Veröffentlichungen des Kulturamtes, Heft Dezember 1950

jchlußgitter gesprochen, worauf einer der Bürger sich eines solchen rechteckigen Gitters entsonnen, das im Dachboden seines Hauses als Verkleidung einer schadhaften Kaminmauer diente. Man sei auf diese seltsame Weise der verloren geglaubten kostbaren Eisenschnittarbeit auf die Spur gekommen und habe das vergoldete Gitter nach sorgfältiger Reinigung wieder seiner ursprünglichen Bestimmung zugeführt. Wer vom Einheitsgedanken der späten Gotik weiß, ist nicht überrascht, so wie die Bekrönung des Sakramentenhäuschens auch die Gestaltung seiner Gittertür der Formensprache des Bauwerkes entnommen zu sehen. Aber wie unnachahmlich vollendet und rißlos sind hier verschiedene Werkstoffe und Kunstformen, Stein und Stahl, Bauplastik und Ornament dieser Einheit eingeordnet! Was die Füllungen der geschweiften Spitzbogen des Türmchens als Schmuckmotiv unter anderen Zierformen vortragen — jenes spitzenhaft zarte Maßwerk nämlich — gelangt als Fries unmittelbar über der Gittertür zur vollen Geltung und bereitet auf diese Weise sorgfältig auf die ausschließliche Herrschaft der Maßwerkornamente in den sechs Feldern der Gittertür vor. Aber auch das geschieht nicht übergangslos! Die sechs Ornamentfelder werden von Eisenrahmen eingefaßt, die —- kerbschnittartig — das Maßwerk des Frieses übernehmen und, der Geschlossenheit der Türfelder entsprechend, umbilden. Und dieses nun als Reihe herrschende Vierblatt-Motio, dessen Rhythmus nur an den Kreuzungsstellen der Einfassung durch eine reichere und quergestellte Variante unterbrochen und verankert wird, klingt in den verschiedenen Maßwerkornamenten als Teilmotiv noch nach, sich jetzt freilich anderen Formgesetzen beugend! Wer diesen Wirkungen formenden Geistes nachspürt, begreift die überquellende Begeisterung des jungen Goethe angesichts des Straßburger Münsters. Abermals stand zu jenen Zeiten die Baukunst auf einem Gipfel. E i n Geist durchflutete das Ganze und das Einzelne, und eine Steigerung war nicht mehr denkbar. Rur ein entschlossener Verzicht und der Wille, auf eine gänzlich andere Weise von vorne wieder zu beginnen. Das tat die Renaissance. Sie setzte für den gotischen Drang ins Unendliche das Bekenntnis zur Erde, für die fliehende Zeit den satt in sich ruhenden Raum, für die geistige Durchstrahlung die Schönheit irdischer Formen. Denn das harmonische Weltbild der Stauferzeit war längst zerfallen und der Einseitigkeit des Geistes mußte die Einseitigkeit der Sinne folgen. Wie durchgeistigt die Gotik ist, spricht schon aus ihrer Neigung für geometrische Durchformung des Bauwerkes, die sich in verwickelten Systemen auslebt und deren Art die einzelnen großen Bauhütten (Straßburg, Wien, Zürich, Köln) kennzeichnet. Die Seiten der Sakramenthaus-Gitter- tür, die wir eben betrachten, stehen genau in dem Verhältnisse 1 :2, die Seiten jedes der sechs Ornamentfelder im Verhältnisse 2 : 3. Man ist geneigt, sich musikalisch auszudrücken und zu sagen, daß eine Unterteilung des Oktavfeldes durch den reinen Quintton vorliege, worauf sich die 8

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