Oberösterreich, 32. Jahrgang, Heft 1, 1982

Völkerbewegungen und Stammesbiidungen im österreichischen Raum von der Severinszeit bis zur Ankunft der Ungarn Herwig Wolfram Im fünften Jahrfiundert war die Geschichte des Donau- und Ostalpenraums durch den Versuch gekennzeichnet, an der römischen Staatlichkeit festzuhalten, wobei wenig stabile Herrschaftsbildungen römischer Föderatenvölker zumeist ostgermanischer Herkunft in das herkömmliche System eingebaut wurden. Als die Generäie Odoakers 488 das ,,Krem ser" Rugierreich zerstörten und Teile der Provinzialen des östlichen Ufernorikums samt dem Leichnam Severins zwangsevakuierten, da fiel auch der westlichste Außenposten des jenigen gentilen Systems, das 454/55 mit der Schlacht am pannonischen Nedao aus den Trümmern des Hunnenreichs entstanden war. Dieses System hatte das pannonisch-donauländische Machtvakuum zu füiien, das der Zu sammenbruch des Attila-Reichs in einer äu ßerst sensiblen Randzone des geteilten Impe rium Romanum geschaffen hatte. Sieger wie Besiegte des Tages von Nedao wurden, so fern sie nicht wie einige hunnische Gruppen in den Osten zurückgingen, in gleicher Weise römische Föderaten; das heißt, sie schiossen mit dem Römerreich einen Vertrag, der ihnen, ob sie nun Goten, Gepiden oder andere Vöiker waren, die Niederlassung an der Donau grenze oder auf römischem Boden eriaubte. Entgegen der herkömmlichen Ordnung setzte sich hier aber Konstantinopei durch. Der vom Osten nicht anerkannte Kaiser Avitus (455—456) suchte den Einfluß des Westreichs an der norisch-pannonischen Donau wieder herzustellen. Trotz der kurzen Zelt, die ihm vergönnt war, dürften seine Bemühungen kei neswegs erfolglos geblieben sein. So erhielt sein Nachfolger Maiorianus (457—461) Zuzug einer starken donauiändischen Förderaten armee und Kaiser Anthemius (467-472) schickte Goid an norische Föderaten. Aber Maiorianus handelte im Einvernehmen mit Ostrom, als er donauländische Stammeskrie ger aufbot, um Gallien und Spanien wiederzuerobern sowie die nordafrikanischen Vandalen anzugreifen. Anthemius hatte Konstan tinopel von sich aus in den Westen gesandt, um den erprobten Heerführer zum Herrn des Westreichs und zum Überwinder der okzidentaien Misere zu machen. Die pannonischen Goten wurden spätestens 457 die Föderaten Konstantinopels, während Norikum nach Ita lien orientiert blieb, das ihm Hilfe bot. So schützte der Halbgote und Balte von der Mut terseite, Rikimer, 467 die Provinz gegen die amalischen Goten Pannoniens; und auch Odoakers zweijähriger Rugierkrieg diente 487/88 nicht zuletzt der Sicherung des west römischen Besitzstandes; eine Politik, die der italische König 480 in Dalmatien erfolgreich durchgesetzt hatte. Die donauiändischen Föderaten verfolgten freilich eine Politik, die ihnen die Option nach beiden Seiten offenließ. Odoakers voritaiische Karriere bietet selbst ein Beispiel dafür: Während er in den Westen ging, trat sein älte rer Bruder Hunulf zunächst in oströmische Dienste. Das gleiche gilt für die Famiiie Theo derichs des Großen, die ebenfalls die Mitglie der der jüngeren Linie nach Italien sandte, während die älteren Amaler nach Thrakien marschierten. Das Nedao-System konnte ohne den Kaiser nicht funktionieren; das römi sche Geid hieit es am Leben, und die Gunst des Hofes sorgte für die Rangordnung unter seinen Vöikern. Es herrschte hier ein höchst labiies Gleichgewicht; dennoch brach es nicht unter dem eigenen Druck zusammen, sondern erhielt seinen Todesstoß von außen, als die Truppen Theoderichs des Großen, der inzwi schen König Italiens geworden war, 504 die Offensive an der Savefront eröffneten. Der Amaler, selbst einstiger Angehöriger der Nedao-Gemeinschaft, ließ das gepidische Sirmium, die Hauptstadt Westillyriens, besetzen. Dabei erlitt ein gepidischer Teilstamm eine schwere Niederlage, die zugleich auch das einst so mächtige Großvoik entscheidend schwächte. Da sich Theoderichs Armee mit dem Sieg nicht begnügte, sondern auch oströmisches Reichsterritorium verletzte, wurde Konstantinopei herausgefordert. Die Folge davon war der Zusammenbruch der gentilen Politik Theoderichs, die dieser zum Schütze Italiens entworfen hatte. Konstanti nopels Diplomatie und Fiotte machte in den Jahren nach 504 die Landverluste in Mösien und den Prestigeverlust in Pannonien reichlich wett. So kamen die ostgotisch-italischen Truppen entweder zu spät oder überhaupt nicht, um die Verbündeten Theoderichs gegen Angriffe Dritter zu schützen. Dabei ging das aquitanische Westgotenreich ebenso zu grunde wie die erulische Reichsbiidung an der mährisch-niederösterreichischen March. Während die Franken Chlodwigs die Sieger im Westen waren, setzten sich in unserem Raum die böhmisch-rugiländischen Langobarden durch. Der Sieg der Langobarden bewirkte ei nen tiefgreifenden Wechsel ihrer Stammes struktur. Sie wurden selbst ein berittenes Her renvolk über unterworfene Germanen, Sarmaten wie römische Provinzialen. Damit be ginnt eine neue Stammeswerdung der Lango barden, die sich mit dem Namen König VVachos verbindet. Dieser regierte zwischen 510 und 540, und zwar anscheinend zunächst noch von den Sudetenländern aus. Von dieser angenommenen Ausgangsposition errichtete der Langobardenkönig seine Herrschaft auch über Ostösterreich und Westungarn. Aller dings hielt Wache bis zum Tode Theoderichs des Großen 526 respektvolle Neutralität; das heißt, die Langobarden dürften die pannonische Drau keineswegs erreicht und bloß das Gebiet bis zum Plattensee besetzt haben. Wohl nach 526 schloß König Wacho ein Bündnis mit Konstantinopel, dem er auch 539 treu blieb, ais die Gesandten des ostgotischen Königs Vitigis um Hilfe baten. Die jeweiiigen Neuorientierungen der langobardischen Politik spiegeln die drei Ehen Wa ches wider. Seine erste Gemahlin war noch eine Thüringerin gewesen - thüringisches In ventar enthalten niederösterreichische Langobardengräber vom Beginn des Jahr hunderts. Dann heiratete er eine gepidische Königstochter, wodurch er mit der ostungarisch-siebenbürgischen Großmacht Frieden schloß. Schließlich nahm er die 508 erbeutete Silinga, die Tochter des gefallenen Eruierkö nigs, zur dritten Frau, um den Anspruch auf die Fortsetzung des erulischen Königtums zu legi timieren. Schon sein keineswegs friedlicher Regierungsantritt kühlte die langobardischthüringische Freundschaft nachhaltig ab. Ailerdings erlaubte die Schwerpunktverlagerung der langobardischen Interessen, daß Wacho mit den Franken zu einem Einverständnis kam. Er biieb im fränkisch-thüringischen Krieg von 531 und in den foigenden Auseinander setzungen neutrai, tolerierte aber auch die fränkische Ausbreitung über Raetien und den Großteil Norikums, nachdem sich die Ostgo ten 536/37 vertraglich aus dem alpinen und nordalpinen Vorfeld Italiens zurückgezogen hatten. Auch in diesem Fall dürfte Wacho eth nische Gruppen aufgegeben haben, die den Langobarden nahestanden, die wie sie ,,Leute aus Böhmen", ,,Bayern", waren. Die erste Stammesbildung, die sich in unse rem Raum vollzog, führte zur Entstehung der Bayern. Sie geiten dem Historiker als die ,,Findelkinder" der Völkerwanderung, und die Frage, wer sie wo, genau wann weggelegt hat, ist bis heute das bayerische Problem geblie ben. Obwohl einige Zeit hart bekämpft, dürfte es nun doch wieder mögiich werden, die baye rische Kindesweglegung Theoderich dem Großen anzulasten. Wahrscheinlich ist näm lich bereits um 490 mit Bayern zu rechnen, das heißt zu einem Zeitpunkt, da Langobarden ins Rugiland veriegt wurden. Der zweite Rugier krieg Odoakers hatte 488 im Zentrum Nieder österreichs an und nördlich der Donau ein gentiies Vakuum entstehen lassen, das die Eruier mit langobardischen Untertanen zu füi ien trachteten. Dabei dürfte es zu einer Spal tung der böhmischen Langobarden gekom men sein, worauf einige Nachrichten hinzu deuten scheinen. Solche böhmische Lango barden könnten nämlich ,,Leute aus Böh men", die ,,Bayern", gewesen sein, die mit anderen suevischen Gruppen des Sudenten raums in die voralpine Raetia II auswichen, als der Großteil ihrer Stammesgenossen ins Ru17

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