Linzer Tages-Post vom 30. Juli 1905

Nr. 31 * Jahrgang W5. Sonntag, 30. Juli. UnterlMungskeilaM Nachdruck sämtlicher Artikel verboten. der Timer Tages-Pust. Die Stadtpfarrkirche in Steyr. Von Josef Harter (Skryr). (Mit zehn Abbildungen nach Aufnahmen von E. Prietzel in Steyr.) as der gewaltige St. Stephansdom, das allehr ­ würdige Wahrzeichen der Kaiserstadt am blauen Donaustrande, ist, das ist die althistorische Stadtpfarrkirche zum heiligen Gilgen für die landesfürstliche Stadt am Zusammenflüsse der Enns und der Steyr. Wie der Stephansdom Wiens Geschlechter kommen und gehen sah, das Schicksal seiner Bürgerschaft in den Tagen der Freude und des Leides mit dem seinen teilte, so ist die Stadtpfarrkirche zu Steyr mit der Geschichte der Stadt innigst verknüpft. Ihre Geschichte greift in eine dunkle Vergangen ­ heit des dreizehnten Jahrhunderts zurück, denn im zweiten Regierungsjahre des Papstes Honorius IV. hat selber 1287 die Kirche des heiligen Gilgen zu Steyr mit einem Ablaßbriefe bedacht, woraus zu ent ­ nehmen ist, daß die Stadtpfarrkirche zugleich mit den: Kloster Garsten erbaut, aber erst 1305 dem Abte Ulrich von Garsten mit allen Pfarrechten und Privi ­ legien seinem Kloster in Obhut übergeben wurde. Im Jahre 1437 wurde sie zur selbständigen Pfarre erhoben, wobei bestimmt wurde, daß die Pfarrerstclle von einem Konventualen des Stiftes Garsten zu be ­ setzen sei. 1304 erbaute Wolfgang Rumpl zu Ehren der Heiligen Veit, Achatius und Christoph eine Kapelle, die sich anschließend der Südwand der Kirche befand, bei Erweiterung der Kirche 1442 aber abgebrochen wurde. Ein spätgotischer Gedenkstein mit dem Bildnisse des Markgrafen Leopold des Heiligen bezeichnet noch die Stätte. 1360 wird die Stadtpfarrkirche als St. Gilgenkirche zum erstenmal urkundlich genannt, denn testamentarisch vererbte der reiche Steyrer Bürger Jakob Kündler ihr ein Gut in Mühlbach. Seit dieser Zeit fing man an, die Leichen nm die Kirche zu bestatten, bis man 1541 wegen der an der Pest Verstorbenen den Friedhof auflöste und diese in dem sogenannten Weichselgarten unmittelbar der Bruderhaus-Kirche begrub. Von dem Aussehen dieser romanischen Ursprungs ­ kirche ist der Nachwelt kein historischer Beleg, keine Zeichnung, nicht einmal ein Fragment erhalten ge ­ blieben, denn die Lutherianer, welche vom Jahre 1545 bis 21. Februar 1599 die Stadtpfarrkirche zu ihren gottesdienstlichen Funktionen innegehabt hatten, ver ­ brannten alle Bücher und Schriften, die an die alte Kirche erinnerten. Im Jahre 1442 wurde die alte Pfarrkirche nieder- gerissen und eine größere erstand nach den Entwürfen des berühmten Baumeisters von St. Stephan Hans Puchs ­ baum, welcher 1554 infolge eines Sturzes vom Gerüste des unausgebauten Nordturmes des Stephansdomes starb. Der von Hans Puchsbaum auf Pergament gezeichnete Original ­ grundplan der Steyrer Stadtpfarrkirche war Eigentum des Domarchivs von St. Stephan und wurde später dem Archiv der Akademie der bildenden Künste einverleibt. Weshalb der Bau der gotischen Kirche in Angriff genommen wurde, ist unnachweisbar, doch ist anzunehmen, daß die romanische Kirche für die wachsende Bevölkerung zu klein wurde und man sich genötigt sah, eine größere Kirche zu erbauen. Aber auch die edlen Formen der deutschen Hochgotik, die jugendliche Kühnheit, mit welchen alle Teile der gotischen Architektur in den zierlichsten Verjüngerungen himmelwärts - streben, mochten dem damaligen Zeitgeschmäcke passen, sowie auch das aufwärts strebende Ritter- und Bürgertum an ­ gespornt haben, an Stelle der schwerfälligen alten Kirche einen gotischen Dom erstehen zu lassen. Die Zeit der klassisch schönen Hochgotik war vorüber und der Versall trat ein; doch nicht Plötzlich. Es wäre ungerecht, die Spätgotik an die Grenze der Verfallsperiode zu setzen: sie birgt noch Kraft und Fortschritt, ihre technischen Früchte werden von keiner Zeitströmung geknickt; leider ging sie nur zu rasch der Zersetzung entgegen. Frankreich, die eigentliche Heimat der Gotik, wo der kunstgewandte Benediktinerabt Suger von St. Denis bei Paris seine konstruktiven Vorteile, den edlen Spitzbogen und die kühne Höhenentwicklung in seiner Stiftskirche mit meisterhafter Errungenschaft anwandte, blieb fortan in bezug auf die Früh- und Hochgotik vorherrschend. Langsam hielt der neue Stil in Deutschland und den benachbarten Ländern seinen Einzug, wo er als eine überreife Kunst eintraf. Daher trifft man in Süddeutschland nur Baudenkmäler der Spätgotik, zu derey herrlichsten Leistungen unstreitig der Stephansdom zu Will zählt. An ihm kann man deutlich die konstruktiven Abweichungen der Spätgotik erkennen; die drei Schiffe werden vom gleichen Dache überspannt, das Innere gewinnt an Groß- und Weiträumigkeit, dagegen sieht die äußere Ansicht verhältnismäßig kahl und leer aus. Die ganz gleiche Anordnung hat Hans Puchsbaum der Stadtpfarrkirche in Steyr gegeben; auch sie ist eine Hallenkirche, alle Schiffe haben beinahe die gleiche Höhe, ein gewaltiges Dach schützt das Gewölbe vor dem Ungemach des tobenden Wetters. Mr StaälpksrrkirMe in Stexr: Iloräanficht. Das Aeußere ist durch seine Höhe und die mächtigen Steinquadern überwältigend, jeder Schmuck, selbst die Be- krönung der Strebepfeiler, fehlt, nachdem^, diese bei dem Brande im Jahre 1522 vom einstürzenden Dache herab ­ geschleudert wurden. Als zweiter Baumeister übernahm Martin Kranschach die Bauleitung. Da er verschiedene Betrügereien ausführte, wurde er verhaftet, später jedoch in Gnaden entlassen. An seine Stelle trat Wolfgang Tenk, welcher vom Jahre 1482 bis zu seinem 1513 erfolgten Tode in unentwegtem Eifer den Bau leitete und beinahe fertig stellte. Ein herrlicher Grabstein, der ehemals an der äußeren Nordwand der Kirche aufgestellt war, bezeichnete die Grab ­ stätte des dritten Baumeisters; gegenwärtig befindet sich selber an der Südwand im Innern der Kirche. Er ist ein steinernes Wahrzeichen aus der Geschichte der Stadt ­ pfarrkirche, ein Meisterwerk der Bildhauerkunst seiner Zeit, ein ihm würdiges Denkmal, welches die Steyrer Bürger in dankbarer Erinnerung dem Meister widmeten. Durch die Reichhaltigkeit, den ties religiösen Gedanken und die seltene Komposition gehört selber zu den herrlichsten Leistungen gotischer Plastik, die in Oesterreich zu zählen sind. Meister Tenk, im frommen Gebete versunken, kniet vor dem Ge ­ kreuzigten. Von der Figur ausgehend, windet sich ein Spruchband mit unleserlicher Schrift um den Kreuzstamm, an dessen Fuß Tenks Steinmetzzeichen ersichtlich ist. Rechter- seits hält ein Steinmetzlehrling ein Wappen; aus einer stilisierten Wolke greift ein gepanzerter Arm hervor, welcher einen Flächenhammer hält. Aus spätgotischen Ornament ­ knospen entwachsen vier gekrönte Halbfiguren, die verschiedene Arbeiten des Steinmetzgewerbes ausführen; diese vier Stein- metze repräsentieren die Patrone des Bauwesens und wurden seit 715 in den Bauhütten verehrt. Die Handlung ihrer Legende greift in das dritte Jahrhundert zurück, wo selbe unter den Namen Serinus, Severianus, Karpophorus und Viktorinus erscheinen und auf Befehl des Kaisers Diokletian in Pannonicn sür den christlichen Glauben den Märtyrertod erlitten. Sie weigerten sich, dem Kaiser das Standbild Aeskulaps zu meißeln, worauf er sie lebendig in bleierne Särge legen und in die Save werfen ließ. Jedoch nach zweiundvierzig Tagen wurden die Särge durch einen Christen namens Nikodemus gehoben, der sie in seinem Hause ver ­ wahrte. — Die am Grabsteine eingemeißelte Inschrift ist die einzig richtige Angabe von Tenks erfolgtem Ableben; selbe lautet: „Hie leit begraben der erbar Master volf- gang tenc schtanmez der paumaister ist gebesen hie pei diser chirche dem got gnädig sei der gestorben ist an erchtag nach des heiligt ckreiztag erhebum ^uuo äomiui 15 13." Hans Schwedchorer vollendete 1522 nach neun- undsiebzigjähriger Bauzeit „den herrlichen Äom mit seinem hohen Turm", wie ein alter Chronist schreibt. In den ersten Jahrzehnten des sechzehnten Jahr ­ hunderts war Steyr durch verheerende Brände arg heimgesucht, wodurch auch die Beiträge zum Kirchen- bau gering waren. Bei dem dritten großen Brande, der am 18. März 1522, 10 Uhr vormittags, im Stadtbade ausbrach, fielen der Neubau der Stadt ­ pfarrkirche, der Pfarrhof, die Dominikanerkirche, zwei Stadtbefestigungstore (Gilgen- und Neutor), sowie 55 Häuser am Stadtplatze, Grünmarkt und Pfarr- gasse dem wütenden Elemente zum Opfer. Der Kirchenbau war beinahe fertiggestellt, nur die darin befindlichen Gerüste standen noch, denn in den nächsten Tagen sollte die feierliche Schlußsteinsetzung am Ge ­ wölbe stattfinden. Der Dachstuhl, die meisten Altäre, die Kanzel und die Glocken im Turme wurden voll ­ ständig vernichtet. Mit dem emstürzenden Dach ­ gerüste, welches nach d'pr Südseite zwischen der Margaretenkapelle fiel, wurden sämtliche Fialen und andere architektonische Zierden herabgeworfen, die untersten Partien erlitten infolge des riesigen Glut ­ haufens, der sich da auftürmte, die ärgsten Schäden. Der Stadtrat beschloß, die Kirche ausbessern, den Turm ausbauen, Orgel und Glocken neuanschaffen zu lassen, trotzdem blieb der Bau bis 1628, also mehr als ein Jahrhundert, als Ruine stehen, da die herbeigerufenen Baumeister die Bündelpfeiler für zu schwach erklärten, um ein so großes Gewölbe tragen zu können. Die Ausbesserung beschränkte sich daher in notdürftigster Weise auf die vorderen Partien. 1554 wurde das große Portal aufgeführt und 1569 in der Turmkapelle der wundervolle Taufstein auf ­ gestellt, der noch vorhanden und als eines der wenigen noch bestehenden Fragmente aus der alten Stadtpfarr ­ kirche erhalten ist. Wegen seiner ungewöhnlichen Fülle ent ­ zückender Reliefbilder lenkt er die vollste Aufmerksamkeit jedes Kunstkenners auf sich. Der Taufstein hat die Ziborienform und ist aus Holz angefertigt, der spätgotisch reiche Knauf ist bereits morsch geworden, ganze Partien von Reliefen sind herabgerisfen und herausgestemmt, wodurch das nackte Holz zum Vorschein tritt und selber einer gründlichen Restaurierung eines aka ­ demisch geschulten Bildhauers dringend bedürfte. Die Reliefs, welche ausmontiert sind, erinnern an die Schule Lorenzo Ghibertis von Florenz. Die opferwillige Bürgerschaft spendete sechs Altäre, die in der Kirche und in den einzelnen Kapellen Aufstellung fanden. Der Hochaltar war den beiden Kirchenpatronen Aegidius und Koloman geweiht, später, als die Protestanten die Kirche in Besitz nahmen, wurde er entfernt und von ihnen ein anderer erbaut, den 1599 eine kaiserliche Kom ­ mission wieder hinausschaffte. Die Stadträte wurden des ­ wegen ernstlich ins Verhör genommen, entschuldigten sich damit, daß dies vor ihrer Amtseinsetzung geschah und auch die Aebte von Garsten keinen Einspruch erhoben hätten. Hans Fuxberger erbaute einen Altar zu Ehren der Heiligen Christoph, Erasmus und Anna, der 1527 eich wurde. In der Turmkapelle stand der von der Elendzeche gestiftete Leonhardi-Altar. Oberhalb der Sakristei, wohin ein inter ­ essanter Stiegenaufgang und eine Galerie führt, war eine Kapelle; hier stand der von Friedrich Förster gestiftete Allerheiligen-Altar. Derzeit ist der Raum entweiht und wird als Paramentenkammer verwendet, wo ein mit gotischer Schnitzerei reichbedecktcr Schränk mit einigen höchst inter ­ essanten Eisenbeschlägen aus dem fünfzehnten Jahrhundert zu sehen ist, der das älteste Küchengerät ist, das der Kirche erhalten blieb. Die Elendzeche errichtete noch den Zwölsboten- Altar, dem ein Benefiziat beigegeben war. Die Familie Kriechbaum stiftete zu Ehren des heiligen Kreuzes einen

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