Stand und Ständeordnung im Weltbild des Mittelalters

- 77 - Hche Schätzung zuteil werden zu lassen, auf die er Anspruch hatte. b) Über diesen Hinweis auf die unzertrennliche Verbunden– l1eit aller irdischen Berufe zu einer einzigen Lebens- und Schick– salsgemeinschaft hinaus versäumt es das Mittelalter jedoch nie, <lern Wunschbild einer besseren und gerechteren Gesellschafts– ordnung auch ein tragfähiges sittliches Fundament zu geben. So oft in der Sittenlehre das Verhältnis von Herren und Knechten, also ein Kernstück des herrenständischen Aufbaus, zur Behand– lung kommt, wird der „vicissitudo" gedacht, die beide in guten und schlimmen Tagen aufeinander anweist. Öfters kehrt die Erinnerung wieder, daß keine dauerhafte Ordnung unter Menschen möglich ist ohne den sittlichen Unterbau von Gemeinsinn und Friedensliebe, Freundschaft und Treue 1 . Inmitten der Fried– und Rechtlosigkeit des 10. Jahrhunderts, selbst ruhelos von Land zu Land getrieben und lange der Freiheit beraubt, erinnert Bischof Rather von Lüttich, an Augustinus anknüpfend, an die ,,amicitia", die allein die Menschen wieder versöhnen kann 2 • Jakob von Cessolis holt noch viel weiter aus, ruft Cicero und Seneca zu Zeugen auf und prägt sogar den Ausdruck der „socialis amicitia". In der deutschen Bearbeitung seines Schachbuches durch Konrad von Ammenhausen handelt ein eigner Exkurs über den Frieden, den die Stände untereinander halten sollen. Treue von Mensch zu Mensch ist, wie sein neuerer Herausgeber hervorhebt3, eines seiner Hauptanliegen, und die Sorge um die bedenklich sinkende Berufsmoral, nicht zuletzt auch im klein– städtischen Gewerbe, veranlaßte ihn wohl, den Abschnitt über den dr'itten Bauern auf mehr als den doppelten Umfang seiner Quelle zu erweitern und in minutiöser Kleinmalerei auszuarbeiten. c) Unwillkürlich verdichtet sich uns heute die Vorstellung eines Lebens- und Leistungszusammenhangs, wie die berufs– ständische Ordnung ihn verwirklichen will, zum Bilde einer or gan isch en Ganzheit mit ihren Gliedern und Gliedgemein– schaften; eines Körpers, der in seinen Organen da ist, lebt und 1 Von Antoninus v. Florenz (a. a. 0. Tit. III c. 6 § 3) werden Herren und Untergebene als „corretativa" bezeichnet. 2 Praeloquien, a. a. 0. 465; Johannes Guallensit, Communiloquium II „De colligatione membrorum ad invicem". 3 Ferd. Vetter, Das Schachzabelbuch Kunrat~ von Ammenhausen, a. a. 0. Ein!. VIII. Schwer Stand und Ständeordnung. 6

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