Oberösterreich, 37. Jahrgang, Heft 4, 1987

Altes Brauchtum in neuer Heimat Alexander Jalkotzy Noch während des zweiten Weltkrieges und auch nachher verließen viele deutsche Sied ler ihre Heimat in Gebieten der Tschecho slowakei, Rumäniens, Ungarns und Jugosla wiens. Die Kriegsereignisse brachten es mit sich, daß eine Vöikerbewegung unvorstellba ren Ausmaßes über Europa hereinbrach, eine Folge des Angriffskrieges und der Aus breitungstendenzen von Hitler-Deutsch land, aber auch bedingt durch die Beset zung der Alliierten. Für diese deutsch sprechenden Siedler, die in tage- und wo chenlangen harten Märschen das heutige Territorium von Österreich und der Bundesre publik Deutschland erreichten, entstand bald der Ausdruck „Heimatvertriebene". Ober österreich wurde zu einem Hauptaufnahme gebiet der aus dem Südostraum und dem böhmisch-mährischen Raum rückflutenden Heimatvertriebenen. Von den mehr als 1,5 Millionen Flüchtlingen, die sich 1945 in Ober österreich befanden, haben über zwei Drittel in den ersten Nachkriegsjahren das Land wieder verlassen. Viele Volksdeutsche aber haben in Österreich ihre zweite Heimat ge funden. Das Siedlungsgebiet der Sudetendeutschen waren die Landstriche Böhmen und Mähren, die kreisförmig das anderssprachige Gebiet der Tschechen umgaben. Einige deutsche Sprachinseln sind auch innerhalb des tsche chischen Raumes zu finden gewesen. Die ei gentliche Geschichte der Sudetendeutschen begann im 9. und 10. Jahrhundert, als deut sche Adelige, Priester und Handelsreisende in das Land kamen. Von großer Bedeutung war auch die Entstehung eines deutschen Städtewesens in diesem Raum. Im 17. und 18. Jahrhundert besiedelten immer mehr Deut sche das Sudetenland, doch stagnierte dann die Einwanderung, bedingt auch durch Schwierigkeiten, die zwischen Deutschen und Tschechen auftraten. Die Siebenbürger Sachsen tragen wie die Donauschwaben einen Namen, der nicht ihrem Herkunftsland entspricht. Die ersten Ansiedler im heutigen Rumänien waren näm lich Rhein-und Moselfranken. Die Einwande rung der Siebenbürger Sachsen erfolgte 1141 bis 1161. Den Anfang machten vorwiegend waffentragende Bauern, Grenzwächter, deren Aufgabe es war, das Land mit der Waffe zu verteidigen, Landschaft zu kultivieren und schließlich Handel zu betreiben. Um während der Türkeneinfälle Schutz zu bieten, wurden im 15. Jahrhundert zahlreiche Gotteshäuser zu Kirchenburgen umgebaut und die Städte mit Stadtmauern und Wehrtürmen vor An greifern gesichert. Die Siebenbürger Sach sen bekennen sich bis heute zum evangeli schen Glauben, ohne jemals Restriktiven verspürt zu haben. Kirche und Schule waren Margarete Pausinger (1880—1955), Bessarabische Flüchtlingsfrauen, Holzschnitt 1942. Foto: Erich Widder, Linz hervorragende Bildungsstätten und Vermitt ler alten Kulturgutes und Brauchtums. Die Donauschwaben kommen aus dem süd osteuropäischen Raum und siedelten einst im Bereich der mittleren Donau, von der pannonischen Ebene bis zur Marosch und zum siebenbürgischen Karpatenland; bekannt sind die beiden größten Gebiete Batschka und Banat. Im Banat ließen sich vor allem Bauern und Handwerker mit römisch-katholi schem Glauben nieder. Nach der Vertreibung der Türken zu Beginn des 18. Jahrhunderts erfolgte unter der österreichischen Militärver waltung eine Neubesiedlung der entvölker ten Gegend. Weitere deutsche Kolonisten ka men während der Regierungszeit Maria Theresias und Kaiser Josefs II. in den Banat. Als 1687 die Batschka in österreichische Hän de kam, verlief dort die Kolonisationsbewe gung nicht in Schüben, sondern sehr konti nuierlich. Die Bezeichnung „Schwabe" wurde von den Nachbarn, den Serben, Ungarn und Rumänen geprägt; die Vorfahren dieser Deutschen sind jedoch nie Bewohner des Schwabenlandes gewesen. Die Karpatendeutschen siedelten auf drei Sprachinseln in der Ober- und Unterzips und im Gebiet um Deutsch-Proben und Kremnitz. Weiters gibt es noch Bukowinadeutsche, Po lendeutsche und Deutsche aus dem russi schen Raum. Aus allen diesen Gebieten wurden nun die deutschen Volksgruppen durch Krieg, Not und politische Umstände vertrieben, wurden Heimatlose, bis sie unter anderem auch in Österreich Aufnahme fanden. Nach dem Krieg waren die Volksdeutschen vorerst in Baracken untergebracht, doch bald entstan den dank der Tüchtigkeit und des Fleißes dieser Menschen Siedlungen der einzelnen Landsmannschaften, in denen bis zum heuti gen Tag Brauchtum praktiziert und Gemein schaft gelebt wird. Vor den Toren von Linz, im Gebiet von Traun und Haid, in der Welser Hei de, in Pasching und Neubau wuchsen die Ei genheime der Volksdeutschen in kürzester Zeit aus dem Boden ihrer neuen Heimat. Die Siebenbürger Sachsen vor allem, die sich fast ausschließlich zum evangelischen Glau ben bekennen, bewohnen ganze geschlosse ne Viertel in Traun, Haid und im Bezirk Vöcklabruck. Die Sudetendeutschen dagegen siedeln nicht in räumlichen Einheiten, son dern sind über ganz Oberösterreich ver streut. Eine Erwähnung verdient auch die Pa tenstadt Wels. Sie hat vor 23 Jahren mit den Heimatvertriebenen Partnerschaft geschlos sen und seit dieser Zeit hält diese gedeihli che Bindung an. Beweise dafür sind Festta ge, die in Wels abgehalten werden, diverse Unterstützungen der einzelnen Volksgrup pen, Aktivitäten im Rahmen der Welser Mes se und nicht zuletzt das Museum der Heimat vertriebenen in der Welser Burg. Die einzelnen Volksgruppen finden sich oft zu Veranstaltungen und Treffen zusammen, um hierbei ihre Gemeinschaft unter Beweis stellen zu können, augenscheinlich wohl am ehesten, wenn sie sich in ihrer Tracht zeigen oder kunsthandwerkliche Gegenstände ferti gen. Brauchtum und Lebensweise ihrer Vor fahren werden durch die intakte Gemein schaft weiter gepflegt, wenngleich die jüngeren Mitglieder naturgemäß nicht mehr diese intensive Beziehung zu Brauch und Sit te der Generationen vor ihnen haben; sind sie doch bereits in Österreich aufgewachsen und mit der Kultur unseres alpenländischen Rau mes mehr vertraut als etwa mit der aus einem Schönhengstgau oder dem Banat. Die vielen Jahre des Lebens in einem Staat, mit einem anderen Volksstamm, bringen es natürlich mit sich, daß so mancher von altersher über nommene Brauch verflacht und man sich der Lebensart in der neuen Heimat anpaßt. Und so bekunden die Landsmannschaften auch stets, daß sie sich als Österreicher fühlen, als 37

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