Oberösterreich, 37. Jahrgang, Heft 1, 1987

Wir gehn über Berg, über Brucken und Steg zur damischen Stadt mit ihr'm Rauchfanggeheg', weißt, dort, wo vom Teuxel die Zinsburgen stehn. B'hüt Gott! Wirst uns nimmermehr sehn. Weit hin übers Land schlagt die Wachtel; bitt! bittl Fein munter der Mauskuckuck schreit. Die Sensen, einmal in der guten Zeit g'schmied't, sie rauschen hint her von der Wiesen im Schnitt. Und d' Hausdirn schaut nach uns zwei Gsellen noch weit, hört zu, wie der Mauskuckuck schreit . . ." Was war das damals, vor dem Ersten Weltkrieg, doch für eine gemütliche Zeit bei aller Mühe und Plage! Allein diese originelle Lebensbeschreibung hätte längst in jeder österreichischen Literaturgeschichte stehen müssen, wie sie ja nur zu oft Schreibenden einen großen Platz eingeräumt hat, ohne daß die Nachfahren davon entzückt gewesen sind. Nachträglich hat Anton Forcher in einem Gedicht „Meinen Eltern zu Ehr und Gedenken" festgehalten, wie es zu seinem Erdenwandel gekommen ist, eine nicht all tägliche Dichtung. Durchs Ennsland rauschte die Oktobernacht. Ob allen Gründen flammte Sternensegen. Noch war der Wochentag nicht aufgewacht zu Erzgeklirr und Achsgekreisch auf Wegen im Steyrtale: nur vor Werk und Schicht verlor sich da und dort ein Wächterlicht. Es war die Wehestunde schon vorbei . . . Der Schritt des Pendels wandelte durchs Zimmer. Im Arm der Hebefrau des Buben Schrei gab meiner Mutter Angesicht den Schimmer der tiefsten Freude. Und im Öflein sang das Feuer leise zum Sekundengang. Drei Frauen wachten um den Erdensohn: Die Mutter ruhte auf Gepfühl und Linnen. Und ihre Schwester um des Himmels Lohn war Kindsbettmagd. Wie aus tiefem Sinnen sprach dann die Wehfrau auf das Bübel ein: „Wo mag zur Stunde wohl dein Vater sein?" Ja, wo zur Stunde wohl mein Vater war? Die Mutter schloß die Augen schmerzbeklommen. Doch ihre Schwester strich ihr sanft durchs Haar: „Sei still, sei stiU! Er wird ja wiederkommen!" Die Lampe flackte an der Stubenwand. Es rief ein Menschenleid durchs dunkle Land . . . Und Gram der Heimatfernen sprach mir zu: Dein Vater ging nach treu durchkämpften Tagen von Herd und Ehefrau, mein Kindlein du, für sie nach bess'rem Dach und Brot zu fragen, als einer, der in steter Wanderschaft, ein Lohnen sucht für seiner Fäuste Kraft! Und weiter sprach der Erdentblößten Leid: Hier deine Mutter in den schwersten Stunden — sie lebt in ihres Wesens schlichtem Kleid das Leben jener, die nur Müh gefunden, die ihre Werke dem Vergessen weihn und immer dienen, schweigen und verzeihn! In dunklem Winkel stand die Drechselbank. An schmalem Wandbrett steckten Pfeifenköpfe. Viel bunte Äpfel lagen auf dem Schrank. Und an den Fenstern standen Blumentöpfe. Ein neues Leben wies der Uhren Lauf. An fernen Bergen kam der Tag herauf . . . Dann war die Glockenstunde hergediehn für alle jene, die durchs Werkstor gmgen. Der erste Morgen meines Lebens schien, und wurde Tag — zu ferner Fluren Klingen, zu Herbstgemurmel an Gezweig und Blatt und Stahlgesang erwachter Eisenstadt! Anton Forcher hat seine Mutter wohl inniger geliebt als seinen Vater. Der Vater unseres Dichters starb während des Ersten Weltkrieges. Dieser frü he Tod hat den Sohn umso mehr zur Mutter hingeführt. Gottlob hatte Anton Forcher seine eigene Soldatenzeit in Serbien, Italien und Rußland gut überstanden. Über die kommende Zeit schreibt er in seinem knappen Lebensbild: „Der neuen Zeit wurde gelb, grün und rot vor den Augen. In diesem Far benspiel marschierte Anton Einsiedler wie ehedem hinter dem blauen Fähnchen seiner Einbildung her. Nun ging er wieder in die Fabrik, dies mal in Marktl im Traisental, und setzte es sich in den Kopf, neuerdings mit dem Lesen anzufangen. Deshalb kaufte er sich viele Bücher. Daneben gab es manchen Weltanschauungsstreit mit sich selbst und mit anderen . . . Auf einmal schoß vielen daheim die Reiselust in die Beine. Auch der noch immer semmelbackene junge Mann glaubte eine Ahnung davon zu ha ben, wie groß und saftig außer Landes die Paradiesäpfel sind. Es fanden sich Käufer für den Bücherhaufen. Die Strecke nach Hamburg und so weiter war frei. Nach Bezahlung der Seereise reichten die übriggebliebe nen fünf Dollars, zu denen die Papiermillionen der Heimat zusammenge schrumpft waren, kaum noch als Trinkgeld für den Steward. Erst suchte er die Küste Afrikas auf. Dann yachtete er hinüber nach Südamerika. Die Südamerikaner waren hocherfreut über seine Ankunft. Sie fragten ihn zwar nicht, in welcher Kinderstube er aufgewachsen war, wohl aber waren sie neugierig darauf, wieviel er denn Geld mitbrachte. Er wies nur leere Säcke und geflickte Hemden vor — durfte aber trotzdem unter ih nen in geflicktem Zustande verbleiben und mußte so schnell wie möglich trachten, die mitgebrachten Illusionen wie Flöhe von sich abzuschütteln. Schon im ersten Jahre hatte der neue ,Gringo' einen Sombrero auf und lernte die verschiedensten Weinsorten und Völkerschaften kennen. Die Welt wurde größer und hatte in ihrer dicksten Mitte ein Loch, durch das man in den vergangenen Himmel der anderen Erdhälfte gucken konnte. Vom Urwaldholzknecht und Erntepeon bis zum ,Feinschmecker' und Dolmetsch kostete er alle Suppen durch, von denen die meisten stark ver salzen waren. Auf Ozeandampfern gab es für Trimmer und Heizer Hammelfleisch und Erdäpfel genug, um daraufzukommen, daß auch über ewigen Gewässern noch ein Rest von Hundeleben zu finden ist. Wieder in Europa angekommen, war er ganz erstaunt darüber, daß er niemandem abgegangen sei. Doch wohl — seiner Mutter fehlte er schon seit langem. Ein dummer Witzvogel hat ihr aus Amerika geschrieben, der liebe Sohn sei,seinerzeit' im Urwald von einem Tiger verspeist worden. Ach ja — darum war sie auch fast zu Tode erschrocken, als Anton Ein siedler eines Nachts an ihr Zimmerfenster, zu ebener Erde, klopfte und ganz demütig erklärte, er sei schon wieder da . . . Die Heimat nahm ihn zuerst als Erdarbeiter, dann als Hilfsmonteur bei einer Wiener Elektrofirma auf, gab ihm nachher die Arbeitslosenunter stützung und die gute Lehre, daß, je älter man wird, umso dicker auch die Haut werde. 87

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