Oberösterreich, 27. Jahrgang, Heft 4, 1977

Die Schottergrube Erna Blaas Wir Kinder erfuhren es erst durch das Gerede der Leute. „Tote Männer graben sie aus'^ sagten die einen. „Sie haben einen Schatz gefunden", tuschel ten die anderen. Die Mutter wollte nichts davon hören. Eines Tages aber rief mich der Vater zu sich in die Baukanzlei. „Erni, willst du mitkommen?" — „Wo hin denn?" — „Nach Micheldorf — zur Schotter grube." — „Zu den toten Männern?" — „Wir sind keine Totengräber! Das ist etwas ganz anderes. Aber wenn du nicht willst, wenn's dir zu unheimlich ist..." — „Aber nein, Vater, bestimmt nicht!" — „Vielleicht ist es dir auch zu weit?" — „Zum Lau fen?" — „Nein, wir fahren mit den Rädern hinaus." — „Aber sehr gut fahre ich noch nicht!" — „Ich helfe dir schon und paß' auf dich auf, — es ist ja ein guter Weg: der ,Verschönertmgsweg', die ,Promenade'. Kommst du also mit?" — „Ja, gerne, lieber Vater, gerne!" — Elf Jahre war ich alt — es war eine Schicksalsstunde. Der Zug pfiff vorbei — in derselben Richtung, in die wir eben einbogen. Es war Samstag-Nachmittag, niemand begegnete uns, nur drüben, vor dem Bahn damm, pflückte ein barfüßiger Bub sein Hasenfutter zusammen, ein Buschen fetter Bärentatzen war be reits in seiner Hand. Die weißen Flurkapellen kamen näher. Die erste hatte ein Vordach auf hölzernen Säulen und eine ge zimmerte Kniebank dazwischen. In den Sockel des Mauerwerkes war eine Tafel aus Stein eingelassen; ihr Spruch war mir geläufig: „O Seel Stehe still und seüffze von Herzen und betrachte Jesü und Mariae Schmerzen und lobe mit deinem gebett beede Herzen. Amen. 1662" Es war eine wohlangebrachte Mahnung, denn hinter dem geschmiedeten Gitter saß die Muttergottes und hielt den leblosen Sohn auf dem Schoß. Auf ihrem lieblichen Gesicht standen noch die vertrockneten Tränen. Wäre sie nur nicht so gespenstisch gewesen! Der Schleier wehte leise auf ihrem Kopf, das lange, braune Haar bewegte sich im Wind, das Seidenkleid rauschte. Einmal trug sie ein rotes, einmal ein grünes oder blaues — wie konnte sie sich so verwandeln? Wie ging das zu in dem kleinen, vergitterten Hei ligenhaus unter der hohlen, noch mächtigen Linde, die auch nicht mehr geheuer war? Wer sollte auch nur auf den Einfall kommen, irgendwelche gewöhn lichen Leute wechselten die Roben aus — oder gar, daß das schöne, offene Haar aus den Zöpfen der stolzen Bräuersfrau stamme! Ich wagte es nicht, abzusteigen und versuchte nicht einmal, das Kreuz zu schlagen, weil mir die Lenk stange entglitten wäre. Als ob ich eine Sünde be gangen hätte, fuhr ich benommen weiter. Vater war tete schon ein Stück da vorne. „Es wird dir eben doch zu stark", sagte er, „wir können aber bald rasten." Die zweite Kapelle, nicht ganz so stattlich, war im mer unbeachtet geblieben: Sie enthielt nur ein ver silbertes Kruzifix, das einen nicht zu rühren ver mochte. Aber dann kamen die Weiden. Wie zwei gutmütige Gnome hockten sie im Gras, uralt, oft schon vom Blitz getroffen und gespalten, mitten durch den dikken Kopf hindurch, aus dem dennoch die frischesten Ruten aufschössen; sogar aus der offenen Herzgrube glomm es noch grün — ein unvergängliches, pflanz liches Leben. „Warum sind sie denn oben so breit geworden?" fragte ich. „Weil sie der Besenbinder so hart beschneidet und ihnen gleich alle Zweige ab nimmt. — Auch der Krampus holt sich, was er so braucht." Zweifelnd sah ich ihn an: „Du machst nur Spaß, gell ja?" Er konnte so unhörbar und doch strahlend lachen! „Früher mußte man zwischen den Weiden hindurch", sagte er dann; „eine stand rechts, die andere links — wie Torsäulen faßten sie den Wie senpfad ein. Aber bei Regenwetter gluckste das Was ser in den Schuhen, so versumpft war er schon. Drum hat man ja diese Promenade geschaffen; manche Leute sagen heute noch ,Römerweg' dazu — wie sie es von alters gewohnt sind. Und der stei nerne Ausbau des Baches, zu dem wir jetzt kommen, mit der gesprungenen Platte darüber, hat, so lange ich denken kann, die ,Römerbrücke' geheißen. Da heim erzähl' ich dir mehr davon." — „Ja, tu's, bitte!" — „Jetzt können wir ein wenig rasten. Unterm Lin denbaum, am Alterbichl, steht eine gute Bank, Erni." Es war sehr heiß geworden, wie es nach dem Sonn wendtag nicht anders sein kann, und das Radfahren hatte mich müde gemacht. Froh war ich, neben dem Vater zu sitzen und über die Felder schauen zu kön nen. Die Alter murmelte an uns vorbei — ein Neben arm der Krems, die man in ein starres Bett und durch das Bauerndorf geleitet hatte, das nach ihr den Na men hat. Dünnfädig rann das Wasser daher, aber es war noch immer von Büschen umgeben, in denen es von junger Vogelbrut zwitscherte. Hinter den Fei-

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2