Chronik der Stadt Reichenau

Vorwort. Am 29. Jänner 1871 als Sohn eines Bauern in Reichenau geboren, be¬ suchte ich die fünfklassige Volksschule in meinem Heimatdorfe Reichenau. Mein Wunsch nach höherer Ausbildung und Musikunterricht ging wegen zu reichem Kindersegen nicht in Erfüllung und mußte ich wegen zeitlichen Geld¬ verdienens die Glasspinnerei erlernen, zu welcher ich jedoch nicht die ge¬ ringste Lust empfand Im 19. Lebensjahre trieb mich dieSehnsucht nach der Fremde in die Welt hinaus und durchstreifte ich auf meiner Wanderschaft Deutschland, Österreich, die Schweiz, Teile von Rußland und Italien. Nach der Militär¬ zeit hielt ich mich nicht lange in Reichenau auf und ging 1895 wieder nach Deutschland. Im Jahre 1897 trat ich in den Dienst der Aussig=Teplitzer Eisenbahn und war mein erster Dienstort Aussig. Nach Eröffnung der Bahn Reichenberg Teplitz wurde ich im Jahre 1900 nach Reichenberg versetzt, fünf Jahre später nach Lobositz, wo ich am 10. August 1907 durch einen Betriebsunfall verun¬ glückte. Dieser Unfall machte mich für den Fahrdienst unfähig und erfolgte meine Versetzung im Jahre 1908 in die Güterkassa nach Karbitz. Meine durch den Unfall verschuldete Erkrankung verschlimmerte sich und ich konnte auch den Kanzleidienst nicht mehr versehen, weshalb ich am 1. Jänner 1911 als Stationsaufseher pensioniert wurde. Meinen Eisenbahndienst begann ich als Bremser, rückte in kurzer Zeit zum Manipulanten, Kondukteur, Zugsführer, Transiteur, Kartanten und Fahrkartenkassier vor. Mein Ge¬ undheitszustand verschlechterte sich nach der Pensionierung, sodaß im Jahre 1912 eine Lähmung des Unterkörpers eintrat und ich seit dieser Zeit mein Leben meistens im Bett verbringen muß. Auf meiner Wanderschaft durch¬ treifte ich oft monatelang als Handwerksbursche die Länder, erlebte gute und böse Zeiten, fand Arbeit in einem Eiswerke, Ziegelei oder Fabrik, reiste mit einem Zirkus, Theatertruppe und verschiedenen Schaustellern Es würde ein ansehnliches Buch füllen, wollte ich all die erlebten Aben¬ teuer ernster und heiterer Natur niederschreiben. Oft kam ich aus kritischen Lagen durch glücklichen Zufall oder mutige Draufgängerei mit heiler Haut davon. Aber in all dem wechselreichen Leben verlor ich nicht die Liebe zur Heimat und in der Krankheit nicht den Drang nach Arbeit und Betätigung. Nach meiner Pensionierung und Eintritt der Lähmung erlahmte jedoch mein Wandertrieb noch nicht und ich verbrachte noch viele Jahre in Medo¬ nost bei Dauba, Lobositz, Wellemin am Donnersberge, Böhm.=Leipa, Königs¬ wald im Erzgebirge, Bodenbach, Leitmeritz, Aussig und kam nach fast 33jäh¬ rigem Aufenthalte in der Fremde am 6. Jänner 1921 wohl als letzte Station wieder in meine Vaterstadt Reichenau zurück. Um in meinem schweren Leiden nicht ganz der Langeweile und Verzweiflung zu verfallen, befaßte ich mich hier mit verschiedenen Schreibereien für Vereine und Abfassung von Gedichten, sowie Festreden zu Gründungsfeiern.

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