Steyrer Tagebuch Nummer 23, November 1984

23 Literatur von Oliver Schmitsberger der regen fä 11 t von den dächern , a 1so sch 1afen die molche. gestern wuchs der farn aus schmalen feuchten ritzen und spalten zwischen den pflastersteinen , heute bl Uht der mohn. eine amsel f1 iegt gegen die unterge– hende sonne an. auf die vergrauten fassaden die abund– zu im abendlicht aufglitzern werden geäst & laubwerk projiziert, dahinter beginnt der schatten, dahinter 1 iegt er. heute fäl 1 t der regen von den bäumen, von blättern & zweigen, von vogelnestern & zerfurchten rinden. die untergehende sonne fliegt scharen von wespen & fliegen entgegen, andere insecten bevölkern den himmel, den tintenblauen & nachtschwarzen. violet– te hummeln mit triebwerken am rucken , schwärme kleiner grauer mucken mit stählernen antennen & radarschirmen, raupengrüne heuschrecken brachen auf nach osten, pur– purn & karminrot leuchten die flUgel der motten & fa 1 ter, und der vergäng 1 i chen körper für den augen– b 1 i ck beseelter nebelschwaden. durch die glaslosen fenster ruinenvergrauter fassaden bahnen sich zaghaft die sonnens trah 1 en einen weg, durch spi nnennetze & gräsergewirr, dem stacheldraht der schalenlosen aben– de. ein gewit ter in der ferne, auf den fabrikssch 1oten blUhen seltsam farbig die ersten margeriten. ein mist– käfer, der versucht eine fens terschei be zu durchbre– chen oder aus dem tödlich glatten krater einer email- 1ierten badewanne zu entfliehen, wie sie häufig in sumpfigen wiesen & a 1mböden wachsen. manchma 1 sch 1eicht mus i k aus radi os 1autsprechern, manch– ma 1, öfter nicht. wovon das abhängt weiß niemand zu sagen, keine hand die sieh nähern würde, erk 1ärend. dann schlägt eine tUre zu , plötzlich, und der schatten zerstört sp 1i tternd das spie 1 des durchbrochenen son– nenmuster auf dem g1atten parkettboden hoher räume, räume so hoch als wären sie stuckverziert, als hätten sie schmiedeeiserne fensterkörbe vor den scheiben und marmorterassen vor den glastUren, welche an ruhigen sornmernachmittagen in weitläufige parks & gärten fUh– ren , in we 1chen das nahe murme 1n & p1ätschern eines baches oder kleinen flusses mehr ist als nur il lu– sion. die molche schlafen heute , also fällt der regen aus fingern, haaren und k1ei dern wie zufä 11 i g durch säle & zimmer wandelnder personen. wo einst ein schritt, dort liegen später öfters blätter, frisch & grUn wie im ersten frUhl ing, 1avendel & brombeer, lorbeer & stechpalme, efeu oder adlerfarn. solche spuren hinter1äßt der regen, an tagen, an denen die untergehende sonne unbehe 11 i gt b1ei bt von gesurr & gebrumm. rosarot angehauchte federwolken verbrämen den abend, in desen leichtem wind sich die mohnkapseln rhytmisch hi nundher bewegen, aufundab. in· den fens tersche i ben spiegelt sich ein klarer himmel, und draußen , wo die stadt nur mehr a 1 s schmutzige bunte si 1 houette er– scheint , wo sandige ebenen den boden nicht begrünen und moos über alten mUl lhalden wuchert, wo die glas– scherben regenbogeneifrig tanzen zwischen vereinzelten reifen & rädern, klein wie kinderspielzeug im am boden 1 iegenden abend versinken sie, bewegt sich eine tUr leise und doch beinahe knarrend im einsam stehenden rahmen , während hinter dem horizont, der orangeviolett steht wie eine wand aus festem glas, die geballten scharen & schwärme zu erahnen sind, die insecten , leise, andeutungsweise klingt das scharren durch, das schaben & krächzen, das streichen & kratzen, das zir– pen & die me 1 odi e der bewegung. und se 1 tsamerwei se erscheint das 1 och in der geborstenen tUrfU 11 ung so körperhaft, so magisch anziehend. 0 D 0

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