Oberösterreich, 30. Jahrgang, Heft 3, 1980

Das Familenfest Aus ,,Eulen vor dem Spiegel' Pawel Pawlenkow hatte eine Hütte, er hatte einen Ziehbrunnen und eine Ziege, und er nutzte einen Streifen Erde, der nicht länger und breiter war als sein Strohsack. Dieses Rechteck Erde, das wußte er, gehörte nicht ihm, er war ein rechtschaffener Mann und eignete sich nichts an vom Dominium des Vaterlandes. Er ging mit seinem jungen Weib, der Natascha, beim Sonnenaufgang zur Arbeit, auf die Felder der Ukraine. Und er kam mit ihr beim Sonnenuntergang zurück, von den Feldern der Ukraine. Dafür erhielten die zwei ein Deputat, Müch und Mehl, und sie hatten sich und ein Nest für die Nacht. An den Sonntagen aber, wenn Pawel Pawlenkow und seine Natascha Feierabend hatten wie die Felder, dauerte es den Mann, daß das Rechteck Erde neben seiner Hütte an der Feier der Felder nicht teil nehmen konnte; es lag so brach da, so verstrunkt, daß selbst die Mäuse und die Maulwürfe ausgewandert waren. Da freilich begann sich in Pawel Pawlenkow nicht nur die Rechtschaf fenheit, sondern auch der Sinn des Wirtes zu regen, und er packte zu, um der Erde zu geben, was ihr zustand. Er jätete das Unkraut, er grub, er goß, er setzte Samen. Und er staun te, wie doch alles unter seinen Händen geriet: wie der Salat sich ent faltete, rundete, das Kraut auch, der Kürbis und am Rande des Beetes die Sonnenblume, die eine Monstranz hielt, als wäre des Segens kein Ende. Eines Sonntags dann rief Pawel Pawlenkow seine junge Frau herbei: ,,Es ist so weit, Natascha, mein Weib! Das Beet feiert sein Erntefest, und wir wollen mitfeiern. Du bist eingeladen und ich bin eingeladen, und weil eine Erntebraut gut ist, wirst du dir das Hochzeitskleid an ziehen. Du wirst die Schönste sein in der Ukraine, und ich, der Pawel Pawlenkow, werde mit dir tanzen, einen Ukrajowak, einen zweiten, zehnten, immer um das Beet herum und die Sonnenblume, die es so gesegnet hat!" ,,Ja", sagte Natascha. ,,Gesegnet . . .", sagte sie. ,,Und darum wird noch jemand tanzen." ,,Noch jemand?" horchte der Mann, als könnte er plötzlich die Köpfe auf dem Beet nicht zusammenzählen, die kleinen und die großen Köpfe, die da einfach ein Familienleben führten. „Noch jemand, sagst du? Und - gesegnet, sagst du? Ist was, Nata scha? Ein kleiner Pawel vielleicht? Oder eine kleine Natascha?" Er hielt sie, er halste sie, küßte sie, als wäre sein die ganze Ukraine. ,,Natascha, mein Weib, das sagst du mir erst jetzt? Und ich habe nichts zum Trinken. Wo bloß nehme ich was her!" So rief er und spähte zum Ziehbrunnen, wie wenn der Segen des Himmels einen Eimer voll Wasser in Wein verwandeln könnte, als er Schritte und Stimmen hörte. Er blickte in die Richtung, vorbei am Ziehbrunnen, und sah sieben Mann daherkommen, eine ganze Abordnung; an der Spitze erkannte er Sergej Bogojew, jenen Mann, der verantwortlich war für den Segen der Ernten auf den Äckern der Ukraine. Die Ukraine war groß, Sergej Bogojew war groß, aber die Körner wollten nicht immer so in die Äh ren rollen wie bei Pawel Pawlenkow das Kraut in Köpfe und der Kür bis in die Dralle und Fülle. Sergej Bogojew hielt auf das Beet zu und breitete die Ärme aus. ,,Wie ich sehe, Pawel Pawlenkow, sind wir nicht einen Tag zu früh und nicht einen Tag zu spät gekommen, um mit dir über den Zins zu sprechen. Du zahlst keine Pacht, keinen Zehnten. Du läßt dich seg nen von der Sonnenblume, und du läßt es dir gut sein in der guten Ukraine. Sage mir aber, Pawel Pawlenkow, woher wußtest du, daß ich mit sechs Mann komme? Ich zähle nämlich genauso viele Köpfe auf deinem Beet." Pawel Pawlenkow, der sich um sein Familienfest geprellt sah, mußte antworten, das wußte er, und er öffnete die Hände, die zwei Brocken, und meinte: ,,Sind wir nicht eine Familie, Bruder Bogojew?" Der Angeredete lachte wie der Sonntagshimmel über der Ukraine. ,,lch muß sagen, du bist ein seltener Schlaufuchs, Pawel Pawlenkow! Du willst uns zwingen, daß wir alles, was auf dem Beet da gewachsen ist, unter uns aufteilen, wie eine Familie. Gut, teilen wir! Dein Weib soll gleich anfangen, das Beet abzuräumen, und du legst Scheiter un tern Kessel und holst Wasser aus dem Ziehbrunnen. Das soU ein Fest werden, ein Familienfest, wie du sagst! Was stehst du noch herum und schluckst! Was gut ist für die Kehle, das holen wir nicht aus dem Ziehbrunnen, das haben wir mitgebracht, einen ganzen Eimer voll. Und Speck für das Kraut ist da und ein Brocken Fleisch, eine halbe Seite vom Schwein, nur fünf Fuß hinter deiner Hütte, auf unserem Wagen. Eü dich, beeil dich! Es soU nicht leer werden der Eimer, nicht leer der Kessel mit Kraut, die Schüssel mit Kürbis." Pawel Pawlenkow tat, wie ihm geheißen; Natascha, sein Weib, räumte indessen das Beet ab, teilte, zerteilte das Kraut, schnitt es in Schnitzel und zu Würfeln den Kürbis. Die Scheiter brannten, der Kessel dampfte, und über eine Weile füllte die erste Schüssel sich, die zweite, und es ging um den Tisch der Krug. Die Gäste schmatzten, tranken, umarmten sich. Und sie schmatzten und tranken und umarmten sich wieder. ,,Brüder", rief Sergej Bogojew, ,,das nenne ich ein Fest! Der Pawel Pawlenkow zahlt die Pacht mit Zins und Zinseszins, da gibt's keinen Fehler in der Rechnung! Und dabei hat er ein Beet nur wie ein Bett, nicht größer, nicht kleiner, da könnt seine Natascha sich nicht einmal mitausstrecken, auch auf der Kante nicht. Komm her, Pawel Pawlen kow, setz dich zu uns! So . . . gut! Und nun sage uns, wie du es an stellst, daß du auf dem Schürzenzipfel, dem kleinsten der Ukraine, so viel erntest, daß du eine ganze Abordnung einladen und bewirten kannst!" Pawel Pawlenkow, nicht dumm, packte den Krug mit beiden Hän den; er sah noch nicht doppelt die Balken seiner Hütte, nicht doppelt Sergej Bogojew oder die Ukraine. Aber auch er wollte mit Zins und Zinseszins zurückgezahlt haben den Schweiß, mit dem er den kleinen Zipfel der Ukraine gedüngt hatte. Und weil der Schweiß aus den Rülen der Stirn kam, steckte Pawel Pawlenkow den halben Kopf in den Krug. ,,Halt", rief Sergej Bogojew, ,,so kommst du nicht davon, du Schlau fuchs! Du willst dich berauschen an unserem Wodka, damit du nicht einzugestehen brauchst, welchen Fehler du gemacht hast. Oder hast du keinen Fehler gemacht?" ,,Doch", nickte Pawel Pawlenkow, ,,ich habe einen Fehler gemacht, groß wie die Ukraine. Und der Fehler war, daß ich das Beet nicht einen Sonntag früher abgeerntet habe!" ,,Ah", riefen alle wie aus einem Munde, ,,er ist berauscht! Der Pawel Pawlenkow ist berauscht! Laßt uns trinken, Brüder, bis auch wir so weit sind wie er!" Und sie tranken weiter und umarmten sich weiter. Und sie sangen Lieder der Ukraine, frohe und traurige, bis leer der Krug war am Ende, leer der Kessel mit dem Kraut, die Schüssel mit dem Kürbis. ,,Hast du denn nichts mehr, Pawel Pawlenkow?" ,,Nichts", sagte Pawel Pawlenkow. ,,Und auf unserem Wagen: ist da auch nichts mehr?" ,,Nichts", sagte Pawel Pawlenkow, ,,nichts! Ich habe genau nachge sehen, wir sind ja eine Familie, habe ich gedacht, wir feiern das schönste Fest der Ukraine, ein Erntefest, ein Familienfest, wie es meine Hütte noch nie gesehen, aber auf dem Wagen habe ich nichts mehr gesehen." - So endete das Fest, die Gäste schwankten hinaus, rollten auf den Wa gen, der Wagen fuhr. Pawel Pawlenkow wartete, bis die Sternen nacht den Wagen verschluckt hatte, und übersprang dann fast die fünf Fuß bis zur Hütte. Er tanzte, er sang: 107

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