Oberösterreich, 25. Jahrgang, Heft 4, 1975

Die Zukunft der alten Städte Gedanken zum Jahr des Denkmalschutzes 1975 Nachdruck aus dem Jahrbuch 1975 des österreichischen Gewerbevereines Hans Koepf Alte Städte und neue Menschensiedlungen Eine Stadt ist keine Agglomeration von Häusern, die sich möglichst wohlgeord net um Straßen und Plätze gruppieren, wie dies einige Duodez-Städtebauer im 19. Jahrhundert — und manchmal sogar heute noch — „geplant" haben. Gewiß kommt man im Städtebau nicht ohne Planung aus, doch verwechselten einige Städtebauer oder „Baupolizisten" ihre Ordnungsaufgaben mit architektoni schem Kasernenhofdrill: Sämtliche Häu ser müssen in einer Fluchtlinie stehen, die Stockhöhen und Gebäudehöhen ha ben in einer Straße gleich zu sein, Ge simse, Dachneigung, Dachdeckung, Dach aufbauten werden ebenso reglementiert wie der Schornstein! Das Fazit aller die ser wohlgemeinten (und in manchen Punkten vielleicht sogar notwendigen) Bau-,,Ordnungen" aber ist Monotonie. Am Ende steht das Unbehagen. Untersuchen wir dagegen die Struktur einer alten, gewachsenen Stadt, so fällt sofort auf, daß die Einheitlichkeit im Gro ßen mit größtmöglicher Freizügigkeit in allen Einzelheiten kombiniert war. Ein heitlich waren bei alier Variabilität im einzelnen die Haustypen, einheitlich auch Dachform, Dachneigung und Dach deckung, die Wandkonstruktion und die Gesimsausbildung. Dabei gibt es aber - entgegen unserer heutigen Normung und Typisierung - in einem alten Stadtkern keine zwei Häuser, die einander in Größe und Form völlig gleich wären. Es gibt auch kaum eine ,,Straßenflucht", vielmehr ,,fluktuieren" die Hausfronten ganz unbe sorgt, was den optischen Reiz eines Straßenbildes verstärkt. Aber auch die Straßenführung ist nie starr, sondern meist leicht geschwungen, so daß man nie direkt durch die Straße ,,durchsehen" kann, sondern immer eine geschlossene Straßenwand vor sich hat und sich in die sem Straßen-Raum geborgen fühlt. Bei mehrfacher Schwingung der Straßen wand in Form einer ,,Ondulation" erge ben sich immer neue Bilder und Über raschungseffekte, wodurch der Erlebnis ablauf beim Durchschreiten einer derarti gen Straße abwechslungsreich und fast spannend wird. Auch die Haushöhen und Gesimsausla dungen sind nie genau gleich. Man stellt ein dauerndes Auf und Ab, Vor und Zu rück fest, und dies noch kombiniert mit den bereits oben erwähnten Schwingun gen. Tests bei Architekturstudenten, die eine derartige alte Straße durchschritten haben und nachher (an anderer Stelle!) über den Bewegungsablauf eine Skizze machen sollten, haben ergeben, daß die meisten Beobachter Knicke und Kurven gar nicht bemerkt haben und ,,selbstver ständlich" annahmen, die Straße sei ganz gerade gewesen. Wenn man natürlich in der Hast unserer schnellebigen und im mer schablonenhafter werdenden Epoche die Gabe des Schauens verlernt hat, so wird auch die innere Vorstellung als Ouelle der Phantasie immer schwächer werden: Die heute geschaffene bauliche Wirklichkeit bestätigt diese Diagnose. Das Straßennetz einer alten Stadt ist auch nie so schematisch und geome trisch, wie man dies bei Neuplanungen immer wieder findet, sondern organisch aufgebaut wie die Aderung eines Blattes oder das Geäst eines Baumes. Die äuße ren Elemente sind schwächer als die im Zentrum gelegenen. An Knotenpunkten entstehen Erweiterungen oder Ausbau chungen. Wenn auch diese Strukturierung des Straßengefüges mit den die Stadt umschließenden Mauern und Toren in Zusammenhang steht, so war die Ausbiidung der breiten Straßen für den Ver kehr und der engen Wohngassen für die Fußgänger dennoch eine fast klassisch klare Differenzierung. Vor allem herrschte in den zahlreichen Sackgassen nahezu völlige Verkehrsruhe, wodurch auch die Lärmbelästigung unterbunden Die Fassadenpläne der öster reichischen Städte des Institutes für Baukunst an der Technischen Hochschule Wien, Vorstand o. Professor Dr. Ing. Hans Koepf, sind zu einem wichtigen Hilfsmittel der Denkmalpflege in Österreich geworden — im Bild Teilabwicklung der Fassaden des Hauptplatzes von Freistadt

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