Stand und Ständeordnung im Weltbild des Mittelalters

- 15 - wie ein Sprengmittel gegenüber jeder sozialen Ordnung zu wirken, die seinen ungestümen Ansprüchen zu widersprechen schien. Überall da, wo gegen die ältere traditionalistisch-konser– vative Haltung der Kirche und kirchlichen Sozialethik, die den gegebenen Zustand der Welt schlicht als gottgegeben hinnimmt, eine andere sich durchzusetzen beginnt, die auch ihn im Geiste christlicher Gleichwertigkeit und Freiheit umgestalten will, kommt die dritte Entwicklungslinie zum Vorschein, in deren Verlauf sich die Wandlungen widerspiegeln, die im Überbau des religiösen Glaubens vor sich gingen. Diese Freiheits- und Gleich– heitsideen sind später um so rücksichtsloser wirksam geworden, je mehr sie sich von ihrem urchristlichen Ursprung entfernten. Aber sie haben auch aufgehört, wahrhaft erlösend und aufbauend zu wirken, seitdem sie, entchristlicht und aller Hemmungen ledig, ihre gewaltige Kraft in heidnischer Ungebundenheit auf den Umsturz der irdischen Gesellschaftsordnung konzentrieren konnten. Hält man diesen allmählichen Durchbruch der christlichen Freiheits- und Gleichheitsgedanken neben die vorhin ange– deuteten Entwicklungsbahnen - die Wendung vom Machtstande zum Leistungsstande und vom autoritären Herrschaftsstande zum Genossenschaftsstande freier Menschenpersönlichkeiten - so erkennt man unschwer, daß alle drei parallel verlaufen, sich einander immer mehr nähern und zuletzt in ein Strombett ein– münden. 5. Damit ist die Grundlage für die nachfolgende Darstellung gelegt und zugleich ihr Aufbau angedeutet. Sie wird zunächst zu dem Ergebnis gelangen, daß das Mittelalter eine freiheitlich– berufsständische Ordnung, wie sie in ihren Grundlinien offenbar auch das Rundschreiben Pius' XI. ,, Quadragesima anno" (1931) entwirft, nicht verwirklicht hat. Das tragende Gerüst seines Gesellschafts- und Wirtschaftshaus ist herren- und herrschafts– ständisch, geburts- und erhständisch, macht- und besitzständisch bis zum Ende geblieben. Ansätze zu einer auf persönlicher Freiheit und beruflicher Leistung beruhenden Neugestaltung vermögen diese Tatsache zu verschleiern, nicht aber zu beseitigen. Nichtdestoweniger - und dazu sollen in einem zweiten Teile auch bisher kaum verwertete Zeugnisse zu Worte kommen - sind die Verdienste, die diese an Einheitlichkeit und Kraft des Glaubens, Denkens und WoJlens unvergleichlich reiche Zeit

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