Steyrer Tagebuch Nummer 14, Oktober 1983

Basiskultur dieses menschsein außerhalb des not – wendigen broterwerbs umschreibt der begriff kultur , und eben derartige öffentliche aktivitäten geben uns so neben dem grad der vergesellschaf– tung des besitzes und der macht auf– schluß darüber, wie wir mit unserem menschsein umgehen können . die kul– tur muß heute den baden bereiten in eine neue eigenverantwortung der menschen, gegen eine bevormundung der kreativität etwa durch das fern– sehn das zwar kommunikativ ist aber leben nur noch aus zweiter hand zu vermitteln mag . zur eröffnung der wiener festwochen 1983 hat der noch SP- vorsitzende bruno kreisky den rich– tungsweisenden satz ge– s agt , daß wir uns in zeiten relativen sozi– alen friedens eine ra– dikale kultur leisten müssen , ja sogar zu for– dern wäre. die sozialdemokraten in st eyr haben bisher überhaupt erst einenge– ringen teil des kultu– rellen spektrums akzep– tiert, nämlich die bür– gerlich-provinziellen anpassungsveranstaltungen mit teiJweise paradoxen auswücLsen , und den spart . während sich etwa unter wiener arbeitern schon sehr früh ein hewußtsein für die not – wendigkei t von bildung und eigener proletarischer kultur entwickeln konn– te, haben sich die arbeiter von s teyr bei weitem schwerer getan mit der kul– turellen identifikation. größtenteils aus dem bäuerlichen milieu der land– arbeiter rekrutiert war hier das pro– letariat ohne traditionellen hinter– grund dessen ungeachtet gesellschaft– lich vorwärtsdrängend . vor allem die, nach dem ende des waffe~~ooms v or und während des ersten weltkrieges herr– schende not und verelendung haben eine aggressivere haltung bewirkt 1 und ange– s ichts der drohenden entwicklungen des faschismus braucht es heute nicht zu verwundern 1 wenn der spart zum kultur– träger nummer eins hochstilisiert wur– de. s icher unter den aspekten .der kör- perlichen ertüchtigung und den_mög– lichkeiten illegaler tätigkeit unter dem deckmantel des sports . nach beendigung des krieges wurde das kritische potential der arpeiterschaft nicht zuletzt durch den aufstieg der wir– tschaft und die sehnsucht nach Oberfläch– lichkeit entschärft und nach 1950 regel– recht eliminiert, sodaß sich für die masse der arbeitenden der weg in die klein– bürgerlichkeit ebnete . die oft sehr brutalen soziali– stionsmethoden haben ~iese geisteshaltung in alle nach dem krieg geborenen steyrer eingebrannt und tiefe spuren hinterlassen . kreativität und ipdividuelle entfaltung wurden massenhaft zerstört zugunsten einer scheinmoral und äußerlicher anpassung . spießbürgerliche werte werden nach wie vor hochgehalten , in der kultur spie– geln sich perspektivelosigkeit und men– tale störungen umso deutlicher wider . am schlimmsten steht es um die sog . jugendkultur, bei der in steyr über– haupt nichts funktioniert . die hoff– nung vermittelnde rückkehr aufgeschlos– sener studenten aus den hochschulstäd– ten, mittragend für die erweiterung kul– tureller angebote ende der siebziger– .iahr in dieser stadt h:=it sich im sand verlaufen , die intelligentia wähnt sich großteils besserer lebensumstände . in einer konservativen stadt wie steyr mit gewisser gesellschaftlicher anerkennung im voraus versehen, wurde sie sehr schnell in die mittelklasse integriert, wo sie sich nach anfänglich lockerem aufmüp fig- 11

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