Steyrer Tagebuch - Sondernummer zum 12. Februar 1934

Not brachte die Arbeiter zum Nachdenken und damit - den Umständen entsprechend - zu sozialistischen Ideen. (Brandl) Ein "Arbeiter-Bildungsverein" wurde in Steyr schon 1869 geschaffen, an seine Stelle trat 1877 der "Allgemeine Arbeiter– Verein für Steyr und Umgebung", der aber 1881 wegen "Überschreitung des statuten– mäßigen Wirkungskreises" (zu deutsch wohl: wegen politischer Agitation) aufgelöst wurde. Auf 1887 fü.hrt die SPÖ den Bestand der so– zialdemokratischen Partei - und Gewerk– schaftsorganisation zurück. In diesem Jahr bescheinigte .die k . k . Statthalterei den rechtlichen Bestand des Vereines "Arbeiter– Lese- und Gesangsverein in Steyr" . (Brandl) 1890 wurde in Steyr zum erstenmal der 1. Mai als Tag der Arbeit begangen. Ein Jahr später sprach Viktor Adler in Steyr. 1394 kandidierten zum erstenmal Sozialisten bei den Steyrer Gemeinderatswahlen, dazu meinte der "Alpenbote": Die landesfürst– liche Stadt Steyr zählt seit neuester Zeit zu den ersten Provinzstädten, in welchen der Socialismus versucht, auch in die Ge– meindeverwaltung seine Vertreter zu ent– senden( ... ) Der Umstand, daß gerade hier der Socialismus seine ersten Kraftproben abzulegen gedenkt, möchte zur Vermuthung führen, dass in Steyr Verhältnisse existie– ren, welche die Socialisten drängen, durch Vertreter im Gemeinderathe diese Verhält– nisse zu ändern . Doch gerade das Gegenteil ist der Fall ( ... )Beidem Umstande, dass in der Bürgerschaft von Steyr absolut kein Boden für die Verbreitung socialistischer Anschauungen vorhanden ist und die Candi– daten von vornherein überzeugt waren, dass sie nur eine ganz verschwindende Anzahl von Stimmen erhalten würden, muss die Auf– stellung eigener Candidaten lediglich als Demonstration für das allgemeine Wahlrecht bezeichnet werden . Dieses allgemeine Wahlrecht wurde erst 1919 Wirklichkeit, dann aber zeigte sich die Stärke der Sozialdemokratie in Steyr sehr deutlich. Bei den Nationalratswahlen am 16.2.1919 erhielten die Sozialdemokraten in Steyr nur knapp weniger als zwei Drittel der Stimmen. Ähnliche Ergebnisse brachten auch die ersten Landtags- und Gemeinderats– wahlen. Steyr galt von nun an als "rote Hochburg". Die Kräfteverhältnisse in Steyr lassen sich auch an den paramilitärischen Organi– sationen ablesen, die sich in Steyr - wie überall sonst in Österreich - in der Zwischenkriegszeit als "Parteiarmeen" ge- 5 bildet hatten: Der Republikanische Schutz– bund (als Kampforganisation der Sozialdemo– katen) und die Heimwehr (als "Selbstschutz– verband" der Christlich-Sozialen). In einem Bericht des Polizeikommissariates Steyr vom 29. 10. 1932 heißt es: Das Pkomm beehrt sich zu berichten, daß in Steyr nachstehende Selbstschutzverbände mit fol – genden Ständen bestehen : a) Republikanischer Schutzbund , gegliedert in 3 Abteilungen mit No. 60 , 61a und 61b ; ungefährer Stand 1200 Mann (einschließlich der sozialistischen Arbeiterjugend). b) Die kommunistische Arbeiterwehr. Der Verein "Österreichische Arbeiterwehr, Orts – gruppe Steyr" wurde vom Amte der oö . Landes– regierung mit Bescheid E/11 - Zl . 122/Ver vom 22.VI.1932 behördlich aufgelöst; die Zahl der früheren Arbeiterwehrmitglieder beträgt ungefähr 100, die im Ernstfall mit dem Rep . Schutzbund gemeinsame Sache machen dürften. c) Heimatwehr. In Steyr befinden sich 106 Starhemberg-Jäger der Starhemberg-Jägerbaons No. 15 und 30 Ortsschutzmitglieder . d) NSDAP. Sie verfügt in Steyr über eine SA (Sturmabteilung) in der Stärke von 65 Mann und 12 SS - Männer (Schutzstaffel). Im Stande der Heimwehr ist eine abnehmende Tendenz festzustellen, während bei den übri– gen Selbstschutzverbänden die Ständestärken schon seit längerer Zeit ziemlich stabil sind. Die Heimwehrleute ("Hahnenschwanzler" ge– nannt) hatten keinen leichten Stand im "roten" Steyr, wie die Christlich-Sozialen überhaupt; das muß zugegeben werden . In einem in Wien erscheinenden Blättchen mit dem Titel "Freiheit!" findet sich am 3.4.30 ein Bericht darüber, wie der Bundeskanzler Schober in Steyr ausgepfiffen, als "Arbeiter– mörder" und "Bluthund" beschimpft worden ist. Auch von Zusarrrrnenstößen zwischen Heimwehr– leuten und dem roten Gesindel von Steyr: Kurz vor der Ankunft Schobers begannen die Roten zu stänkern. 12 bis 15 von ihnen näherten sich den Heimwehrleuten Neubauer, Schröder und Slivka und riefen dem Neubauer zu: "Gib deine Hahnenfeder runter, damit wir uns---" Neubauer ignorierte dieses Ge– schimpfe, weshalb die Roten noch ärger zu schimpfen begannen und die drei Heimwehrleute umzingelten , so daß diesen jede Möglichkeit eines Entkommens genommen war. Neubauer forderte daher einen Roten auf, mit ihm zur Polizei zu gehen , worauf dieser pfiff und sofort, von seinen Genossen unterstützt, auf Neubauer hinschlug . Der Ange.-t_Jriffene er– hielt mehrere Schläge ins Gesicht und aufs Auge und versuchte zu flüchten . Inzwischen

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