Neue Revue vom 26. April 1956

MONDUNG DES HARNLEITERS heit schritt unaufhaltsam fort, und mit dem weiteren Zugrundegehen seiner Nieren wurden die Krankheitssymptome bedenklicher. Einen Monat nach der Hautüberpflan– zung konnte erkannt werden, daß die .Haut bei beiden Zwillingen eingeheilt war. Auch ein Zwillingsforscher gab sein Gutachten ab, das besagte, daß die beiden Brüder mit größter Wahrscheinlichkeit eineiig seien. Es war jetzt höchste Zeit, an die Uberpflanzung heranzugehen, denn Walter hatte im besten Fall noch einige Wochen zu leben. An einem Dezembertag war die be– deutsame Operation angesetzt. Um 8.15 Uhr begann der Eingriff, um 9.53 Uhr wurde eine von Bernds Niereq in den Operationssaal gebracht. Sie sah' in dem Gefäß, in dem sie in einer Flüssigkeit lag, blaß und leblos aus. Schon vorher hat– ten die Chirurgen in der Gegend unter Walters Hüfte ein Lager für die Niere bereitet und gingen nun daran, Bernds - ----------' Niere dort an die Adern anzuschließen. EINE NIERE. SCHENKTE Bernd S. seinem todkranken Zwllllngsbruder Walter. Die Chir– urgen pflanzten das Organ nicht an d!e ge– wohnte Stelle, sondern In die Hüfte. Die übertragene Niere wurde an eine Arterie, an eine Vene und an die Blase angeschlossen. versucht ihn auszumerzen und auszu– scheiden. Sie und Ihr Bruder abe r sind aus genau demselben Stoff gemacht, während alle ande ren Menschen, auch nahe Verwandte, sich voneinander un– terscheiden .. . • . Sie glauben also •, sagte Bernd nach– denklich, . daß ich eine Niere für Walter opfern soll ... " . Ich will Sie nicht dazu überreden ", sagte der Arzt schnell, .aber es ist die einzige Chance für Walter, am Leben zu bleiben." .Und was riskiere ich dabei? " fragte Bernd weiter. . Nicht allzuviel •, setzte ihm de r Arzt auseinander. . Natürlich besteht die Ge– fahr, daß Sie die einzige Niere, die Ihnen dann bleibt, durch Erkrankung oder eine Verletzung verlieren, bei einem Verkehrsunfall zum Beispiel. Das würde natürlich unweigerlich das Ende bedeuten. Die Gefahr ist groß, zweifel– los, aber doch nicht so groß, daß ich un– bedingt davon abraten würde. Tausende von Menschen lebe n mit einer einzigen Niere .. .• .Gut", sagte Bernd ruhig, . ich bin bereit. Was muß ich tun?" Die Operation glückt Walte r wurde in eine chirurgische Klinik verlegt, an der bereits große Er– fahrungen mit N ierentransplantationen gemacht worden waren. Bei der Einliefer ung war er benommen und wußte nicht, wo er sich befand. Er war stark abgemagert und sah sehr blaß aus. Sein Zustand verschlimmerte sich täglich, 'er konnte weder essen noch Flüssigkeit bei sich behalten. Er war un– ruhig und redet~ irre. Es waren dies die Zeichen einer stän– dig zunehmenden Harnstoffvergiftung, - die den Körper langsam zugrunde gehen ließ. Die Nieren waren nicht mehr fähig, die Abfallprodukte auszuscheiden. Am v ierten Tag seines Aufenthalts in der chirurgischen Klinik wurde Walter an eine künstli.che Niere angesdllossen. Sein Blut wurde vier Stunden lang durch einen Apparat geleitet, der die giftig en Harnsubstanzen abfilterte. Natürlich konnte dieser Apparat auf die Dauer die Niere nicht ersetzen, aber es war mög– lidl, mit ihm eine kritische Zeit zu über– brücken und den Körper zu entlasten. Einen Tag danach war Walter wi eder klar, konnte essen und trinken und Medikamente einnehmen. Nun ging man daran, die Eineiigkeit der Brüder zu beweisen, denn nur dann konnte das Vorhaben vielleicht gelingen. Es wurden Hautläppchen bei beiden Brü– dern ausgeschnitten und von dem eine n auf den anderen überpflanzt. Nur be i eineiigen Zwillingen wächst die Ha ut des einen beim anderen ein und bleibt lebendig. Diese Möglichkeit des Haut– austausches ist wohl der sidlerste Be– weis dafür, daß Zwillinge aus einem ein– zigen befrudltete n Ei hervorgegangen sind. Walte r konnte vorläufig aus der Klinik entlassen werden, wurde aber ständig ambulant weiter überwacht. Seine Krank- Die Zeit drängte, denn die Niere durfte nicht länger als unbedingt nötig ohne Blut bleiben. So schnell wie möglich, aber dennoch mit peinlicher Sorgfalt, näh'te der Chirurg einen Zweig der Bauchaorta an die Nierenarterie. Dann wurde die Nierenvene angeschlossen. Um 11.15 Uhr war die Niere mit dem Blutkreislauf Walters verbunden. Eine Stunde und 22 Minuten war sie ohne Blut, also praktisch tot gewesen. .Alles fertig?" fragte der Chirurg seine Mitarbeiter, und dann : .Lösen Sie die Klemme n . . .• Die Assistenten nahmen die abschnürenden Zangen fort, durch die das Blut von dem überpflanzten Organ zurückgehalten worden war. Ge– spannt sahen alle Anwesenden auf das Organ und die angeschlossenen Gefäße. Waren die Nähte überall dicht? Das Blut strömte in die -blasse, schlaff daliegende Niere, in die Millionen fei– ne r Äderchen in ihrem Inneren. Sie schwoll an und straffte sich, dabei färbte sie sich in ein lebendiges Rot. Sie wurde von neuem Leben durchpulst. Die Chir– urgen pflanzten den Harnleiter in die Blase, und damit war die gewagte Ope– ration beendet. Wenige Stunden später sonderte die neue Niere Harn in großen Mengen ab. Aber das war zu erwarten gewesen, denn auch bei früheren Oberpflanzungen hat– ten die Nieren in der neuen Umgebung zunächst funktioniert. · Es. begannen lange Wöchen banger Erwartung, aber die Niere arbeitete ruhig weiter. Walter nahm 10 Pfund an Gewicht zu , die Wasseransammlungen in seinem Körper verschwanden, und sein Blutdruck sank auf 120 zu 60, war also vollkomme n normal. Röntgenaufnahmen zeigten, daß die Niere in seiner Hüfte größer wurde, wie jede andere· Niere auch, wenn die zweite herausgenommen werden mußte. Sie arbeitete jetzt für zwei. Die Monate vergingen. Walter mußte noch zweimal operiert werden, denn es zeigten sich kleine Schwankungen in seinem Zustand. Seine beiden Nieren, die er immer noch im Körper hatte, muß– ten herausgenommen werden. Sie wogen nur zwanzig und vierzig Gramm. Heute, übe r ein Jahr nach der Uber– pflanzung, ist Walter ein gesunder jun– ger Mann, d e r seiner Arbeit nad1geht wie jeder andere. Auch seinem Bruder geht es gut. Das Opfer war nicht umsonst. In der nächsten REVUE: Dr. A. W. SCHMIDT, Hamburg Ein Jurist greift einen Fall aus der Fülle der Prozesse auf, die täglich anstehen. Hinter jedem „Fall" steht das Leben: das echte Schiclcsal eines Menschen. In der übernächsten REVUE: Dr. Bernh. GRZIMEK, Frankfurt Jeder Bericht des Frankfurter Zoo– direktors vermittelt neue Eindrücke, Erfahrungen und Erkenntnisse. Immer spricht er als Forscher und Tierfreund. In der darauffolgenden REVUE: Dr. E. H. G. LUTZ, München Der medizinische Mitarbeiter führt die Leser der R EV U E In die ärztliche Praxis, an das Krankenbett, in ärzt– liche Laboratorien und Operationssäle. Sie • tst 81 J;IJ;JIIJ (IDJ;IJIJ;ß 31

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