Oberösterreich, 32. Jahrgang, Heft 4, 1982

Kunst der Gegenwart Peter Kubovsky und die Kunst der Zeichnung Walter Beyer Kunst war noch nie etwas Statisches, ohne weiteres Fixierbares; viel eher stellt sie etwas in stetem Fluß Befindliches dar, einem Pendel vergleichbar oder einer Woge in ihrem Auf und Ab, im Ausschlagen nach rechts und links. So folgten mit seltsamer Automatik auf Phasen der Introvertiertheit stets solche des Extrovertierten, auf Ruhe und Esoterik Perioden der Exaltation: Die Distanziertheit der Romanik wurde vom Manierismus der Spätgotik mit seiner bewegten Gestik abgelöst, auf die Inteliektbezogenheit der Renaissance folgte die Exaltationsphase von Barock und Rokoko. Seit den Zeiten des Expressionismus am Be ginn dieses Jahrhunderts haben sich die Kün ste in zunehmendem Maße von ihrer den un mittelbaren Genesisprozeß betonenden Di rektheit abgewandt und einer metapherhaften Intellektualisierung unterzogen. Nimmt man die Avantgarde der fünfziger- und sechziger Jahre, so steht für diese längst nicht der zeich nerische oder malerische Schaffensprozeß im Brennpunkt des Interesses, sondern das in Form von Denkanstößen an den Betrachter überleitende Vermitteln von sehr persönlichen geistig-intellektuellen Konstellationen und Si tuationen. Inwieweit Tendenzen dieser Art an gesichts der jüngsten, allenthalben in die Richtung eines Neo-Expressionismus wei senden Strömungen als abgeschlossen zu betrachten sind, kann heute sicherlich noch nicht beantwortet werden. Immer und zu allen Zeiten hat es freiiich Künstler gegeben, deren Primärfunktion die eines Animators war, während andere dazu ausersehen waren, dieses experimentell. nicht selten noch unausgereifte Neuland in bewußt abwägender Tradiertheit zu kultivieren und aufzubereiten, oftmals sogar zu vollen den. Man tut gut daran - und dies erscheint gerade heutzutage angebracht betont zu wer den - diese zweite Gruppe von Künstlern in ihrer Wichtigkeit nicht geringzuschätzen, ihre Produktion zwar als andersgeartet zu erken nen, aber nicht abzuwerten; denn im Sinne von Pluralismus und Meinungsvieifalt jeder künstlerischen Tätigkeit hat neben dem Neue rer Igor Strawinsky auch der Traditionalist Ri chard Strauss seinen angestammten Platz. In eben diesem Sinne ist auch Werk und Schaffen des 51jährigen Wahllinzers Peter Kubovsky zu verstehen: als Auseinanderset zung eines ungemein feinfühienden, ebenso ernsthaften wie seibstkritischen, alles Schnellebige und Opportunistische bewußt ausschaltenden, auf die große Tradition der abendländischen Zeichenkunst aufbauenden und diese im Sinne eines angestrebten Tradi tionsbekenntnisses weiterführenden Künst lers. Ein zweiter, genereller Aspekt über Positionie rung und Wichtigkeit der Zeichnung im Rah men der Gegenwartskunst erscheint an dieser Stelle und im Zusammenhang mit einem ,,Nur"-Grafiker, wie es Peter Kubovsky ist, ebenso angebracht: Die Zeichnung markiert quasi die Kammermusik innerhalb der Bilden den Kunst, das persönlichste, subtilste, origi när-unmittelbarste und desgleichen unmanipulierbarste Ausdrucksmedium artifiziellen Wollens, welches die verborgensten Charak termerkmale seines Spiritus Rector in gera dezu seismographischer Weise zum Schwin gen bringt und zu replizieren im Stande ist. Nächst diesem Primat der Zeichnung vor allen übrigen Disziplinen künstlerischer Gestaltung steht noch ihre voilkommene Unmanipulierbarkeit.,,Zeichnen bedeutet", wie Peter Baum einmal schreibt, ,,kompromißloses Sichtbar machen". Die uns allen bekannte Überarbei tungsmöglichkeit von Ölbild, Temperablatt oder Gouache steht im krassen Gegensatz zur Unbedingtheit und ünmanipulierbarkeit der klassischen Tuschfederzeichnung, wie sie Peter Kubovsky pflegt. Bei ihr hat jeder ein zelne Strich auf Anhieb zu sitzen, soll nicht das gesamte Schaffensprodukt in Frage gestellt werden. Eine einzige unkontrollierte Linie ge nügt, um ein ganzes Blatt zu vernichten oder zumindest zweitklassig werden zu lassen. Der klassische Tuschfederzeichner vom Schlage Kubovskys arbeitet somit unter höchstem Ri siko. Kein anderes Medium verlangt dem Künstler ein höheres Maß an Konzentration ab, erfordert eine vergleichbare Sicherheit von Handschrift, Strichtechnik, artifiziellem Ductus und Persönlichkeit. Ein drittes und letztes Kriterium wäre hier frei lich auch noch anzufügen, denn nicht nur vom Künstler, sondern auch vom Betrachterfordert die Zeichnung ein Maximum an Konzentration und Aufnahmebereitschaft. Wie wir aile wis sen, ist die menschliche Bildvorstellung eine durchaus bunte wie auch dreidimensionale. Beiden Kriterien entspricht die Ölmalerei noch einigermaßen, nicht hingegen die Tusche zeichnung. In ihr herrscht die Konzentration und Komprimiertheit auf das gestrenge Berg beim Mondsee (Schober/Drachenwand), Rohrfederzeichnung 1955, Privatbesitz 57

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