Steyrer Tagebuch - Sondernummer zum 12. Februar 1934

und wollten nach 1945 zusannnenarbeiten, also mußte das, was elf Jahre vorher geschehen ist, vorläufig einmal ausgeklammert werden. Wären damals die Geschehnisse von 1934 und vor allem die Schuldfrage diskutiert worden, wäre die - historisch wirklich notwendige - Zusarrnnenarbeit sofort wieder gefährdet ge– wesen . Also einigte man sich darauf zu sagen, daß niemand ganz unschuldig gewesen sei und daß man die Graben zuschütten müsse. Man hat, um es unpathetischer auszudrücken, die Fe– bruarereignisse vorläufig unter den Teppich gekehrt . Das war ein historisch notwendiger und wohl auch vernünftiger Akt, mit dem Suchen und Finden der geschichtlichen Wahr– heit hat das freilich nichts zu tun. Das war damals auch noch gar nicht möglich, weil manche Archive überhaupt jetzt erst zugäng– lich sind. Wahrheitsfindung ist aber auch heute noch nicht überall erwünscht. Seltsam berührt mich in diesen Tagen irrnner wieder, wenn Konserva– tive ein ums anderemal die "Befürchtung" äußern, daß diese alten Geschichten doch in Wirklichkeit niemanden mehr interessierten. Und merkwürdig ist das doch, daß gerade die, auf deren weltanschaulicher Seite (selbstverständlich nicht unbedingt bei ihnen persönlich) eben die Hauptschuld liegt, daß gerade die meinen, "das Volk", "das Publi– kum", "die Zuhörer" langweilten sich bei diesen alten Geschichten , wollten das doch nicht irrnner wieder hören. Von den Vertretern der beiden großen Partei– en wird dieser Tage viel von Versöhnung ge– redet und davon, daß sich das alle$ nicht wiederholen dürfe. Gutgemeintes Gewäsch, nicht viel mehr. Klare Aussagen, klare Stand– punkte lassen wieder einmal auf sich war– ten. Die SPÖ schwankt zwischen einer Alte-Kämpfer– Nostalgie und etlichen Berührungsängsten . Was das damals wirklich gewesen ist, das hört man nur von den Historikern, kaum aber von den Parteifunktionären: durchaus kein Aufstand der Sozialdemokrate nämlich, son– dern ein Schutzbund-Aufstand (an dem außer– dem noch nur eine kleine Schutzbund-Minder– heit teilgenorrnnen hat); es war, wie Norbert Leser es einmal formuliert hat, ein "Helden– epos der österreichischen Arbeiterschaft", aber durchaus kein Ruhmesblatt in der sozial– demokratischen Parteigeschichte (man kann ja sogar so weit gehen zu sagen, daß sich der Aufstand auch gegen die Tatenlosigkeit, das harte Reden und weiche Zurückweichen des Otto Bauer gerichtet hat). Was ich von der ÖVP gern gehört hätte und nicht zu hören bekomme: Daß man sich - trotz 21 aller personellen Kontinuitäten - vom Dollfuß-Schuschnigg-Faschismus distanziert. Das klare Eingeständnis , daß es sich dabei um eine Fehlentwicklung gehandelt habe, die man nicht als Teil der eigenen welt– anschaulichen Tradition verstanden wissen will, das steht bis heute aus; statt des– sen hört man irrnner wieder Recht fe rtigungs– versuche und auch manche Warnung, man dürfe sich wegen dieser Geschichten von damals von den "Roten" nicht in die Defensive drängen lassen. Die beschwörende Formel "Das darf sich nie wiederholen!" geht , so glaube ich, ins Leere. Sogar wenn (um noch einmal dieses dumme Bild zu verwenden) jemand wirklich die alten Gräben noch einmal aufreissen sollte, fällt da keiner mehr hinein, dazu sind die Gräben zu gut markiert . Allerdings gibt es andere Gräben genug . Neuere Gräben, die ge– fährlicher sind als die alten. Und das führt zur unvermeidlichen Frage, was man denn wohl aus dem Februar 1934 ler– nen könne. So einfach läßt sich die Frage natürlich nicht beantworten, aber ein paar Denkansätze lassen sich schon aufzählen, etwa dieser: Man hat in den frühen dreißiger Jahren in den Nationalsozialisten die eher kleinere Gefahr gesehen , und die Nazis haben denn auch als einzige wirklich von der politi– schen Entmachtung der österreichischen Ar– beiterschaft profitiert. Wir müssen heute wieder einen schleichenden Faschismus kon– statieren. Alte und Neo-Nazis bemühen sich um Schüler und Fußballanhänger (so wie seinerzeit die Demokratie für viele Jugend– liche keinerlei Faszination mehr hatte, sind ja auch heute viele Junge von der Parteienpolitik eher abgestoßen als ange– zogen), der Fremdenhaß wächst, viele ande– re Symptome wären noch zu nennen. Aber man darf sich nicht täuschen lassen, so wie er einmal war, wird der Faschismus nicht mehr wieder korrnnen; der neue, der vielleicht korrnnen wird, der wird weniger polternd und pathetisch, dafür perfekt technokratisch sein. Sich nicht täuschen zu lassen, das ist wichtig, und eben das könnte eine mög– liche Lehre aus den Ereignissen von vor fünfzig Jahren sein, daß man sich durch die traditionellen Feindbilder nicht den Blick auf die wirklichen Gefahren verstellen läßt.

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