Oberösterreich, 27. Jahrgang, Heft 3, 1977

Historische Kunst Gotische Hallenkirchen in Oberösterreich Wilfried Lipp Die Raumform der Halle für den goti schen Sakralbau Ist keine österreichische „Erfindung", will man überhaupt diesen Terminus in der Kunstgeschichte ge brauchen. So unvermittelt also auf den ersten Blick Raumschöpfungen wie die der Pfarr kirche angeschlossene Wallseer Kapelle in Enns aus dem zweiten Viertel des 14. Jahrhunderts oder die weite Halle der Steyrer Stadtpfarrkirche anmuten, sie sind Glanzlichter historischer Stilentfal tung und deswegen scheinbar singulare Gebilde. Die Tendenz, den im basilikalen Schema gestalteten und in einzelne Bauteile, wie Mittel-, Seiten- und Querschiff, aufgelö sten Sakralraum zu einer architektoni schen Einheit zu verschmelzen, ist zum Ausgang des 13. Jahrhunderts ein all gemeines Phänomen. Die Ursachen da für sind vielschichtig; religiös und poli tisch. Der eine Pol ist bekannt und findet in den Bestrebungen der Reformorden Ausdruck. Oberösterreich tritt dabei früh ins Blickfeld: die ehemalige Minoritenkirche in Linz, die Eberhard von Wailsee stiftete, wurde 1286 vollendet und als zweischiffiger Hallenraum ausgebildet. Um die gleiche Zeit entstand auch die Dominikanerinnenkirche im niederöster reichischen Imbach, die zu einem be deutenden Schlüsselwerk heimischer Hallengotik geworden ist. Das dem Hal lengedanken zugrundeliegende geistige Konzept ist die Idee des Predigt- und Versammlungsraumes, aber es mag auch die ursprüngliche und z. B. für die so bedeutende Dominikanerkirche in Toulouse 1263 beurkundete schiffweise Teilung in Laien- und Ordenskirchen für die Genesis der Halle bzw. die Über nahme des eigentlich profanen Schemas in den Sakralbereich wichtig sein. Für Österreich spielt zudem ein politischer Aspekt eine große Rolle: Ottokar II. (PrzemysI) stirbt 1278 in der Schlacht bei Dürnkrut. Rudolf I. begründet die Haus macht der Habsburger in Österreich. Nun hat es den Anschein, als hätten die Habsburger in den von ihnen geförder ten und gestifteten Kirchenbauten be wußt auf ein bereits unter den Baben bergern üblich gewesenes Architektur schema — die Halle — zurückgegriffen und so über öttokar II. hinweg das Band zu dem letzten legitim regierenden Herr scherhaus geknüpft. Der Babenberger Leopold VI., der Glor reiche, Herzog von Steiermark und Österreich — mit öberösterreich durch die Verleihung des Stadtrechtes an Enns besonders verbunden —, hat in dem von ihm gegründeten Zisterzienserstift Lilien feld das Hallenschema für den 1230 ge weihten Chor übernommen. Beim wei teren Ausbau unter öttokar II. wurde das Langhaus jedoch wieder in basilikalem Querschnitt errichtet. Die Habsburger verfolgten also in ihrer Förderung des Hallengedankens, insbesondere der Aus bildung von Hallenchören, wie in Heili genkreuz (geweiht 1295), Wien-St. Ste phan (geweiht 1340) und Zwettl (1343 bis 1383), ein politisches Ziel, ähnlich wie später noch einmal und umfassender in der Idee eines barocken Reichsstiles als sichtbares Zeichen der Überwindung der Türkengefahr. Da das Bild der Hallengotik durch den quantitativen Überhang der Pfarr- und Landkirchen bestimmt wird, ist man ver leitet, auch die Genesis in diesem Be reich verwurzelt zu sehen. Daß dies nicht so ist, zeigt der ursprünglich elitäre An spruch, der erst im Laufe der Entwick lung zugunsten massierter Breite auf gegeben wurde. Die Herrschaft der Habsburger stellte sich also nicht un wesentlich auch baulich dar: Architektur politik — politische Architektur. Die Mannigfaltigkeit der Formen, die ideenreiche Abwandlung desselben Typs, die verschiedenartige Stellung der Stüt zen, der Reichtum der Gewölbefigurationen und die Liebe zum Detail ist aber regional bestimmt und zeugt vom Kunst sinn und den wachsenden Möglichkeiten des hauptsächlichen Bauträgers, des Bürgertums. Die kärgste Landschaft Oberösterreichs, das Mühlviertei, bereichert die spätgoti sche Architekturszene schon mit ihren frühen Schöpfungen. Dabei bringt es die geographische Eigenheit dieses Viertels, in dessen weite zusammenhängende Waldgebiete die Siedlungen und Gehöfte inselhaft eingehauen waren, mit sich, daß eine zusammenfassende Gruppierung schwer möglich ist und sich die Ent wicklungen parallel und vielfach vonein ander unabhängig vollzogen. Fest steht, daß das Mühlviertel zeitweilig im Strah lungsbereich des Waldviertels und Steyrs stand. Dazu kam, daß in dieser Behar rungslandschaft besonders lange alte Traditionen fortwirkten und in manchen Bauten die Erinnerung an frühere Holz architektur wachgehalten scheint. Der Einstützenraum, eine über ganz Ober österreich verbreitete Architekturform, die man nicht zu ünrecht in eine geneti sche Beziehung zu dem Haus der Lex Bajuvariorum gebracht hat, ist in der Kalvarienbergkirche von St. Peter bei Freistadt und in der Kirche von Weitersfelden erhalten. St. Peter ist einer der anmutigsten Punkte des Mühiviertels. Steil über dem Freistädter Becken liegend, zeigt dieser kleine Denkmalbezirk, der aus Fiiialkirche, Kalvarienbergkirche und einigen Häusern besteht, ein immer anderes Ge sicht, je nachdem von welcher Seite man sich nähert. Einmal silhouetteartig auf ragend im Gegenlicht, das andere Mal hingebettet am schützenden Waldrand, besitzt St. Peter etwas von jener Be sonntheit, die Stifters ,,Nachsommer" so einfühlsam beleuchtet. Die kleine Kal varienbergkirche, die um 1370 erbaut wurde, ist ein quadratischer, schlank emporsteigender Einstützenraum, dessen vier Joche, das sind die Gewölbeeinhei ten, einfach kreuzrippengewöibt sind. Aber gerade diese Schlichtheit der architektonischen Formen macht diesen Raum besonders eindrucksvoll. Reste romanischer Grabsteine im Fußboden lassen erkennen, daß es sich um eine alte Kultstätte handelt und machen die Verwurzelung mit weit zurückreichenden Traditionen verstehbar. Im Langhaus der Pfarrkirche von Weitersfelden hat sich ebenfalls das Schema des Einstützen raumes erhalten. Nur überwölbt hier, dem größeren Schmuckreichtum der Stil stufe um 1500 entsprechend, ein achtstrahliges Sternrippengewölbe den Raum. Aus diesen altertümlichen EinstützenZentralräumen dürften sich die zweischiffigen Kirchen mit höherer Joch anzahl, das heißt mit mehreren hintereinandergereihten Gewölbeeinheiten, entwickelt haben. Neben der verschie denen Höhen- und Breitendehnung und der unterschiedlichen Chorausbildung unterscheidet man diese Kirchen am leichtesten hinsichtlich ihrer Gewölbe ausbildung, die von den einfachen For men des Kreuzgewölbes, wie in Rain bach und Schenkenfelden, über die Sternrippen, wie in Grünbach, Oberrauchenödt und Wartberg ob der Aist, bis zu den engmaschigen Netzrippen, wie in Niederneukirchen, St. Martin und ünterweißenbach, reichen. Bei einigen Kir chen, die ursprünglich nur zweischiffig angelegt waren, entschloß man sich noch während des Baues zur Dreischiffigkeit, wie etwa in Gramastetten. Bei anderen dreischiffigen Kirchen setzt sich der Ge danke des Breitbaus, also eines mehr breiten als langen Mittelschiffs, durch, wie etwa in Pabneukirchen, Perg und

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