Steyrer Tagebuch, Sondernummer Wehrgraben, 1982-1983

Meinungen Ich komme von der Ennsleiten . Endlich bin ich den Straßen mit den neuen, hohen Häusern entkommen , den Straßen , an deren Rand viele Autos stehen - einer häßlichen, blechernen Schlange gleich . Ich hleibe jetzt auf der Brücke, die die Steyr in Richtung Michaelerkirche überspannt , stehen . Ich schaue gegen die Sonne ; ihr Licht wird durch eine clünne h'olkenschicht gecfamoft es herrscht eine eigenartige Stimmung . Der Horizont zeigt sich heute sogar im mattem Gelb und Violett ; es erinnert mich an ein P.eschmackl oses Rild im Schlafzimmer meiner GFoßmutter . Ich fühle mich nervös . Ich spüre, daß etwas in mir zum V!ei tergehen drängt . F:s i.st kiihl , ein kalter Luftzug zieht mir vom ~!asser her entgegen - trotzdem schwitze ich . Mir ist kalt in clen Händen , noch· ich füh l e den Schweiß in den Handlächen . Es herrscht ei.ne ungehöre Spannung . Ich gehe weiter . Dabei kommt. mir vieles in den Sinn . Jemand grUßt . Ich mache keine Anstalten , Antwort zu geben . Während des Dahingehens richte ich mei.nen Blick auf den schmutzigen Asphalt . Manchmal ertappe ich mich dabei , daß ich anfange , etwas auf dem Boden zu suchen . Jetzt die Str aße bergab ich habe die Badgasse erreicht, ~ich verschluckt die Dunkelheit , der Mantel der Anonymität der Maximbesucher . Zu diesen engen , dunklen Gassen habe ich ein l änd l iches Verhältnis . Jedesmal entdecke ich e t was Neues, noch nie Gesehenes . Nun überquere ich den l·!ehrgraben. Noch immer fühle ich eine Spannung . Eine Aufregung , wie ich sie beim ersten Treffen mit einem Mädchen empfunden haben . Ich sehe ~her den Wehrgraben nich zum ersten Male, und doch kenne ich ihn noch nicht ; werde ich die vielen Einzelheiten und seine zahlreichen •acetten auch nie kennenlernen . Ich bleibe stehen und merke, wie sich die •.~ogen der Spannung glätten . Ich werde ruhig - ahne langsam . ~eine Augen suchen di.e Fassaden rechts ab .. GieriP. verschlinge ich diesen Anblic~ . Die Sonne taucht die Gebäude in ein oranp,efarbenes Licht . Ich sauge diese ruhige Stimmunp, auf , blicke den Hang hinauf ; die Häuser scheinen endlos hoch zu sein . Ich fühle mich leicht, werde von meinem Blick hochgezogen . Alles kommt näher . Das leise Murmeln und Winseln des Gerinnes hilft mir , frei zu werden, alle Termine und Verpflichtungen zu vergessen . Ich steige die Fassaden empor, wage einen kurzen Blick in kleine Fenster . Ich betrachte traurig die renovierungsbedürftigen Hauswände . Ich saufe mich mit diesen F:inctriicken an , wie ein trockener morscher Baumstrunk sich mit Wasser vollaufen läßt . Jetzt fühle ich mich satt und ein bißchen mlide , doch wollige Wärme umgibt mich . Das Geräusch des Gerinnes hiillt mich in einen Mantel von Geborgenheit . Diese Begegnungen mit dem Wehrgraben verleiten mich immer zu Vergleichen . Sie erinnern mich an ein zusammenkommen mit einer Freundin : Zuerst herrscht Nervosität, dann rücken wir zusammen und fühlen uns geborgen . Danach folP,t manchmal eine Meinungsverschiedenheit, und dann muß jeder wieder irgendwohin hasten . Ich habe das Gefühl zu schweben . Doch langsam tauche ich aus der Träumerei auf. Der Mantel der \•lärme und Geborgenheit entgleitet mir . Ich muß wieder gehen . Plötzlich werde ich wütend, weil mir die Ideen unseres Bürgermeisters in den Sinn kommen . Zuschütten• Ich beschleunige meine Schritte . Bald werde ich wieder von den Str aßen , wo ich mich eingesperrt fühle, "empfangen" werden . Ich werde wieder vergeblich Unterschiede zwischen den einzelnen Hauswänden suchen . ll'ichae) Hofer , BG-\~erndlpark, 6 . - Klasse

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2