Oberösterreich, 33. Jahrgang, Heft 4, 1983

Eine alte industrieregion und ihr Niedergang Die Eisenindustrie des Erlauftales vom 16. bis zum 19. Jahrhundert Roman Sandgruber Eisenwurzen, „Eisenwurzel", bezog sich ur sprünglich auf den steirischen Erzberg, der diese Bezeichnung schon im 12. Jahrhundert führte. Allmählich kam es zu einer Bedeu tungsverschiebung. Nun verstand man unter ,,Eisenwurzen" das Eisenindustriegebiet, das sich im Norden an die unmittelbare Erzberg umgebung anschloß, im besonderen aber den im Niederösterreichischen gelegenen Teil, das Voralpengebiet zwischen Erlauf und Ybbs, also jene Landschaft, die ehemals durch eine intensive Kleineisenindustrie ge kennzeichnet war. Der Erzberg ist das Herz der Eisenwurzen. Seine Lage allerdings zwang den Leuten ein kompliziertes wirtschaftliches System auf. Die Standorte waren energieorientiert. Die Grund lage bildeten die Erzvorkommen, um die sich in nahezu konzentrischen Kreisen die stufen weise Verarbeitung des Eisens vollzog. Die Wälder lieferten die Holzkohle, die Flüsse, vor allem die kleinen Nebenbäche, die nötige Energie für den Betrieb der Hämmer. In nächster Nähe der Erzvorkommen standen die Schmelzöfen, die Stucköfen oder Radwer ke, in denen die Stucke oder Maße erschmol zen wurden, große Eisenklumpen, die in den sogenannten Welschhämmern zu schmied barem Eisen weiterverarbeitet wurden. Die Stucköfen lieferten neben dem Maßeisen auch einen bestimmten Prozentsatz relativ kohlenstoffreichen Roheisens, Abfalleisen oder Graglach, das einem weiteren Frischpro zeß unterzogen werden mußte. Das erfolgte in sogenannten Zerrennhämmern. In Streck hämmern, Knittelhämmern, Blechhämmern etc. wurde das Eisen weiterbearbeitet. Sen sen- und Sichelhämmer, Pfannenhämmer, Hackenschmiede und die zahlreichen Klein eisengewerbe von den Ahlschmieden bis zu den Zirkelschmieden bildeten die letzte und am weitesten vom Erzberg entfernte Stufe der Verarbeitung. Die Eisenverarbeitung der niederösterreichi schen Eisenwurzen zeigte eine Spezialisie rung und Mannigfaltigkeit, wie sie sonst nir gends in der Monarchie zu finden war. Es war Kleineisenindustrie. Der Begriff war zwar erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zur Abgrenzung gegenüber den immer mächtiger und konzentrierter auftretenden Großbetrie ben geprägt worden, kennzeichnete aber nicht nur die Betriebsgröße, sondern auch die Er zeugnisse: Kleinmaterial, Werkzeuge, Be schläge. Das traditionelle Bild dieser Klein eisenindustrie der Eisenwurzen hatte sich, von wenigen Ausnahmen abgesehen, bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts wenig geändert. Kennzeichnend für diese Gewerbelandschaft war die enge Verbindung von Industrie und Landwirtschaft. Die Landwirtschaft lieferte Le bensmittel und Holz. Die Landwirtschaft war auch der Hauptkunde für die Produkte: Pflug eisen, Wagenbeschläge, Faßreifen, Sicheln und Sensen, Ketten, Hufeisen, Nägel, Hacken und Hauen, Rebmesser, Beschläge aller Art. Die Agrarkonjunktur des 16. Jahrhunderts und das rasche Bevölkerungswachstum in diesem Jahrhundert führten zu einer kräftigen Aus dehnung der Nachfrage nach agrarischen In vestitionsgütern, vor allem Eisen und Eisen waren, am offensichtlichsten in der Sensenund Sichelerzeugung, in quantitativ noch stär kerem Ausmaß aber wohl bei Fahrzeugen, Beschlägen, Nägeln und ähnlichem Kleinma terial. Die Eisenproduktion am Erzberg stieg damals sehr stark an. Das erhöhte auch die Bevölkerungskonzentration in seiner Umge bung. Der Handel mit Lebensmitteln, der Überschuß, den das Alpenvorland und Voralpenland bei Getreide und Schmalz erwirtschaften konnte, hatte dem Erlauf- und Ybbstal seine beson dere Stellung im System der frühneuzeitlichen Eisenerzeugung vermittelt. Je höher die Ei senproduktion stieg, je stärker die Bevölke rungskonzentration im rauhen und unwirtli chen Land um den Erzberg wurde, umso mehr mußten Lebensmittel von außen zugeführt werden. Schon im 15. Jahrhundert war das Erlauftal den Radwerken von Innerberg, heute Eisenerz, als Lebensmitteleinkaufsbezirk, Proviantbezirk, zugewiesen worden, wenn auch in recht allgemeiner Form. Im 16. Jahr hundert entwickelte sich daraus ein kompli ziertes System von Verpflichtungen, Rechten und Abhängigkeitsverhältnissen: die drei Märkte Scheibbs, Purgstall und Gresten mit einem Gebiet vier Meilen um Scheibbs wurden den Radmeistern als Proviantbezirk zugeteilt, Waidhofen mit einem Dreimeilenbezirk den Welschhammermeistern. Als Gegenfracht wurde den drei Proviantmärkten das Abfall eisen gegeben, das im oberen Ybbstal und im Erlauftal von den dortigen Schmieden verar beitet wurde. 1561 war durch eine leistungsfähige Straße über die Mendling der Warenverkehr vom oberen Ybbstal ins Ennstal wesentlich erleich tert worden, nachdem schon Ende des 15. Jahrhunderts die sogenannte Dreimärkte straße über den Grubberg vom Erlauftal ins Ybbstal gebaut worden war. Die DreimärkteEisenstraße führte von Landl, wo sie von der Eisenstraße Eisenerz-Steyr abzweigte, über den Mendlingpaß nach Göstling, ybbsaufwärts weiter nach Lunz und über den Grub berg nach Gaming, wo sie nach Gresten ei nerseits und Scheibbs und Purgstall anderer seits weiterführte. Damit wurde die Stellung des Erlauftales in der Eisenverarbeitung im merwichtiger. Die Proviant- und Eisenhändler der drei Märkte lieferten Agrarprodukte, die sie im Proviantbezirk aufkauften, vor allem Wei zen, Roggen und Butterschmalz, nach Inner berg und bezogen dafür Roheisen (Hart, Gra glach und Waschwerk), das sie bei den drei zehn Großzerrennhammermeistern des obe ren Ybbstales und vierzehn Kleinzerrennhammermeistern des Erlauftales im Verlag verarbeiten ließen und dann an die Eisen händler in den Legorten, Krems, Korneuburg und Wien weiterverkauften. Die Schwierigkeiten des Provianthandels la gen in der wechselseitigen Abstimmung der Roheisen- und Lebensmittelpreise. Die Re gierung wollte mit einer amtlichen Regelung ein einerseits gerechtes und andererseits die Produktion förderndes System erreichen. Die Eisenpreise, die für einen längeren Zeitraum in den sogenannten Eisensatzordnungen festgelegt und amtlich geregelt waren, mußten mit den von der jeweiligen Erntesituation ab hängigen und sehr sprunghaft wechselnden Lebensmittelpreisen in Einklang gebracht werden. Das sicherte den Eisenhändlern zwar ein bestimmtes Einkommen, brachte aber be trächtliche Ungleichgewichte, führte in man chen Jahren zu hohen Produktionsüber schüssen, in anderen aber wieder zu Eisen mangel und Verknappung. Die Organisation der Widmung hatte es mit sich gebracht, daß die Eisenhändler sich nicht nur im Vertrieb der Endprodukte betätigten, sondern sich über den Lebensmittelhandel auch der Rohstoffvermittlung bemächtigten und die Handwerker völlig von sich abhängig machen konnten. Die Stetigkeit des Verlags konnte zwar auch den Hammermeistern einen gesicherten Lebensstandard ermöglichen, Kapitalbildung und unternehmerisches Ver halten aber konnte von den in völliger Abhän gigkeit stehenden Hammermeistern nicht er wartet werden. Ein Ausbau der Betriebe wäre auch kaum zielführend gewesen, da vom Ver leger widmungsgemäß nur ein bestimmtes Quantum an Aufträgen zugeteilt werden konn te, eine vergrößerte oder modernisierte Be triebskapazität folglich ineffizient bleiben muß te. Das System funktionierte zweifellos nicht be friedigend, zumindest wenn man einen wachstumspolitischen Maßstab anlegt. Hatte man in dertheresianischen Zeit, als die Unzu friedenheit mit dem starren Korsett dieser Widmungsbestimmungen immer größer wur de, zuerst gehofft, durch noch rigorosere und detailliertere Reglementierung und Zentral steuerung das System verbessern zu können, so gelangte man in den siebziger Jahren des 18. Jahrhunderts immer mehr zu der Über zeugung, daß damit weder den ünternehmern noch der Gesamtwirtschaft gedient sei. Joseph II. ging daran, das gesamte Widmungs- und Regulierungssystem unbarmher zig zu zerschlagen und der freien, liberalen 35

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