Steyrer Tagebuch Nummer 24, Dezember 1984

_Erst mit der krisenhaften Entwicklung ab etwa 1974 wurde dieses Verhältnis kühler. ·Humanisierungsaktivi– täten wurden als überflüssige Kostenstellen gestri– chen. In gemeinsamen Diskussionen mit den ca. 150 Pfarrmitgliedern arbeitete Innerl ohinger heraus, daß dies nicht ein spezielles Problem der VÖEST sein könne, sondern eine strukturelle Eigenschaft einer kapitalist,ischen Wirtschaftsordnung darstelle. Der theoretische Begriff "Klassenkampf" wurde in konkreten Maßnahmen erfahrbar. Aufgrund der Entscheidungen jener oben wurde bei denen unten gespart. 9 SOZIALARBEIT Freude macht es dem Pf?rrer auch, von seinem "Sand 1 erprojekt" zu erzäh 1 en. Schon an seinem ersten Tag in Steyr seien einige aufgekreuzt und hätten um Geld gebeten. Er vertröstete sie einmal auf de.n nächsten Tag - er hatte noch nicht einmal die Kasse übernommen. Angesichts der vielen notwendigen Arbeiten im Haus kam ihm die Idee, sie bei ihrem nächsten Besuch zur Mitarbeit einzuladen. Einige ließen sich darauf ein und kriegen einen Fünfziger in der Stunde. Außerdem kocht ihnen der Pfarrer ein warmes Essen (eine Köchin zahle sich fU,r ihn nicht aus). Von den "kleinen" Betriebsräten h~be er immer Zustim- , Der von der Caritas bezahlte Sozialarbeiter ist dazu mung bekommen, Zentral betri ebsratsobmann Ruha lti nger da, den Hilfesuchenden über das Angebot 'der Gelegen– nennt er dagegen in einem Atemzug mit Generaldirektor heitsarbeit hinaus Unterstützung zu geben, um wieder Apfalter. tragfähigen Boden, z.B. einen Arbeitsplatz, eine Woh- SCHLECHTE ERFAHRUNGEN MIT DER PRESSE Was er als richtig erkannt hat, sagt Pfarrer Innerlo– hinger sehr klar und in deutlichen Worten. Die Presse habe aber nicht um sefner Sache wi 11 en über ihn be- 1 richtet, sondern ihh für ihre Sensationsgier miß– braucht. Auch in unserem Gespräch kommt sein Mißtrauen gegenüber Journalisten deutlich zum Ausdruck. WIE GEHT ES IHM IN STEYR? Er kann begründen, daß es ihm gut geht und dies sogar. mit Zahlen unterstreichen. Vom Wirtschaften verstehe er etwas und es werde gelingen, bis zu seinem Abschied im kommenden Sommer die Finanzen der verschuldeten Pfarre auszug i eichen. So sei ihm z.B. beim Strom die Erwirtschaftung einer erheblichen Rückzahlung gelun– gen. Auch der Kirchenbesuch habe von 500 auf 800 Personen zugenommen. Zum Teil liege dies jedoch daran, daß seine offene Sprache beim Predigen auch Gläubige aus anderen Pfarren anziehe. Er sehe zwar eine Gefahr -in Steyrs "Kleinbürgerlich– keit", freue sich aber doch, daß seine deutliche Spra– che im großen und ganzen akzeptiert werde, sogar wenn schon einmal passieren könne, daß ihm ein "Scheiße" in die Ansprache rutscht. 'Da sorge es bei manchen Zu– hörern für größere .Unruhe, wenn er über "den Kapita- · l ismus" predige. Die Themen seiner Predigten erarbeite er zusammen mit einer Gruppe von ca. 15 Leuten, wobei jeweil~ die Sonntage eines Monats einer zusammenhängenden Themen– gruppe gewidmet sind.Im Oktober war es die Arbeit, im Advent wird es um eher persönliche Probleme gehen, wie Isolation und Partnerschaft. Seine Aufforderung zu aktiver Mitarbeit sei anfangs auf die Gewohnheit der Gläubigen getroffen, alles von oben Uber sich ergehen zu lassen. Aber auch in dieser Hinsicht habe er schon einiges erreicht. nung, zu gewinnen. Am meisten fürchtet Innerlohinger an der Arbeitslosig– keit den Faschismus, den sie erzeuge. In Margaret Thatchers Großbritannien könne man das bei diversen Polizeieinsätzen gegen Arbeiter schon sehen. Ein weiteres Bild in der Pfarrkanzlei Gerade die Österreicher seien sehr anfäl 1 ig fUr Untertanentum. Auch in der Kirche. Ob es anderswo besser sei ? Er könne dies von Frankrei eh sagen, von der Kirche und Gewerkschaft in Lothri n'gen, dort gehe es weniger obrigkeitlich zu. FUr uns Steyrer ste l 1t sieh absch 1i eßend die Frage, wieso aus dem kirchlichen Bereich der Christkindlkult gegenüber solchen sozialen Ansätzen derart bevorzugt beachtet wird, reinhard kaufmann

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