Oberösterreich, 33. Jahrgang, Heft 4, 1983

Kunst der Gegenwart Der Bildhauer Erwin Reiter Künstler und Pädagoge Wolfgang Hilger Jedem, der sich mit der zeitgenössischen österreichischen Plastik auseinandersetzt, wird ganz besonders die außerordentliche qualitative Dominanz jener Künstler auffallen, denen als Lehrer auf Österreichs Akademien und Kunsthochschulen die Ausbildung junger Bildhauer, Plastiker und Objektgestalter ob liegt. Dies war nicht immer so. Doch seit in Wien nach dem Krieg Fritz Wotruba an der Akademie der bildenden Künste und einige Jahre später Hans Knesi an der Hochschule für angewandte Kunst auf die Lehrstühle ge langten, verschwanden - bei aller Wahrung vernünftiger Traditionen - das Naturali stisch-Heroische und allzu Glatt-Akademi sche von den Hochschulen, und es etablierte sich eine auf den Prinzipien des Kubismus be ruhende oder zumindest die Reduktion auf Grundstrukturen anstrebende plastische Formensprache, die heute, also bereits im hi storischen Rückblick, selbst als ,,klassisch" bezeichnet werden kann. Ganz besonders um Fritz Wotruba formierte sich ein großer Schüierkreis, aus dem sich aber nurjene als eigenständige Persönlichkei ten lösen konnten, die das vom Meister Er lernte zur Basis der eigenen künstlerischen Weiterentwicklung nahmen und deren Kreati vität-befreit von den Zwängen, einem Vorbild zu folgen - neue Wege erschloß. Vor dieser hier angedeuteten Problematik, die sich aus der persönlichen Überwindung einer dominanten Lehrerpersönlichkeit ergibt, muß der Beginn von Erwin Reiters künstlerischem Weg gesehen werden. Heute, da er selbst als Lehrer an der Linzer Hochschule für Gestal tung tätig ist, wird ihm diese Problematik, gleichsam mit umgekehrten Vorzeichen, in besonderem Maße bewußt, ist er doch nun selbst Bezugsperson einer neuen Schülerge neration, der er jene Fähigkeiten vermitteln soll, die abermals ein eigenständiges Kunst schaffen ermöglichen. Erwin Reiter, 1933 in Julbach im nordwestli chen Mühiviertei, nahe der böhmischen Gren ze, als Sohn einfacher Leute geboren, hatte das nicht alitägliche Glück, in seiner ländlichen Umgebung durch einfühlsame Volks- und Hauptschuliehrer frühzeitig in seinen Fähig keiten und Neigungen erkannt und gefördert zu werden. Mit 13 Jahren hatte er mit seibstgefertigtem Werkzeug eine Geige gebastelt, worauf er im nahen Stift Schlägi 1947 eine Lehre als Geigenbauer begann. Von hier wechselte er jedoch bereits 1948 auf die altre nommierte Fachschule für Holzbildhauerei in Haiistatt. Zumindest in handwerklicher Hin sicht erlernte Reiter die perfekte Behandlung des Materials Holz und erwarb die Kenntnisse aller einem Werkstoff eigenen Möglichkeiten. Seinem Material stets gerecht zu werden. Porträtfoto Erwin Reiter blieb durch alle Jahre eine wesentliche Ma xime von Reiters Schaffen. Mit dem seit langem besten Abschlußzeugnis verließ Reiter Haiistatt und inskribierte 1953 an der Wiener Akademie bei Fritz Wotruba. Nach der nur zaghaft stilisierten, stets an ei nem naiven Naturvorbild orientierten For menwelt der Halistätter Schule sah sich Reiter nunmehr mit dem Kubismus seines Lehrers konfrontiert, der auf ein strenges, auf Reduk tion und archaische Monumentalität bedach tes Gestalten ausgerichtet war. Reiter unterwarf sich vorerst Wotrubas Kon zept, doch bereits in frühen Studienarbeiten begann sein Kampf um ein individuelles Kunstwollen. So entsprach vorerst eine männ liche Figur (1954) dem klaren Formkonzept Wotrubas, jenem kubischen Klassizismus, in dem jede subjektive Interpretation durch ein rationales Prinzip verdrängt wird. Reiter hat für sich die Gültigkeit dieser Figur bald darauf nicht mehr anerkannt. Daß er der Statue Kopf und Arme abschlug, den Körper überarbeitete und den Kopf fast naturalistisch weitergestal tete, sieht er selbst als Indiz seiner,,kritischen Wachheit" und als ,,aggressiven Hang zur Unabhängigkeit". Vergleichbar mit dieser ,,Seibstkorrektur" ist das Handeln von Reiters älterem Bildhauerkoliegen Alfred Hrdiicka, der eine biockhafte Figur, die von Wotruba sogar als Diplomarbeit akzeptiert worden war, später zum naturalistisch gestalteten Torso eines Gekreuzigten umarbeitete. Trotz der Spannungen und Differenzen, die sich zwischen starken Künstlerpersöniichkeiten ergeben mußten, verdankt Reiter seinem Lehrer Wotruba jene Erfahrungen, die ihm das auf frontal-achsiale Sicht bezogene Kompo nieren einer Figur überwinden halfen. Wie die Bildhauer des italienischen Manierismus strebte Reiter die integrierte Mehransichtigkeit an, ein von allen Blickwinkeln wirksames opti sches Bezugssystem, das erst im Umschrei ten einer Figur im wechselnden Spiel der Um risse deren volle Plastizität erkennen läßt. Diesen vollgültigen Schritt in die Dreidimensionalität wußte er sich ebenso zu erarbeiten wie die technische Bewältigung des während der Akademiezeit im Vordergrund stehenden Steinmaterials. Gegen Ende seines Studiums (1958/59) ent standen schlanke, wie aus gebündelten Kant stäben formierte Figuren. Noch sind es starre, entfernt antropomorphe Wesen, die ihre Arme in die Höhe strecken, salzsäulenartige Gestal ten, die sich - noch unter den Augen des ge strengen Lehrers - ihrer im Inneren verborge nen Dynamik nicht bewußt sind. 1959 erwirbt Reiterdas Diplom und lernt anschließend als Stipendiat Paris und seine Kunstschätze ken nen. So als habe die Abkehr von der Akademie ein mächtiges, stets unterdrücktes Bewegungsgefühi freigesetzt, so spontan beieben sich seit 1961 Reiters Piastiken. Rhythmische Wel len bemächtigen sich der zuvor statuarischen Gebilde. Ein Gotiker hat plötzlich Lust an ba rockem Uberschwang gefunden. Alsbald verknoten sich die quirligen und in Torsion befindlichen Figuren, deren gestalte rische Grundkonzeption meist auf der Ver schlingung vierkantiger Stäbe beruht, so daß ein letzthin logisches Konzept bei aller Kom plexheit der Form weiter erhalten bleibt. Die Welle als Gestaitungselement wurde für Rei ter entscheidend, und es wird wohl einer jener merkwürdigen und nachdenklich stimmenden Zufälle sein, daß gerade um jene Zeit, als das Element der Bewegung in die Plastiken ein drang, der Künstler von einem Arzt auf die formalen Parallelen von Kardiogrammen und seinen grafischen Arbeiten - die das plasti sche Schaffen stets begleiteten - aufmerksam gemacht wurde. Dem flüchtigen Betrachter von Reiters Arbei ten der frühen sechziger Jahre mag eine ge wisse formale Nähe zu Werken Andreas Ur teils auffallen. In der Tat bestand durch viele Jahre ein freundschaftlicher Kontakt zu dem 49

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2