Oberösterreich, 23. Jahrgang, Heft 1, 1973

Komm.-Rat Rudolf Hans Seid! Generaldirektor der Chemiefaser Lenzing AG • • Österreichs Chemiefaserindustrie und der europäische Markt In Österreich wurden Im abgelaufenen Jahr allein an Viskosestapelfasern, Kunstseide, Reifencord und synthetischen Fasern aus Polyester über 110.000 Tonnen erzeugt. Dazu kommt noch die Produktion der Österrei chischen Stickstoffwerke an Polypropylen fasern, die In Form von Filamentgarn, Sta pelfasern und Spinnvilesen angeboten wer den. Insgesamt ist diese österreichische Ge samtproduktion Im Vergleich zu den Erzeu gungsmengen In den Hauptregionen der Chemlefasererzeugung, inämllch Japan, den USA, den Ostblockstaaten und dem übrigen EWGund EFTA-Raum, bescheiden. Gerade jetzt aber. In einem Zeitpunkt der Integration der österreichischen Wirtschaft In einem größe ren Markt mit ca. 300 Millionen Konsumen ten, erweist es sich als ein Vorteil, daß die österreichische Chemiefaserindustrie schon seit jeher darauf angewiesen war, Absatz märkte nicht nur In dem relativ kleinen hei mischen Markt zu suchen, sondern auch, sich gegen oft übergroße Konkurrenz In der gan zen Welt zu behaupten. Aus Kostengründen sind heute bei Viskosestapelfasern Betriebs stätten mit einer Jahresproduktion unter 70.000 Jahrestonnen kaum mehr zu recht fertigen. Bei synthetischen Fasern sollte die Kapazität bei mindestens 30.000 Jahreston nen Hegen. Dies bedeutet für die österreichi schen Produktionsstätten, daß sie den größ ten Teil Ihres Ausstoßes Im Ausland abset zen müssen. Die österreichische Ghemlefaserlndustrie war schon Immer gezwungen, Ihre Anlagen so zu gestalten, daß eine kostengünstigste Produk tion möglich war. Österreich verfügt deshalb heute In der Chemiefaser Lenzing AG über modernste Anlagen zur Erzeugung von Vis kosefasern mit einer Jahresproduktion von derzeit etwa 90.000 Tonnen. 70 Prozent die ser Erzeugung gehen In den Export. Textll- und Relfenreyon wird In einer Menge von etwa 12.600 Tonnen (1972) In einem be stens ausgestatteten Betrieb der Ersten österr. Glanzstoff AG In St. Pölten her gestellt. Etwa 70 Prozent auch dieser Pro duktion gehen In den Export. Seit 1967 werden In Österreich auch Polyester fasern unter dem Markennamen „Trevira" er zeugt; der Exportanteil Hegt bei dieser um ca. 70 %. Bei der Betrachtung dieser Exportanteile Ist zusätzlich zu berücksichtigen, daß ein we sentlicher Teil der In Österreich verkauften Chemiefasern In Form von Halbfertigwaren und Fertigprodukten Österreich verläßt. Eine optimale Größe der Erzeugungsanlagen und eine kapitalmäßig günstige Ausstattung Ist deshalb nicht nur für die direkte Export fähigkeit der Textllfasern ausschlaggebend, sondern beeinflußt weltgehend auch die Kon kurrenzfähigkeit der nachgelagerten Betriebe der hoch exportintensiven Textilindustrie. Neben der kostenmäßigen Wettbewerbsfähig keit der österreichischen Chemiefaserlndustrle war aber eine weitere Voraussetzung dafür, daß wir auf den Weltmärkten Eingang fanden, daß unsere Ware qualitativ Immer ein Spitzenprodukt darstellte. Dies kam uns gerade bei den Viskosefasern in den letz ten Jahren zugute, als durch einen stagnie renden Weltverbrauch ein starker Preiskampf einsetzte, der mehrere Unternehmen In un seren Nachbarländern zwang, Ihre Produk tion an Viskosestapelfasern einzustellen. Der Chemiefaser Lenzing AG Ist es jedoch In die sem gleichen Zeltraum gelungen, nicht nur den Marktanteil zu halten, sondern sogar seine absoluten Absatzmengen zu erhöhen. Es zeigt sich bei Viskosestapelfasern, vor al lem In den gröberen Faserstärken, In den letzten Jahren eine teilweise Verlagerung auf Acrylfasern. Diese Beobachtung hat die Che miefaser Lenzing AG dazu veranlaßt, eine eigene Acrylfaserfabrlk aufzubauen, die vor aussichtlich noch 1973 Ihre Produktion auf nehmen wird. In Österreich erfolgt die Herstellung sowohl von Polyesterfasern als auch von Reifencord und Textllreyon In Betriebsstätten mit einer Kapazität, die eine dem Internationalen Standard entsprechende Forschung und Pro duktentwicklung nicht mehr garantleren könnten. Hier aber steht den österreichischen Erzeu gerfirmen über die ausländischen Mutter gesellschaften ein dem modernsten Stand entsprechendes Know-how zur Verfügung. Bei den synthetischen Fasern haben In den letzten Jahren Überkapazitäten zu einem starken Preisverfall geführt, der nun teilweise wieder abgebaut wird. Der Preis war vielfach auf die Im Verhältnis zu den Gesamtkosten sehr niedrigen Proportionalkosten gedrückt und der Kapitalfluß und die Intensivierten Gel der stark verlangsamt oder ganz eingestellt worden. Durch die Abkommen Österreichs mit der EWG wird es In den nächsten Jahren zu einem Abbau der Zoilmauern, wie sie derzeit noch für Viskosefasern bestehen, kommen und auch bei synthetischen Fasern, für die schon bisher In Österreich kein Zoll eingeho ben wurde, wird ein verstärkter Austausch über die Grenzen einsetzen. Neben den betrieblich bedingten Kosten bestandteilen, wie Kapazitätsgröße, eigene Forschung oder Überlassung von Know-how und Oualltätsvortelle der Erzeugnisse, wird In Zukunft die Konkurrenzfähigkeit durch den Intensiveren Warenaustausch In Europa stärker beeinflußt werden. Es wird eine Rolle spielen, ob uns In Österreich das Investitionskapital für Rationalisierung und Ausstoßvergrößerung auf europäische Größenordnungen In genü gendem Umfang zur Verfügung stehen wird. Auch Belastungen durch Vorschriften des Umweltschutzes, wie sie seitens österreichi scher Behörden gegeben werden, sollten In etwa In einem europäischen Rahmen liegen. Erste Schritte für eine Internationale Koordi nierung der nationalen Umweltschutzpolltlken wurden bereits gesetzt und damit vielleicht der Anstoß für eine gesamteuropäische Umweltschutzpolltlk gegeben. Für die Erhaltung der Konkurrenzfähigkeit der österreichischen Ghemlefaserlndustrie auf dem größeren Markt wird ganz wesentlich sein, daß wir nicht durch eine unkontrollierte Entwicklung der Lohn- und Personalkosten und der Preise unsere Internationale Wett bewerbsfähigkeit verlleren. Unbedingt notwendig Ist für die österreichi sche Exportwirtschaft eine baldige Bereini gung des Internationalen Währungswesens. Gerade ein kleines Land wird Infolge seines verhältnismäßig geringen Inlandsabsatzes viel stärker von jeder Störung Im Internationalen Waren- und Zahlungsverkehr getroffen. Wir müssen auch weiterhin alle Anstrengungen unternehmen, unsere Produkte qualitativ den Konsumentenwünschen entsprechend herzu stellen, den Markt laufend zu beobachten und darüber hinaus die Kosten konkurrenzfähig halten. Es wird uns dann gelingen, die große Chance aus dem größeren europäischen Markt In einen Erfolg für die österreichische Ghemle faserlndustrie umzuwandeln.

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