Oberösterreich, 31. Jahrgang, Heft 4, 1981

Literaturbeilage der Kulturzeitschrift Oberösterreich 4/1981 Albert Mitringer oder ,,Die Liebe zu Oberösterreich" Carl Hans Watzinger Seit er als ehemaliger Direktor der Wiener Stadtbibliothek im Ruhe stand lebt, kommt Albert Mitringer wieder öfter nach Steyr. Hier wurde er 1908 geboren. Sein Vater stammt aus dem Kremstal, aus Micheldorf. Dort war der Großvater Büchsenmacher gewesen, aber der Ausbau der Waffenfabrik in Steyr durch Josef Werndl, den,,Waffenkönig Europas", wie er genannt wurde, zog die jungen und jüngeren Arbeiter in den klei nen eisenverarbeitenden Betrieben längs des Enns- und Steyrflusses immer mehr an. Da standen plötzlich die Inhaber dieser kleinen Werk stätten, die Meister der Nagelschmiede, der Messererzeuger, so jener in Trattenbach, und auch der Büchsenmacher ohne Gesellen da und mußten sich bald auch beim Werndl in Steyr zur Arbeit melden. Der Großvater Mitringers hat noch in Micheldorf geheiratet, längere Zeit bewahrte man in diesem Ort der Sensenschmiede, von denen ebenfalls schon viele nach Steyr abgewandert waren, die hölzerne Hochzeits scheibe auf, die man, wahrscheinlich auf Burg Altpernstein, beim Hoch zeitsmahl geschossen hat. Später ging sie verloren und ist bis zum heu tigen Tag nicht wieder zum Vorschein gekommen; man hat sie wohl bei der Renovierung und Revitalisierung der Burg fortgenommen oder - verheizt. Der Vater unseres Dichters wurde dann als Fachlehrer in der Fach schule für Eisen- und Stahlbearbeitung in Steyr angestellt, aus der die heutige Höhere Technische Bundeslehranstalt hervorgegangen ist. Als der erste Weltkrieg im Sommer 1914 ausbrach, mußte er zur österrei chisch-ungarischen Armee einrücken. Sein Sohn, er blieb der einzige, hat diese Tatsache, die dann für die Zukunft der kleinen Familie so ein schneidend werden sollte, in der zweiten Erzählung „Der schwarze Koffer" seines Bandes „Sommersp/e/" so geschildert: . . . Gerade hatte der Sommer 1914 begonnen; am Abend eines über blauen Sonntags waren das Ehepaar mit Florian [so nennt sich der Dichter. D. V.] und der Sängerschar und ihren Frauen und Kindern in die eigentlich düstere Waldgegend im Norden wieder hinausgezo gen. Florian ging mit den Eltern oder hüpfte einmal auch dahin, nichtsahnend, welches Tor heute für ihn und alle auf dieser Erde Lebenden und - auf wie lange Zeit - für die später Geborenen zuge worfen werden soUte, wie einstmals das Tor zum Paradies zugetan worden war. Noch fröhlich und in schöner Weise ein wenig müde vom Gesang und satter Jause und Trunk wanderte man diese immer ein wenig melancholische Landstraße herein zu den alten Stadttoren, die noch der Zierde wegen hier standen, deren Schutzwirksamkeit aber wie lange schon vergangen war. Da kam es von den Stadttoren heraus, dieses Gespräch, das wie ein Feuer lief, dieses Lauffeuer, dieses Feuer von so furchtbarer Gewalt, das heute schon von Serbien bis in die Mitte Österreichs gelaufen war und weiter laufen sollte über alle Grenzen dieses Landes, über Eu ropa hin und Europa hinaus, das vor den Meeren nicht haltmachen sollte, bis es die ganze Erde hatte und nicht mehr ruhen woUte, so lange schon und wie weit die Menschen bis heute sehen. Da lief es zunächst nur von Menschengruppe zu Menschengruppe, jedes Lachen verstummte und man gab nur weiter, was man weiter geben mußte. Erstarrend empfingen es auch die Eltern Florians. Die Mutter hatte, wie Frauen sind, doch im ersten Schreck eine Floffnung und sie drückte sie wie eine Beschwörung aus, ,,nun, du bist nicht mehr jung, du wirst nicht weit wegkommen, du wirst nicht weit weg kommen . . ."Der Vater sagte gar nichts, aber wie er, ohne einen Ton von sich zu geben, Florian auf seine Schultern nahm - der, weil er ja nicht mehr so klein war, lange nicht mehr auf ihnen gesessen war - und ihn bis in die Stadt hineintrug, in seiner seltsamen Langsairrkeit und wie in einem seltsamen Dienst, das hat Florian seiner Lebtage nicht mehr vergessen. Und nicht vergessen, was der Vater nach die ser schrecklich langen Pause des Schweigens als erstes Wort sagte, ,,nun ist alles aus . . ." Dann wartete die kleine Familie in der kleinen Stadt, gleichwie die ganze Erde vier Wochen wartete. Sie erwartete, was jeder ahnte und spürte, wenngleich nicht wissen wollte, was nur kommen konnte. Und es kam. Der Koffer wurde gepackt, dieser schwere, viereckige Holzkoffer, dieser Militärkoffer der Unteroffiziere. Was da nicht alles hineingehen sollte, und vor allem warmes Zeug, meinte die Mutter. Nur zur Sicherheit, denn bis zum Winter wollten sie ja alle wieder da heim sein.

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