Schwierigkeiten zu überwinden

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