Oberösterreich, 15. Jahrgang, Heft 3/4, 1965

Heinz Grolss Probleme der Landesplanung in Oberösterreich Die Menschheit vermehrt sich jährlich um 32 Millionen. Sie hat sich seit 1800 verdreifacht. Aber der Boden, auf dem sie lebt und der sie ernährt, ist einmalig: er kann nicht erzeugt werden wie Autos und Maschinen. Wir müssen uns daher Sorgen darüber machen, wenn in Österreich allein täglich 10 Hektar Boden, das ist jährlich 3000 bis 4000 Hektar Land für Industrie, Verkehr und Siedlungen, verlorengehen. Es entspricht dies einer Fläche von 200 Bauernhöfen mit je 20 Hektar Ausmaß. Oberösterreich verliert wöchentlich zehn Hektar, das ist alle 14 Tage die Bodenfläche eines Bauern hofes mit 20 Hektar, welche damit der Bevölkerung als Nähr boden für immer verlorengeht. Dabei verlieren wir ihn nicht vielleicht in entlegenen Gebieten,zum Beispiel an der tschechi schen Grenze, in weniger produktiven Gebieten, wo wir ihn leichter entbehren könnten — wenn man das von landwirt schaftlichem Boden überhaupt so sagen darf —, sondern vor wiegend in den zentralen, fruchtbaren Lagen unseres Landes. „Jahrhunderte hindurch war unser Lebensraum sinnvoll ge ordnet. Heute noch zeugen wohlgestaltete Bauernhöfe, schöne alte Dörfer und Städte von einstiger Harmonie. Alles stand am richtigen Platz und war richtig aufgebaut. Diese Ord nung ruhte auf festen Grundlagen. Die Wirtschaftsform war durch Jahrhunderte wenig verändert, der bäuerliche Boden unveräußerlich, der Wohnort zugleich Arbeitsort. Die Men schen hatten starke gesellschaftliche und religiöse Bindungen. Den Eingriffen in die Natur haben die begrenzten techni schen Mittel Schranken gesetzt. Heute jedoch ist die alte Ord nung vielfach zerstört und die Harmonie der Landschaft ver lorengegangen."*) Wir haben in Oberösterreich insgesamt 123.000 Pendler. Un gefähr 36.000, das ist rund ein Drittel davon, fahren zu ihrem Arbeitsplatz nach Linz. Weitere 3000 kommen aus den be nachbarten Bundesländern noch dazu. Der Wunsch fast aller dieser Pendler nach Linz ist ein Siedlungshaus am Stadt rand. Und wir sehen diese Stadt daher hinauswachsen über ihre Gemeindegrenze in einer stürmischen Siedlungsentwick lung hinein in die Welser Heide und hinaus entlang der Hauptausfallsstraßen. Während sich aber die ländlichen Ge biete entvölkern und dabei die Arbeitskräfte für die Be stellung des landwirtschaftlichen Bodens verlorengehen, ent stehen hier ungesunde Ballungen aus einem ungeordneten Nebeneinander von Wohnbauten und Industrie mit ihrem Rauch,Ruß und Lärm. Niemanden wird es daher wundern, wenn es wiederum der Traum der Städter ist, ein Wochenendhaus am Lande zu be sitzen: am Waldrand, am Hügel, am Bach- oder Seeufer — und unsere schönsten Landschaften von diesen Wochenend häusern überschwemmt werden! Dabei liegt etwas Ge sundes in diesem Wunsche des Städters nach dem „Zurück zur Natur" am Wochenende — mit seiner ganzen Familie. Überhaupt beide Wünsche sind natürlich und verständlich. Der Pendler will seine Wohnung in der Nähe seines Arbeits platzes und der Städter will sich in der freien, gesunden Landschaft erholen können. Aber die Folgen sind bekannt. Sie sind verheerend: zersiedelte Landschaften — „die Häusel pest" sagt man in Bayern dazu — und wildwuchernde Städte. Wir stehen vor einem noch ungelösten Problem unserer Zeit. Und dabei wären gute Lösungen für beide Entwicklungen möglich, aber gelenkt und geordnet müßten sie vor sich gehen. *) Werner Jäger in „Warum Raumordnung in Österreich". Wir regulieren Bäche und Flüsse und entwässern Talböden um hohe Millionenbeträge, um landwirtschaftlichen Boden zu gewinnen oder zu verbessern, und daneben wiederum werden Wiesen- und Ackerböden aufgeforstet. Wir jagen durch diese Regulierungen das Wasser so schnell wie mög lich aus dem Lande, anstatt es solange wie möglich darinnen zurückzuhalten, wie es alte, weise Fachleute immer wieder dringend gefordert haben. Wir verunreinigen die Gewässer und dabei stehen unsere Städte vor der immer schwieriger werdenden Frage, wo sie in Zukunft ihr gutes Trinkwasser hernehmen sollen. Auf einer Tagung in Bonn wurde ernstlich erwogen, eine Trinkwasser pipeline von Norwegen nach Westeuropa zu legen, und meh rere Länder bewarben sich dort um eine solche Lösung. Aus der Tagespresse hat man erfahren, daß man reines Wasser aus den Schweizer Bergen in das Ruhrgebiet leiten will. Dort gibt es ja Städte, wo das Wasser aus der Wasserleitung bereits siebenmal den Organismus passiert hat und wieder gereinigt wurde. Die Schweiz erwartet sich aus der Lieferung von reinem Wasser ein gutes Exportgeschäft. Wir sollen mit unseren Wasserschätzen, die wir Gott sei Dank noch haben, gut haushalten, damit wir in ferner Zukunft nicht auch einmal reines Wasser einführen müssen. Wenn wir vom Wasser sprechen, dürfen wir nicht verges sen, daß in Oberösterreich über eine halbe Million Menschen in Gebieten lebt, wo auch schon die Luft durch die Industrie verunreinigt ist und jahrein, jahraus auf 10 bis 20 Kilometer vom Industriebetrieb entfernt stinkt. Das heißt, daß der Hälfte der Oberösterreicher oft auch schon das Atmen der frischen, reinen Luft verwehrt ist. Man sieht, die primitivsten Grundelemente des menschlichen Lebens, Erde, Wasser und Luft, sind in Gefahr und kommen in Unordnung. Wir tragen aber die Verantwortung dafür, ob unsere Nachkommen einen gesunden Lebensraum vorfinden oder unter einer Dunstglocke leben und ein Wasser trinken müssen, das bereits mehrmals gereinigt wurde! Im Zusammenhang mit einem gesunden Lebensraum ist auch von den Kleingehölzen, Hecken und Bäumen in der freien Landschaft zu sprechen. Wir haben diese Heckenlandschaften mit all ihren nützlichen Auswirkungen für die Landwirtschaft und den Menschen noch in so reichem Ausmaß, daß ein welt bekannter Landschaftsgestalter Oberösterreich den „bäuer lichen Gottesgarten" genannt hat. Und Stifter hat gesagt: „Der Oberösterreicher liebt den Baum und den Strauch und pflanzt eher einen, als er ihn umhaut." In Niederösterreich hat man sie in den vergangenen Jahrzehnten umgehauen und durch Regulierungen den Grundwasserspiegel erschreckend abgesenkt und muß jetzt nicht Millionen-, sondern Milliarden beträge aus öffentlichen Mitteln aufwenden, um diesen Irr tum wieder gutzumachen und die Fruchtbarkeit des Bodens wieder herzustellen sowie ihn vor Winderosion und Erdverwehungen zu schützen. Denken wir daran und legen wir nicht leichtfertig die Säge an unsere Baumreihen. Sagen wir nicht: „Diese Gefahren bestehen nicht bei uns. Sie gelten nur für Niederösterreich, für das Marchfeld, für das pannonische Klima." Es könnte sonst geschehen, daß wir im Laufe der Jahre aus unserem „bäuerlichen Gottesgarten" eine Kultur steppe machen — falls wir diesen Ausdruck für eine über triebene, maßlos gesteigerte Maschinenlandschaft gelten las sen wollen. Denken wir in diesem Zusammenhang aber auch an unseren Fremdenverkehr! Er ist die Wirtschaftsform, in welcher wir

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