Oberösterreich, 37. Jahrgang, Heft 4, 1987

Bemalte Möbel des 20. Jahrhunderts Franz C. Lipp Wie in der Malkunst zwischen Vorder- und Hintergrund unterschieden wird, wobei sich das eigentliche Geschehen meist im Zwi schenfeld abspielt, wird man auch bei einer Darstellung des bemalten Möbels der letzten hundert Jahre unterscheiden müssen, was als schließiiches Ergebnis auf die Rampe der Betrachtung gerückt wurde und was die ver ursachenden Kräfte im Hintergrund waren oder gewesen sein mochten. Hier geht es primär um die Darstellung der Resultate. Das 20. Jahrhundert war keine Hoch-Zeit des bemalten Möbels mehr wie etwa der Zeitraum zwischen 1760 und 1860. Das Quellwasser naiver Gestaltungsfreude, die allenthalben in ganz Mitteleuropa, aber besonders fröhlich und erfreulich im süd deutsch-österreichischen Raum erblühte, war allmählich versiegt und einer intellektuel len, reflektierten Betrachtungsweise gewi chen. Möbelbemalung, stets in engem Zu sammenhang mit „Volkskunst" und „Bauernmalerei" begriffen, ist aus einer selbstverständlichen Praxis — in der Regel, nicht immer — zu einer meist Aufsehen erregenden, vielbestaunten Extratour einzel ner Künstler geworden. Der bemalte Schrank oder Schrein war nicht mehr Möbel schlecht hin, sondern Bildträger oder dekoratives Ver satzstück geworden, dessen Funktion neben sächlich und von einer anderen, neuen Bedeutung abgelöst wurde. Werfen wir einen Blick auf die Anfänge dieser Entwicklung, die gerade gut hundert Jahre zurückliegt. Um 1880 malt Johann Baptist Weng/er (1816—1899) in die Felder eines aus gedienten Bauernschrankes, dessen Malerei dem Besitzer nicht mehr besonders zu gefal len schien, nach bewährtem Vorgang die vier Jahreszeiten. Nicht das Thema, aber der so ziale Standort und die Art und Weise der Dar stellung sind neu. Nun sind es nicht mehr bloß formelhafte Allegorien, sondern bekann te Menschen aus dem Innviertel, die Mutter des Künstlers, die den Winter symbolisiert, Nachbarinnen und Dorfschöne, die Sommer und Herbst versinnbilden. Nur den Frühling hat Wengler von seinem Malerkollegen Mo ritz von Schwind entlehnt, jenes taufrische Mädchen mit der Hutschaukel, das bereits zu einer Symbolfigur des österreichischen Bie dermeier geworden war. Noch steht das Werk des akademischen Malers und St. Radegun der Bauernsohnes thematisch ganz in der Tradition, so wie er ja auch Votivbiider gemalt hat, jedes ein „Wengler", aber ganz in der überlieferten Ordnung und Gewohnheit. So gar Entwürfe für „Schrotgangin", d. h. hoch deutsch für „ausgesägte Balkonbretter", hat er gemacht und nun noch diesen Schrank. Um dieselbe Zeit, d. h. genau 1889, läuft die „echte", „naive" Möbelmalerei für bäuerliche Auftraggeber aus. Georg Kranzimüller, Enkel sohn des berühmten „Tischlers in Moos" Ge org Praitwiser, maite noch 1889 ganz in der Manier seiner Vorgänger eine Truhe mit Drei felderteilung und Blumenstöcken; man merkt es ihr nicht einmal an, daß diese aiten For meln bereits zu Floskeln geworden waren. Die Freude an der „bunten Pracht der Bau ernmöbel" hatte sich schon geraume Zeit vor her überlebt. Es konnte passieren, daß man ganze Hochzeitsausstattungen, die man, weil es so Brauch gewesen war, hatte bema len lassen, gar nicht mehr verwendete, son dern in einer finsteren Kammer abstellte, wo sie niemand mehr sehen konnte, weil man sich schämte sie herzuzeigen. Man wollte zu keiner Zeit „unmodern" erscheinen, auch der Bauer nicht. Hundert Jahre später hat man die „wie neuen", farbenfrisch erhaltenen Bauernmö bel um teures Geld verkaufen und den Erlös vielleicht einem Heiratsgut aus dem Kauf haus zuschlagen können. Denn schon um 1860 wurden die Möbel in der Regel auch auf dem Lande nur mehr braun angestrichen. Die braune Holzmaserungsimitation, der „Floder", hielt ihren Einzug. Inzwischen ist auch sie wieder durch mehr oder weniger „echte" Oberflächen (Furniere) der verschie denen Hölzer abgelöst worden, soferne ech tes Holz überhaupt noch als Werkstoff der Möbelerzeugung verblieben ist. Das Hoffnungswort für das bemälte Möbel des 20. Jahrhunderts blieb auch nach dem Untergang der Vielfarbigkeit zwischen 1860 und 1890 die „Oberfläche" des Holzes, deren Behandlung und Gestaltung natürlich modi schen Schwankungen unterlag. Zuerst mußte aber das Pendel nach der ex trem anderen Seite ausschlagen. Nachdem sich in den Jahrzehnten vor 1900 der „Makart-Stil", (in England „Dschungelstil", in Frankreich etwas hochtrabend als „Belle Epoque" bezeichnet) und „altdeutscher Stil" vermischt und integriert hatten, war mit dem „Fin de siede" schiießlich und endlich der Ju gendstil hervorgebrochen. Der englische Designer, Architekt und Satiri ker, Osbert Lancaster, schildert ihn so: „Der neue Stil . . . müsse klar und eindeutig mit allem, was unmittelbar vorausgegangen war, brechen und je glatter und schlichter er wäre, umso augenfälliger würde der Kontrast sein. Glücklicherweise waren die Voraussetzun gen schon zur Hand: seit den achtziger Jah ren lebten in den Seitengassen der großen Welt eine Handvoll Musensöhne, die nach Wiiliam Morris' Doktrin ein hochmütig einfa ches Dasein führten, sich mit handgewobe nem, pflanzengefärbten Leinen und nacktem ungeheizten Fichtenholzmobiiiar umgaben, ,aus des biederen Werkmannes Kammer'." Da haben wir es, das nackte Fichtenholz, das seither aus verschiedensten Antrieben her aus (ietzter Schrei als „abgebeiztes" Land hausmöbel) den Gegenpol zum bemalten Möbel darstellt. Auch in Deutschland und Österreich griffen die Ideen des Jugendstiles, etwas später allerdings als in England und Frankreich. Materialgerechtigkeit, techni sche Wahrhaftigkeit und praktische Benutzbarkeit: diese Merkmale des Jugendstil-Mö bels wurden auch die Leitformeln der im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts ge gründeten „Werkbund"-Vereinigungen (1907 Deutschland, 1912 Österreich, 1913 Schweiz), die ihrerseits wieder berühmte Werkstätten für das Kunsthandwerk ins Le ben riefen. In Wien waren allerdings der Gründung des Werkbundes die „Wiener Werkstätten" schon zehn Jahre vorausgegan gen. Gründungsväter waren Kola Moser (1868—1918) und Josef Hoffmann (1870— 1956). Beide Künstler bevorzugten bei ihren Möbeln einen glatten, kubistischen Stil. Aber während K. Moser die klaren Kuben seiner Möbel mit Intarsien aus seltenen Hölzern, Vergoldungen und Metalleinlagen belebt, ris kiert J. Hoffmann bereits als Vorgriff auf die Farbe Schwarzweiß-Effekte, indem er z. B. schwarz gebeizte Eichenmöbel, in deren Ma serung weiße Farbe gerieben wurde, mit Grif fen aus weißem Metall versah. Das Ornament reduziert er in der Regel auf die streng geo metrischen schwarzweißen Formen des Qua drats oder Dreiecks. Es gibt aber aus den zwanziger Jahren bereits Beispiele für farbi ge Gestaltung kleiner Einzelmöbel, gestelz ter Schreine z. B., die mehrfarbig mit dichten floralen Ornamenten überzogen sind. Es handelte sich dabei aber um Unikate, denen die Breitenwirkung versagt blieb. Einer der Gründe für den zunächst bestehen den Widerwillen gegen das bemalte Möbel war die Angst vor dem Ornament. Solange als Tendenz der reine Werkstoff, die ungeglie derte Fläche und das nackte Holz ausgege ben wurden, war für Florales, Figurales oder Tiergestaltiges kein Platz. Höchstens das geometrische oder rein abstrakte Ornament hatte Chancen. Die Bemühungen um das Or nament, dessen Problematik sich in den spätromantischen Zelten des 19. Jahrhun derts zu Tode liefen, waren eigentlich nie beendet. So nimmt es nicht wunder, daß eine der grundlegenden Arbeiten darüber, „Das elementare Ornament und seine Gesetzlich keit" von Wolfgang v. Wersin in drei Auflagen erscheinen konnte. Etwa gleichzeitig setzt aber auch die inhaltliche Auseinanderset zung mit dem Ornament ein. Eine vielfach weltanschaulich oder religiös engagierte Sinnbiidforschung, besonders in den Jahren zwischen 1920 und 1950, versuchte die Frage

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