Oberösterreich, 19. Jahrgang, Heft 1, 1969

Michael Mitterauer Die mittelalterliche Burg in der Rechts- und Wirtschaftsgeschichte Die Bezeichnung Burg hängt mit bergen zusammen. Burgen sind ursprünglich Zufluchtsorte. In ihnen findet die Bevölke rung des offenen Landes bei Feindgefahr Schutz. Der Herr einer Burg ist in der Lage, Schutz und Schirm zu gewähren. Schutz und Schirm aber sind Grundelemente der Herrschaft schlechthin. Der Beschützte steht in einem Verhältnis der Abhängigkeit. Der Schutzherr kann von ihm als Gegenlei stung Dienste und Abgaben fordern. So ist die Burg Kern und Kristallisationspunkt aller mittelalterlichen Herrschafts bildung. Herrschaftsausübung setzt eine Vielfalt von Rechten voraus, gerichtliche Rechte verschiedener Abstufung, militärische Rechte, wirtschaftliche Rechte. Alle diese Rechte sind an das Haus des Herren geknüpft, haben in ihm ihren Mittelpunkt. Das Haus des Herren aber befindet sich entweder in der Wehranlage selbst oder in engem topographischen und funk tionalen Konnex mit ihr. Unter diesem Aspekt erscheint die Burg als ein zentraler Faktor der mittelalterlichen Rechts geschichte. Das Haus des Herren ist Sammelstätte für die Abgaben der herrschaftlichen Untertanen. Es handelt sich dabei ursprüng lich um Naturalleistungen, die erst im Lauf des Hochmittel alters teilweise oder zur Gänze in Gelddienste umgewandelt werden. Die Burg bzw. der ihr zugehörige herrschaftliche Wirtschaftshof sind dabei wichtige Bezugspunkte der agrari schen Produktion. Aber auch das Gewerbe hängt eng mit der Burg zusammen. Die herrschaftlichen Bannrechte erstrecken sich auf die Mühle, die Taverne, die Lebensmittelgewerbe der Burgsiedlung. Die Herrschaftsmittelpunkte bewirken so zumindest einen Marktverkehr niederer Ordnung. Aber auch der über den lokalen Bedarf hinausgehende Handel folgt den befestigten Plätzen. Der fremde Kaufmann mit seiner wert vollen Ware hat in besonderer Weise Schutz notwendig. Ein Austausch von Fernhandelsgütern erscheint vor allem in den gefahrvollen Zeiten des frühen Mittelalters überhaupt nur bei den geschützten und mit Sonderfrieden ausgestatteten Burg plätzen möglich gewesen zu sein. Aus solchen frühen Burg märkten hat sich dann der städtische Handel des späteren Mittelalters entwickelt. So hat die Burg, die schutzbietende Wehranlage, allen wesentlichen Zweigen des Wirtschaftsle bens als Ansatzpunkt gedient — freilich im Laufe der Ent wicklung in sehr verschiedenen Formen. Die mittelalterliche Burg zeigt in ihrer baulichen Gestalt eine reiche Typenvielfalt. Die räumliche und zeitliche Differen zierung ist in erster Linie durch verschiedene Formen der Wehrverfassung bedingt. Es wäre aber eine einseitig verengte Perspektive, wollte man die Burg nur in ihrer Funktion als Wehranlage sehen. Ihr allgemeiner Charakter als Herrschafts zentrum brachte es mit sich, daß die verschiedensten Lebens bereiche ihr äußeres Erscheinungsbild mitprägten. Rechtliche und wirtschaftliche Momente nehmen dabei einen wesentli chen Platz ein. In der jeweiligen Gestalt der Burg spiegeln sich über militärische Bedürfnisse hinaus die Gegebenheiten des sozialen Lebens einer Epoche. Die Vorformen der mittelalterlichen Burg reichen weit zurück in frühgeschichtliche Zeit. Nördlich der Alpen waren die Kel ten die ersten, die in großem Stil Befestigungsanlagen als Zu fluchtsstätten errichteten. Von ihnen haben die Germanen den Burgenbau übernommen. Die keltischen Wehranlagen, die man als Oppida bezeichnet, fanden sich meist auf natür lich geschützten Anhöhen, die durch Erdwälle, mitunter auch durch Mauern zusätzlich befestigt wurden. Ihre Ausdeh nung übertraf die mittelalterlichen Höhenburgen bei weitem, dienten sie doch als Fluchtorte für größere Siedlungsräume, oft für ganze Stämme oder Teile von Völkerschaften. Die Bewohner der ihnen zugeordneten Gebiete trafen sich hier jedoch nicht nur im Fall der Feindgefahr. Auch kultische Ver anstaltungen, Gerichtsversammlungen und Markttreffen wa ren häufig mit solchen Oppida verbunden. Soweit sie dauernd besiedelt waren, kann man bei diesen keltischen Anlagen, die sich ähnlich auch in den benachbarten germanischen Gebie ten wiederfinden, von „Burgstädten" sprechen. Innerhalb des römischen Herrschaftsbereiches wurde die Be völkerung solcher keltischer Oppida zumeist von den befe stigten Höhensiedlungen in planmäßig angelegte Städte in der Ebene umgesiedelt. Die Ablöse des Oppidums auf dem Magdalensberg durch die Römerstadt Virunum ist für diesen Prozeß typisch. Die friedlichen Zeiten der Pax Romana dauerten aber nicht lange. Schon in spätrömischer Zeit ging man nicht nur in den besonders gefährdeten Grenzgebieten zu befestigten Siedlungen in natürlich geschützter Lage über. Die Zeit der Völkerwanderung brachte vollends die Rück kehr zum vorrömischen Befestigungstypus. Die Fluchtburg gewann wieder an Bedeutung. Was von den Römerstädten übrigblieb, wurde in solche Burgsiedlungen umgewandelt. Ortsnamen auf -bürg, die sich für Siedlungen am Platz römi scher Städte finden, charakterisieren diese Entwicklung, etwa Augsburg, in dem das alte Augusta Vindelicorum weiterlebt, Regensburg an der Stelle des Lagers Castra Regina oder Salzburg an der von Juvavum. Aber auch aus römischen Kastellen wurden frühmittelalterliche Burgen, wie etwa der Name von Herilungoburg für das ehemalige Arelape (Pöchlarn) zeigt. Die zentralen Funktionen der römischen Vor gänger gingen freilich nicht in vollem Umfang auf diese Burgplätze über. Die „civitates" hatten als Mittelpunkte des Rechts- und Wirtschaftslebens für umfangreiche Landbezirke die dominante Rolle gespielt. Den Kastellen waren Bezirke der Militärverwaltung zugeordnet gewesen. Auch die Burg siedlungen des frühen Mittelalters waren zwar häufig Vor orte von Gauen, ihre Rolle als Verwaltungsmittelpunkte oder Marktplätze hält jedoch keinen Vergleich mit der ihrer Sied lungsvorgänger stand. Die Aufgabe als Zufluchtsstätte ist in ihnen die bei weitem vorherrschende. Der Schutzfunktion dieser frühmittelalterlichen Burgen ent sprachen gewisse Verpflichtungen jener Bevölkerungsgruppen, die hier im Notfall Zuflucht fanden. Sie waren für die Er bauung, Erhaltung, Bewachung und Verteidigung der Wehr anlagen verantwortlich. Diese Leistungen, zu denen die im Burgbezirk ansässigen Leute vom Burgherren oder seinem Amtsträger aufgeboten werden konnten, sind im ganzen mittel- und westeuropäischen Raum nachweisbar. Gemein sam mit der Heerfahrtspflicht gehörten sie zu den primären öffentlichen Verpflichtungen. Unter der Bezeichnung Burgwerk haben sie sich in Deutschland zum Teil bis ins späte Mittel alter hinein erhalten. Mit dem Burgwerksdienst in funktionalem Zusammenhang steht das Recht der zum Burgwerk verpflichteten Leute auf zollfreien Einkauf der Hausbedarfsgüter bzw. Verkauf der

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