Oberösterreich, 25. Jahrgang, Heft 4, 1975

Das IMeutor in Steyr Historische Ansicht von Steyr mit dem „aiten" Neutor Eines der markantesten Gebäude der aiten Eisenstadt, das auch in das Renovierungsprogramm aniäßlich des ,,Jahres des Europäischen Denkmaischutzes 1975" einbezogen worden war, ist das Neutor in Steyr. Darüber hinaus jährt sich in den siebziger Jahren zum 400. Maie die Errichtung dieses Bauwerkes. Am linken Ennsufer hatte Steyr bis gegen Ende des 15. Jahrhunderts keine Ringmauer besessen. Über Befehl Friedrich Iii. errichtete der kaiserliche Baumeister Martin Felser im Jahre 1478 im Zuge von Verbesserungs- und Erweiterungsbauten an den Steyrer Wehraniagen an der Enns eine massive Steinmauer und am Südende der Stadt eine Bastei. Zwei Jahre nach dem Stadtbrand von 1522 wurde hier eine Toraniage gebaut. Am 8. Juli 1572 hatte Steyr unter einer großen Hochwasserkatastrophe zu leiden. Viele am linken Ufer in der Stadt gelegenen Häuser wurden vernichtet oder stark in Mitleidenschaft gezogen. Die evangelische Schulkirche — heute Marienkirche, das anschließende Dominikanerkloster und der ennsseitige Trakt des Rathauses stürzten ein. Der Steyrer Geschichtsschreiber Valentin Preuenhueber berichtet in seinen ,,Annales Styrenses", daß Jammer und Not unbeschreiblich gewesen waren. Anstelle der ,,Zwey oberen Thore" an der Ennsbrücke, die unter dem Druck der Wassermassen eingestürzt waren, beschloß man, ein festes Bollwerk gegen unheilbringende Wasserfluten zu errichten. Mit der Durchführung dieses Projektes wurde der Baumeister Jakob Marconi mit seinen Kollegen Moritz Ranckh aus Enns und Pangraz Weich betraut. Dieses für die damalige Zeit sehr große ■ 4 ' . i/ , . M- r-fern 11 Bauvorhaben wurde im Jahre 1576 vollendet. Die ennsseitige — und nunmehr renovierte Fassade — zeigt Wappendarsteilungen und eine Inschrift mit Chronogrammen, die von dem Rektor der Lateinschule Georg Mauritius verfaßt worden waren. Der Text nimmt auf das große Unglück Bezug, während die zwei Chronogramme an das Jahr der Überschwemmung — 1572 — und an das der Vollendung des Torbaues — 1576 — erinnern. Dieses Tor, das neben dem Enns-, Steyr- und Giigentor zu den vier Haupttoren der Stadt zählte, wird auch in der reichen Schuigeschichte genannt. So beherbergte das Neutor nahezu zwei Jahrhunderte lang die deutsche Schule. Die alte Schule ,,am Berg"(heute Berggasse Nr. 46) war so baufällig geworden, daß der Rat der Stadt Steyr mit Beschluß vom 29. März 1577 den Unterricht in das Neutor verlegen mußte. Die Ubersiedlung konnte aber erst im Sommer durchgeführt werden. Die Nähe des Ennsfiusses brachte für die Schüler Gefahren mit sich. So mußte der Torwächter des Neutores darauf achten, daß sich keine Schüler auf der Ennsbrücke aufhielten. Desgleichen bekam das Brückengeländer einen Lattenverschiag bis über das erste Joch hinaus, und der Schulmeister hatte die Kinder beim Verlassen des Schulgebäudes zu beaufsichtigen. Der 1567 aus Freiberg in Meissen zugewanderte Schul- und Rechenmeister Kaspar Thierfeider war der erste Lehrer an der Schule im Neutor. Thierfeider verfaßte 1576 ein Lehrbuch der Arithmetik, das elf Jahre später bei Leonhard Heußier in Nürnberg ediert wurde. Kaspar Thierfeider kann mit Recht als bedeutendster deutscher Schulmeister der Eisenstadt in der Reformationszeit bezeichnet werden. Nach seinem Tode im Jahre 1594 führten die Söhne Daniel und Basiieus den Schuldienst weiter. Die im Jahre 1625 gegründete innerberger Hauptgewerkschaft mietete von 1654 bis 1669 für die Einlagerung von Getreide den Dachboden des dem Innerberger Stadel benachbarten Gebäudes. Ab 1. November 1850 bis in unsere Zeit beherbergte das Neutor die Gendarmerie, im Obergeschoß mußten diesbezüglich einige Adaptierungen vorgenommen werden. Aus dem gleichen Grund wurde die ebenerdige Wohnung des Schrankenziehers aufgelassen und die in der Nähe des Südtores befindliche Heuwaage in die Neuschönau verlegt. Eine Beeinträchtigung erfuhr das Ensemble des Neutores im Jahre 1892 durch die Errichtung der Stahlbrücke. Durch die Beseitigung dieses Uberganges und den Bau einer etwas flußaufwärts gelegenen modernen Betonbrücke hat das Neutor wiederum seine Wirkung gewonnen, wenn auch von mancher Seite der Ersatz des früheren Reichenschwalitores durch ,,pseudohistorische Öffnungen" kritisiert worden war. Das Neutorgebäude wird nach seiner endgültigen Umgestaltung und Renovierung und der notwendig gewordenen Überdachung des Verbindungsganges zum innerberger Stadel eine räumliche Erweiterung der musealen Sammlungen des Heimathauses Steyr mit sich bringen. Auch der innerhalb des Neutores liegende Platz wird eine entsprechende Funktion erhalten. Volker Lutz

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