Oberösterreich, 32. Jahrgang, Heft 4, 1982

Historische Kunst sers Heraclius zur Kreuztragung einzuschlie ßen; schiießiich könnte dadurch auch die für Menschen der Zeit schwer akzeptable Nach folge Christi psychoiogisch leichter gemacht worden sein. Die Wahl des Holzschnittes - die Kieine Kupferstichpassion hat das Thema an ders geformt - erfoigte dann nicht nur aus künstierischen, sondern auch aus inhaitiich überlegten Motiven. Abdämpfung der Detailerregung, um dadurch große dramatisch geschiossene Linien bioßzulegen - das ist auch in den übrigen Biidern vorhanden. Vieiieicht erschien schon deswe gen unserem Meister der scharfe Kontrast des Detailreichtums zur erschreckend überzeitli chen Abstraktheit des Innenbildes (Dürer) kor rekturbedürftig, etwa bei der Geißelung. Er ni velliert deshaib Rauminterieur und auch Teil nahme der Personen zu einer Sphäre, der große Emotionen fern sind. Beinahe eng für die Aktionen, zu intim, wirken nun die farbig reaiisierten Räume. Der von Dürer grundver schiedene Reaiismus zeigt sich darin, daß die Figuren ihre graphisch vertiefte, physiognomische Verzerrtheit abgestreift haben, auch die neutral agierenden Personen befinden sich in einem Zwischenstadium des Nachdenkens über das Geschehen hin zur bioßen Präsenz, die objektive Neutralität hat sich vermehrt. In der Ecce-homo-Szene ist überhaupt nur eine Figur, die spätgotische Gesten- und Gesichts turbulenz annähernd noch zuläßt: der Soldat mit überkreuzten Spottfingern, und der ist an die Peripherie geschoben. Die übrigen beob achten. Die Gestait am vorderen Rand ver schwand nun zur Gänze in ihrem Umhang und im Sinnieren. Die Ostensionspiattform wurde ebenfalis aus ihrer Abstraktheit überführt: ein metailisch glänzendes Gitter grenzt ab und schafft Umraum. Die neue Realitätsebene, die in den Haupttafein erreicht wurde, schuf aber im Mittelschrein eine eigenartige Problematik. Die Personen des Vorder- und Mittelgrundes befinden sich in einem spätgotischen, in ihrer Typenzugehö rigkeit wahrnehmbaren Habitus. Anders die gemalten Figuren des Hintergrundes: schon einmai ihr Gewand erscheint ,,moderner", zeitgemäß, und dann auch ihre jeweiis ver schiedene Individuaiität, d. h. hier nicht aus hi storischem Typenkonnex erkiärbar und herauszuiesen. Eine Reihe zeitgenössischer Persönlichkeiten aiso, die mit nicht ailzu gro ßer Anteiinahme (in der Neutralität des nachdenkiichen Betrachtens) in das Drama blikken.^ ^ Die Idee, an einem heilsgeschichtiichen Ereignis Persönlichkeiten des Lebens teiihaben zu lassen, wurde oft praktiziert (Stifter usw.), sie dürfte aber jetzt bei Aibrecht Dürer eine besondere, neue Aktuaiität deshalb be kommen haben, da nun die anwesenden Zeit genossen als solche entweder klar erkennbar oder sogar ausgewiesen wurden. Als Bei spiele seien genannt sein Rosenkranzfest (Prag) von 1506 und das Wiener Bild der Mar ter der zehntausend Christen (1508).'^ Woif Huber schwankt in der Verwendung seiner Physiognomien zwischen karikierender Fratzenhaftigkeit und Gesichtern von Menschen, die im grausigen Geschehen, etwa der Kreuz erhöhung (Wien, um 1525), ihre Pfiicht tun, sich aiso distanzieren, zur Nachdenklichkeit berührt sind. Recht gut hier der Mann mit Kap pe, der mit einer Stange das Kreuz aufstem men hiift. Im Dürerischen Rosenkranzfest sind sowohl Maria mit dem Kind als auch die adorierenden Zeitgenossen und auch der Künstler ohne Unterschiede ihres Reaiitätswertes ne beneinander abgebildet. Alle Köpfe zeigen eine ruhig gesammelte, nicht direkt vom Er eignis bewegte Expression. Für die Beter vor dem Gebertshamer Altar mag dies Einbrin gung des eigenen Lebens in das Heiiige be deutet haben, vielleicht auch durch das Beispiei Aufforderung zur ruhigen Auseinander setzung, fern von spätgotischen Gefühiswirrnissen. Wenn auch heute in einem sehr schlechten Zustand, so dürfte das Schweiß tuch der Veronika an der Hinterseite doch von hoher Qualität sein. Dem Meister gelang überaus überzeugend der besitzergreifende Ausdruck des Antlitzes Christi. Es geiang ihm aber auch, den Schwebezustand, die Zeitlosigkeit des Leidens und dessen Überwindung zu gestaiten. Vorbiid war wieder ein Stich Dü rers von 1513.^^ Wir müssen jedoch zu Wolf Huber ausweichen. Er hat das gieiche Motiv an der Rückseite seines Feidkircher Altars (1521 j.i"* Der Meister von Gebertsham hat nun eng verbunden mit Huber die Proportionen aus Gründen verstärkter Einprägsamkeit ver ändert: das Schweißtuch ist zu monumentaier Größe gesteigert, das räumliche Verhältnis der tragenden Engei wurde im Sinne größerer Vieifalt verbessert. Gegenüber Huber hat un ser Meister eine stiiie Beschaulichkeit erreicht, eine mit der malerischen Weichheit des Ge samte (was aiierdings auch dem verschwom menen Erhaltungszustand zugeschrieben werden muß) korrespondierende Melancholie. (Hier entspricht seine Art den Heiiigen an den Vordertafeln.) Die Nähe durch Quaiität und Formung an Wolf Huber ist ein Argument für die Fixierung des Aitarwerkes um 1520. Die grundsätzliche Übernahme des Düreri schen Stichmotivs war nicht nur eine Frage der Ausrichtung nach damals modernen Kunstströmungen, sondern auch - und dazu paßt die ganze Ausdruckslinie des Altarwer kes - die Abkehr vom spätgotischen Empfin dungstyp zu einem neuen Verständnis des Menschen, repräsentiert hier in Christus, sonst in Heiligen oder Assistenzfiguren. Beto nung und Erhaltung der einzelnen IndividuaiiBlick auf den spätgotischen Flügeialtar in der ländlichen Filialkirche Gebertsham, Gemeinde Lochen, Bezirk Braunau am Inn, im Grenzgebiet von Salzburg und Oberösterreich. Geöffneter Schrein mit Reliefs an den beweglichen Schrein flügeln. In der Predella Darstellung der Grable gung Christi, Tafelbilder an den Predellenflügein mit Darstellung der hl. Barbara und hl. Katharina. Foto: Oskar Anrather 64

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