Steyrer Tagebuch Nummer 17, Jänner 1984

Buchbesprechung einem, zulösen . Wolfgruber Gernot : Verlauf eines Sommers . Roman. Residenz Vlg • ....._,.,,....,..,,...,....,....t,.,,J,~.....,.._--., Lenau, die Hauptfigur dieses Romans, ver– heiratet, ein Kind, ehemaliger ver– krachter Student und Modelinker, Vertrete( Säufer, zeigt, wie man aus zweiter Hand lebt . Die Mutter legt dazu den Grundstein . Sein Vater hat die Familie verlassen, was die Mutter zum Anlaß nimmt, der Welt zu be– weisen, daß sie die Erziehung ihrer Söhne auch ohne ihn vorbildlich schaffen wird . Lenau ist der bestens fun~onierene Sohn , der keine Schande macht . Er weicht jedem Konflikt aus , alles wird ver– schleiert, wie es die Mutter vorlebt . Diese gestörte Mutterbeziehung verfolgt ihn auch a ,ls Erwachsener : "Kaum trat er hier ein (Wohnung der Mutter", war e.s ihm, als schrumpfte er zusammen und müßte sich in einem fort verbeugen , "Diener machen" , " Als Vertreter für Zahnmedizin hat er keine Meinung zu haben, sondern nur An– sichten, die mit dem Gegenüber wechseln. Lenau hat sich damit abgefunden , nur im Suff sucht er erfolglos nach sich selbst . Ihm geht es wie der Maus in Kafkas Parabel . Die Welt wird i · hm immer enger, am Ende der Mauern lauert die Katze . Seine Frau baut ihn nicht auf , sondern zeigt ihm gnadenlos seine Widersprüche auf . Die Tochter ist ihm schon so fremd, daß er sie zeitweise vergißt, andere Beziehungen geht er nicht aktiv ein, sondern sie passieren ihm, Wenn dann das nötige Quantum Alkohol dazukommt, will er ganz einfach und plötzlich weg, Italien oder so, Ist er dann weg, wenn auch nur ein paar Kilometer - erscheint ihm sein "automatisches, gewohnheits– mäßiges Zusammenleben" als akzeptabel, ve ränderbar und erstrebenswerte Sicher– hei t, So hin und her gerissen verläuft sein Sommer . Im Resumee am Ende des Romans zeigt sich ein Hoffnungsschimmer:"Das ist wahr– scheinlich das einzige, das ich jetzt sicher weiß: ich möchte nicht mehr allein sein , Es war eine Illusion zu glauben, ich könnte endlich zu mir selber kommen, wenn ich von di~ (Frau) weg bin, irgend– wo in der Welt herumliegen, und ich müßte nur hinfahren, um es abzuholen," Doch sicher ist gar nichts , i){J{J(J_27 Wolfgruber erzählt abwechselnd aus der Erzählerposition und der Perspektive des "Helden" . Vielleicht ist das der Grund , daß dLe Frau Lenaus in Psyche und Handlunsweise etwas farblos bleibt, Hin– gegen ist es Wolfgrube r durch seine klar realistische Sprache ausgezeichnet ge– lungen, Lenau und dessen Gefühlswelt zu gestalten ._ Z. B. : Einsamkeit : "Als ein Rosenverkäufer von Tis.ch zu - ' . Tisch ging, und .an ihm vorbei, ohne ihn zu beachten, nickte Lenau nur einwenig vo~ sich hin, für den bin ich nicht einmal ein möglicher Kunde , dachte er. Wem sollt er auch Rosen schenken? Er . Hier , allein an einem Tisch? überhaupt schien ihm, waren ihm heute fast nur Paare begegnet, so als wäre die Welt nur da, um ihm sein alleinsein vorzuführen . Schon in der Grünanlage neben dem Fluß hatte er nicht einfach Amseln gesehen, die im Gras standen und schrieen, sondern auf einmal Männchen und Weibchen . Und die Menschen, die nicht gerade zu zweit waren, sondern allein dahingingen, waren ihm so deutlich "alleingelassen" vorgekommen, als würden sie, genau wie er, jemand vermissen, mit dem zusammen sie erst "vollständig" wären , W, erzählt nicht kontinuierlich, sondern macht dort Rückblenden auf Kindheits– erlebnisse Len- aus, wo sie seine psychischen Verkrüppelungen motivieren . Eine empfehlenswerte Lektüre für alle, die davonlaufen wollen, weil alles so erdrückend eng um einen wird, und doch vor sich selbst flüchten. Karl M. Kubizek

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