Steyrer Tagebuch Nummer 13, Sommer 1983

fellos stellt die Möglichkeit eines Atomkriegs einen Teil dieser Hoffnungslosigkeit dar. Meine Enkel in Frances Fuchs unterrichtete im ver– gangenen Jahr innerhalb eines Kurses für Jugend– liche, die von ihren Schulen hatten abgehen müs– sen. Dabei handelt es sich sicherlich nicht um „nor– male" junge Leute; dennoch halte ich ihre Erkennt– nisse für bedeutsam. Ziemlich am Anfang des Schuljahres bat sie die Jugendlichen, in Stichwor– ten niederzuschreiben, was· sie für sich selbst inner– halb der nächsten fünf bis zehn Jahre erwarteten. ,,In fünf Jahren werde ich entweder tot sein oder in der Armee oder in einer Band Gitarre spielen." Die Mehrheit der Jugendl ichen sah sich vernichtet innerhalb eines nuklearen Chaos oder sah sich da– hinvegetieren in einer grausamen, korrupten, über– bevölkerten Welt. (Fuchs, 1981) Hierzu einige wen ige Meinungsäußerungen : · .,In fünf Jahren werde ich entweder tot sein oder in der Armee oder in einer Band Gitarre spielen. Ich bin der festen Meinung, daß es innerhalb der nächsten fünf Jahre Krieg geben wird und daß die meisten von uns ihn nicht überleben werden." .,Ich meine, wenn Reagan uns in den nächsten fünf Jahren nicht hat hochgehen lassen, daß dann unsere Boden– schätze entweder verbraucht sein werden oder sie werden für uns nicht mehr erreichbar sein. 1 eh glaube wirkl ich, daß ich in fünf Jahren entweder tot sein werde oder daß es mir sauschlecht gehen w ird." Oder von einem jungen Alkoholiker: .,Ich trinke, um mich kaputt zu machen. Ich trinke, wenn ich mich danach fühle und ich genieße es, von der Welt abzuheben. Wenn ich betrunken werde, dann sieht al les großartig aus. Nichts scheint mich mehr zu stören." Wie viele andere junge Leute sehen keine weiteren Mögl ichkeiten für ihre Zukunft als sich selber kaputt zu machen? Soweit zu einigen möglichen Auswirkungen eines Atomkriegs auf einige unserer jungen Leute. Die Gefahr hängt wie eine dunkle Wolke über uns aflen, aber die Jungen sind besonders sensibel und auf– merksam und damit auch besonders hoffnungslos. Sehen diese jungen Leute alles zu schwarz? Wie sind die Sichtweisen jener Wissenschaftler, Physiker und Ingenieure, die die technologischen Aspekte der Situation beurteilen können? Folgt man Capra, so haben viele der Fachleute insbesondere zwei blinde Flecken : 1. Sie sind bei der Rüstungsindustrie angestellt und - damit befaßt, atomare Waffen zu entwerfen, zu bauen und weiterzuentwickeln oder sie sind bei Firmen beschäftigt, die Kraftwerke für die Ener– giegewinnung bauen. 2. Als Spezialisten überblicken sie häufig lediglich einen schmalen oder ergänzungsbedürftigen Ab– schnitt des Gesamtwerks und besitzen keinen Überblick über die Gesamtkonzeption. Folgerichtig sind die einzigen Fachleute, die unbe– einflußt und unverzerrt einen Gesamtüberblick haben, diejenigen, die nicht eingebunden sind in die kommerzielle und anwendungsbezogene nukle– are Forschung; es dürfte nicht überraschen, daß all diese Wissenschaftler sich in der Anti -Kernkraft– bewegung engagiert haben. Diejenigen, die am besten informiert sind, sind zugleich diejenigen, die am nachdrücklichsten gegen al le Schritte opponiert haben, die auf einen atomaren Krieg hinführen; die Arbeiten und die VeröffentIichungen der Union of Concerned Scientists beweisen dies besonders deut– lict:i. Und wie denken die Militärexperten, die die Pläne und Strategien für einen atomaren Krieg kennen? Das „Center for Defense Information" wendet sich entschieden gegen Atomkrieg, sinnloses Wettrüsten und gegen die ständige Erhöhung des Verteidi– gungshaushalts. Die Köpfe dieser Bewegung sind zwei in den Ruhestand versetzte Admirale der Ma– rine und ein General der Marineinfanterie. Ur– sprünglich waren sie alle zentral damit beschäftigt, einen atomaren Krieg zu planen. Nun ,' im Ruhe– stand, können sie ihre ganze Arbeitskraft dem Stop unserer selbstzerstörerischen Kriegspolitik widmen. Damit ist es klar: Jene, die wirklich die Möglichkei– ten eines Atomkriegs kennen, engagieren sich ganz entschieden: Sie wollen den Rüstungswettlauf hier und heute beenden! Was wir tun können Was können wir tun, um einen atomaren Krieg zu verhindern? Über mögliche Schritte in dieser Rich– tung haben Psychologen w ichtige Vorschläge ge– macht. Vielleicht der aufregendste ist Charles Os– good's Plan „Graduated and Reciprocated Initia– tives in Tension-Reduction" (GRIT). Grob zusammengefaßt schlug er vor, daß jeder Staat für sich allein den ersten Schritt zu einer Ver– minderung der Spannungen tun könnte. Präsident Kennedy handelte in Übereinstimmung mit Os- good's Grundsätzen, als er am 10. Juni 1963 er– klärte, daß die Vereinigten Staaten einseitig alle Tests mit nuklearen Waffen in der Atmosphäre ein– stellen würden, und zwar so lange, bis ein anderer Staat von sich aus wieder mit entsprechenden Ver– suchen beginnen würde. Am 15. Juni begrüßte Chrustchow diesen Schritt und ordnete einen Stop in der Produktion russischer strategischer Bomber an . Am 20: Juni stimmte die Sowjetunion, nach an– fängl ichen langen Verzögerungen, dem „heißen Draht" zwischen den beiden Staatsführern zu. 1 m Jul i wurde über den Test-Stop ernsthaft verhandelt und im August wurde das entsprechende Abkom– men unterzeichnet. Kennedy befürwortete in die– sem Zusammenhang einen größerer. Weizenverkauf in die UdSSR. Durch seine Ermordung wurden mögliche weiterfolgende Schritte verh indert. Verallgemeinernd kann gesagt werden, daß eine Na– tion, ohne ihre Verteidigungskapazität erhebl ich zu reduz ieren, einen Schritt hin auf Verminderung der Spannungen tun kann. Dies schl ießt zwar ein klei– nes, jedoch durchaus handhabbares Risiko ein. Die möglichen Zielsetzungen wurden oben dargelegt. Die gegnerische Nation kann sich jederzeit davon überzeugen, daß ein erster Schritt getan ist, und wird dadurch sozusagen eingeladen, ebenfalls einen Schritt in die eingeschlagene Richtung zu unterneh– men. Falls dies geschieht, kann von der ersten Re– gierung ein weiterer Schritt unternommen werden. So kann allmählich die Spannung zwischen den Na– tionen verringert werden. Die Russen nannten die im Jahre 1963 gestarteten Akt ionen „ die Politik des wechselseitigen Beispiels". Obgleich das „ Expe– riment" so kurz war, verbesserten sich die Bezie– hungen zwischen den beiden Staaten doch spürbar. Umgang mit sozialen Spannungen Ausgehend von eigenen Erfahrungen möchte ich jetzt etwas ausführ! icher eine andere Möglichkeit der Verhütung von Kriegen diskutieren . Wir w issen heute eine ganze Menge über Verständi – gungsmöglichkeiten zwischen feindl ichen oder riva– lisierenden Gruppen, auch darüber, wie man dazu beitragen kann, Kompromisse zwischen unter– schiedl ichen Interessen und Bedürfnissen zu finden. Ich möchte kurz einige Beispiele beschreiben. Aber zunächst möchte ich ein psychologisch bedingtes Verhaltensmuster hervorheben, das fast immer in solch einer Situation existiert. Das Muster bleibt sich im Grundsatz immer gleich. Eine Gruppe hat das Gefühl „es ist vollkommen klar, daß wir recht haben und ihr unrecht habt. Wir sind in Ordnung und ihr nicht. Konsequenterweise ist die einzige mögliche Lösung des Problems unsere Lösung : X." Aber die andere Gruppe denkt genauso. .,Wir haben recht und ihr habt unrecht. Wir sind in Ord– nung und ihr nicht. Folgerichtig kann die einzige zufriedenstel lende Lösung des Problems nur unsere Lösung sein : Y." Esgehört zu den größten Schwie– rigkeiten jeder Auseinandersetzung, zu erkennen und, vielleicht noch schwieriger, zu akzeptieren, daß unsere Gegner von der Richtigkeit und Quali– tät ihrer Entscheidung ebenso überzeugt sind wie wir selber. Wenn man versucht, Spannungen zu reduzieren , so muß eben dieses Denk- und Verhal– tensmuster durchbrochen werden. Auch kleine Schritte, die in diese Richtung führen, haben schon häufiger zum Erfolg beigetragen. Als Beispiel möchte ich die Konferenz des National Health Council anführen, die vor einigen Jahren stattfand und die eine Reihe schmerzlicher Kon– frontationen beinhaltete. Es handelt sich um eine Organisation, die sich zusammensetzt aus Vertre– tern der amerikanischen Ärzteschaft, der Zahn – ärzte-Vereinigungen, der Krankenschwester-Orga– nisation, der Krankenversicherungen und sonstiger mit Gesundheit. befaßter Vereinigungen. Das Na– tional Health Council entschied auf der Tagung, daß sie, als „Gesundheits-Versorger" , zu ihrer Ta– gvng auch eine Gruppe von „ Gesundheits-Ver– brauchern " aus den städtischen Elendsgebieten und den unterentwickelten ländl ichen Gebieten einla– den sollten. Das war eine mutige Entscheidung, aber die Veran – stalter erkannten erst nach und nach die darin ent– haltenen Risiken. Die „ Gesundheits-Verbraucher" wurden durch örtlich arbeitende Gruppen ausge– sucht. Sie waren alle arm, viele-farbig, einige gesell– schaftl ich verachtet. Als die Konferenz näher rückte, bekamen die Planer kalte Füße und luden das Personal unseres Zentrums ein, hauptsächlich um während der Konferenz zwischen den Gruppen zu vermitteln. Obwohl sie nicht mehr als unsere Unkosten bezahlen konnten, sagten wir zu . Bei der Eröffnung der Konferenz war die Feind– sei igkeit der „Gesundheits-Verbraucher" deutlich und fühlbar. Die Konferenz drohte zu scheitern . Die „Verbraucher'' deuteten an, daß sie sich zu– rückziehen würden. Es war ein glücklicher Um– stand, daß wir anwesend waren, ebenso günstig war es, daß wir kein Honorar erhielten. So konnten wir ihnen in einer sehr hitzigen Sitzung überzeugend verdeutl ichen, daß wir von weit her angefahren kamen, ohne Honorar, nur um dazu beizutragen, daß jeder im Rahmen dieser Konferenz eine Mög-

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