Oberösterreich, 28. Jahrgang, Heft 4, 1978

wärmer. Leute gehen vorüber, und bestimmt sind einige darunter, die wissen, was ich nicht weiß. Sie wissen, welcher Erzherzog, Erzbischof, Erzabt, Erz . . . Außer ihrem Wissen haben diese Leute mit den Wasserspielen nichts zu tun. Ich hoffe, daß jemand stolpert und in meine Gedan ken fällt. Dort will ich ihn befragen, aber keiner tut es. Jeder benützt das Gewand seiner Unaufrichtigkeit, um zu entkommen. Er betrachtet das Grün deiner Bronzehaut und macht sich stillschweigend aus dem Wasserstaub. Auch ich entkomme. Ich entkam dem Feuerhagel. Ich entkam der großen Flucht. Ich entkam den ge brochenen Augen. Ich entkam dem weißen Toten, den ich mit meinen Händen begrub. Ich entkomme noch immer. Ich betrachte die Wasserspiele. Ich betrachte den Wasserhimmel über Ur in Chaldäa. Noch hält der letzte Wasserring. Wenn er stürzt, wird Sintflut sein. Wenn er stürzt, werden wir sterben. Ich baue eine Arche. Der große Regen fällt. So: Tropf, tropf, tropf - klopf, klopf, klopf. Es tropft und klopft auf das Archendach. Ich schneide die Tage in einen Stab und zähle sie. Ich sende eine Taube aus. Ich lande auf dem Ararat. Sonst hat der Ararat mit den Wasserspielen nichts zu tun. Ich wül eine Welt des Friedens begründen, eine Welt des Friedens und des Verständnisses, eine Welt des Friedens und des Mitverständnisses, eine Welt des Friedens und des Miteinanderverständnisses. Ich will den ersten Weinstock pflanzen und den Regenbogen sehn. Es wird Mittag über den Wasserspielen, es wird Nachmittag, es wird Abend. Ich bin ein Strauch, der sich nicht entfernen kann. Ich muß bleiben tmter dem Regen deiner Myriaden Tropfenbruchstücke. Ich muß atmen, was man mir zu atmen gibt: Trop fensplitter, die allesamt blau sind. Es ist die Dämme rung, die das Wasser zu Samt macht. Ich verlege die Wasserspiele nach innen. Ich lasse sie in mir rauschen. Ich fühle, wie ein Bach, dann ein Strom und endlich das Meer in mir wächst. Ich fahre auf einem inwendigen Boot, dessen Kiel grün ist. Sonst hat das Boot mit den Wasserspielen nichts zu tun. Jemand drückt auf einen Knopf. Der Druck bewirkt Kontakt. Der Kontakt vermittelt elektrischen Strom. Der elektrische Strom läßt Scheinwerfer aufflam men, nicht allzu starke, eher zarte. Man muß an die Wasserspiele denken, die nur wenig Licht vertra gen. Man muß an mich denken. Ich denke an mich. Spiele, Urspiele, Kinderspiele, Knabenspiele, Mädchenspiele, Knaben- und Mäd chenspiele, Männerspiele, Frauenspiele, Frauenund Männerspiele, Liebesspiele. Sonst haben die Spiele mit den Wasserspielen nichts zu tun. Jemand kommt. ,,Darf ich mich zu dir setzen?" ,,Weshalb nicht? Die Nacht ist für alle da. Die Was serspiele sind für alle da. Ich bin kein Pächter der Schönheit." ,,Du bist so allein. Ich möchte dich trösten. Schau mich an!" ,,Wie heißt du?" „Euterpe. Hörst du nicht, daß mich Wasserflöten begleiten?" „Du hast recht, Euterpe, ich höre sie." ,,Wirst du mit mir kommen?" „Nein, Euterpe. Ich kam nicht zu dir. Ich kam zu den Wasserspielen. Die Spiele des Wassers sind wundersamer als die der Götter und Menschen. Geh jetzt!" Euterpe geht, berieselt von dem Lichtregen der Wasserspiele. Ihre feuchten Schleier hüllen sie ein und sie verschwindet. Sonst hat Euterpe mit den Wasserspielen nichts zu tun. Ich werde warten, bis der Mond kommt. Ich möchte wissen, was der große Mond mit den Wasserspielen macht. Ich möchte erfahren, wie es ist, wenn er sie als sein Pferd besteigt und auf ihnen reitet. Der Mond erscheint und das Pferd Wasserspiele wirft ihn ab. Jetzt treibt er in dem Trog des Brunnens und blickt wie ein riesiges Fischauge nach dem Himmel, der ohne ihn schwarz ist. Es freut mich, daß ich den Mond gefangen habe, das Einauge des Himmels, dem Sterne die Schleppe tragen. Der Mond ist ein Landstreicher des Himmels, der Schlaf raubt. Einäugig blickt er auf unseren Gedeih und Verderb. In jedem Tropfen der Wasserspiele wohnt dieses eine Auge. Sonst hat der Mond mit den Was serspielen nichts zu tun. Tropfen steigen in dem Mondlicht, Tropfen zögern in dem Mondlicht, Tropfen taumeln in dem Mond licht, Tropfen fallen in dem Mondlicht, Tropfen funkeln in dem Mondlicht, Tropfen glühen in dem Mondlicht, Tropfen knistern in dem Mondlicht, Tropfen klopfen in dem Mondlicht. So: Tropf, tropf, tropf - klopf, klopf, klopf. Die Tropfen klopfen. Der grüne Specht in dem Wald schläft. Mein grüner Mantel schläft auf meinen Schultern. Es wird kühl und ich hüUe mich in sein grünes Schweigen. Ich bin glücklich, weü niemand kommt und die TropfengerieseltstUle stört. Ich lebe in einem Land jenseits der Geräusche. Trotzdem gibt es Erinnerungen, die aufbrechen wie Rosen und aufblühen wie Wunden. Sie sinken gegen den Herzmittelpunkt und reden die Sprache der Gewässer von oben. So: Tropf, tropf, tropf - klopf, klopf, klopf . . .

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