Steyrer Tagebuch Nummer 1, April 1982

LtTERATUR Oer junge Wann wollte mehr erfahren Ober diese Herta S., die nicht allein gewesen sein konnte. Oaa erwies sich als schwerer als erwartet. Offiziell wuQte man kaum etwas. Offiziell, so mußte es E, erscheinen, hatte es den Faschismus zwar gegeben, man war zwar dagegen gewesen, hatte aber nichts un­ ternehmen können. Oie Politiker spra­ chen das jedenfalls bei jeder Gelegen­ heit aus, die älteren nickten dazu. Aber er war'hartnäckig, fragte wei­ ter. Es galt, beim Fragen die eigene Schüchternheit zu überwinden. Wanchmal hatte E. das Gefühl, mit seinen Fregen etwas Verbotenes zu begehen. Wan ging ihnen aus dem Weg, antwortete unwirsch. Nur die Kommunisten,die auch in dieser SufUt nichts mehr zu verlieren hatten, standen gern Rede. E. führte das darauf zurück, daO sie die Einzigen waren, die tatsächlich Widerstand geleistet hatten. Aber es stellte sich heraus, daß selbst Priester zur Gewalt und zum Un­ recht nicht geschwiegen hatten, der damalige Garstner Gefängnisseelsorger war eingekerkert worden, der Steyrer Stadtpfarrer. Auch Sozialdemokraten waren unter den Opfern, politische Einzelgänger und völlig Unpolitische, nirgends organisierte. Aber weshalb dann diese Angst? Auf Umwegen kam er schließlich auf die Fährte der noch Überlebenden aus Herta S.' Wideretandsgruppe, mehrere waren schon gestorben, zwei befanden sich ge ade im Krankenhaus. Stets mußte der junge Wann erst das Wißtrauen überwinden. Wan fragte ihn, wer ihn denn geschickt hätte, die Beweggründe, wie sie E. anführte, erschienen den Befragten unglaubwürdig, man wollte wissen, wer hinter ihm stünde. ^iner der damals Verurteilten er­ schrak, als ihn E. auf jene Zeit hin ansprach, er schwächte sofort ab : er habe mit der ganzen Sache eigent­ lich gar nichts zu tun gehabt, sei ver­ leumdet worden von einem Arbeitskolle­ gen und von seiner ersten Frau, die einen Nazi zum Vater hatte, einen SSler zum Bruder. Er habe im übrigen deswegen immer nur Schwierigkeiten gehabt, sieht man von den paar Jahren nach Kriegsende ab, wo sie in der Stadt wie die Sieger gefeiert worden waren, spä*. ter sei er zu den Kommunisten gegangen und 1956 wieder aus dar Partei ausge­ treten, nicht wagen Stalin ( "aber auch"), sondern wegen der beiden Söh­ iE E., der oft darum gebeten wurde, die Befragten "aus dem Spiel"rzu las­ sen, Auskünfte vertraulich zu behan­ deln und Namen wieder zu vergessen, war erstaunt und verstört über diesen Ruch des Verbotenen, der, so viele Jahre da - na*h, die Widerstandskämpfer von einst prägte. War diese Bezeichnung überhaupt ange­ messen? Beinahe jeder schwächte ab, Franz D. legte sogar Wert auf die Fest­ stellung, daß gegen den Faschismus "wir, die Arbeiter" in Steyr versagt hätten. Widerstand, sofern man davon reden kann, sei im Wesentlichen Selbst­ hilfe gewesen, Sammeln für die Rote Hilfe, Vorbereitung auf das Ende. D. war der einzige, der dem Jungen Mann unaufgefordert sein Leben erzählte, so, als hätte er seit Jahren nur darauf ge­ wartet, daß ihm einer zuhören würde. Er hatte am wenigaten Grund zur Selbst­ kritik. 200 Tage lang war er wegen Raix Feindbegünstigung, Vorbereitung zum Hochverrat und Wehrkraftzersetzung in der Todeazeile gewesen, in jeder Se­ kunde der Gefahr gewärtig, abgeholt und zum Schafott geschleppt zu werden. In einer solchen Lage, in der "aua den Härtesten reine Lämmer" wurden, blieb ). ungebrochen, unternahm vier Flucht­ versuche, den fünften gemeinsam mit seinem Freund Punzer. D. kah durch, P. stolperte, wurde gefaßt und wenige Tage später hingerithtet. Nach Kriegsende benannte die Stadt­ verwaltung Oet einen ganzen Stadtteil, Münichholz, nach den Opfern das Fa­ schismus. "Oie Hauptatrasae von M0- nichholz ist die Karl Punzeratrasse. Oer Stadtteil hat drei Abschnitten Oie Strassen sind nach Musikern, Oich- tern und Arbeitern benannt." An einem Nachmittag, als der junge Mann in Münichholz durch die Strassen ging, deren Namen für ihn mittlerweile so bedeutsam geworden waren, dachte er an den Nutzen seiner Nachforschungen und Gespräche. Für sich hatte er das Bild seiner Heimatstadt zurechtgerückt. Er hatte Geschichte sinnlich erlebt, aus der Sicht der Betroffenen. Das war nicht wenig. Aber es mußte folgenlos bleiben, solange es E. nicht unternahm, seine Auf­ nahme der Stadtgeschichte anderen anzuvertrauen, als Voraussetzung dafür, daß sich die Vergangenheit nicht wiederhole.

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