Oberösterreich, 15. Jahrgang, Heft 1/2, 1965

RUDOLF WALTER LITSCHEL Dem Lebendigen fremd - und doch dem Lebendigen ganz verbunden Silhouetten zur österreichischen Dichtung in der Zeit des Donaustils In jeder Epoche wachsen der Menschheit Persönlichkeiten zu, die dank ihres Wirkens und kraft ihrer Arbeit einen Hauch von der Unsterblichkeit oder zumindest ein gelegentliches Erinnern verdienen würden. Aber der Zug durch die Zeiten gleicht einer Flucht, und was bleibt, ist eine Handvoll Namen — im letzten wesenlos und ohne Wärme wie Schatten. Diese Erscheinung - von Goethe beklagt, von Grillparzer jedoch umjubelt, denn nur „dadurch fällt das Korn dem Schnitter in den Schoß" — tritt verständlicherweise immer dann stärker auf, wenn eine alte, scheinbar festgefügte Ord nung einer neuen, unbekannten weichen muß. Die Angst vor dem Kommenden, das Bangen vor der Ungewißheit zerren das Menschliche in den Taumel des Vergessens, und so währt es oft Jahrhunderte, bis sich die Dinge wieder klären und runden. Inmitten eines solchen Bruches, an einer solchen Nahtstelle zwischen alt und neu, zwischen Konservatismus und Radi kalismus, entstand der Donaustil. Seltsamerweise wurde er literarisch weder vorausgeahnt noch prophezeit — ja, es scheint, als ob sich die Künste in jener Epoche unabhängig voneinander und feindlichen Milchbrüdern gleich entwickelt hätten. Was wir aus dem Barock, aus dem Biedermeier, aus dem Pin de siede und sogar aus der Gegenwart gewöhnt sind — nämlich, daß die Dichter so dichten wie die Maler malen und die Komponisten komponieren —, vermissen wir an dieser Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert: allerdings erklärbar, denn während die Maler und Bildschnitzer bereits fast alle technischen Ausdrucksmittel besaßen und verwenden konnten, rang der Tondichter noch mit der melodisch-linearen Führung der Einzelstimmen und der Literat hockte in der dumpfen,keineswegs phantasieerfüllten Gelehrtenstube. Und doch: ein Mann war da, ein Mann spürte das Beben voraus und hielt es auf dem Papier fest: Paul Schneevogel, genannt Niavis. Er, der zu Eger in Nordböhmen Geborene, war es, der den humanistischen Aufbruch unter Enea Silvio Piccolomini (1405 bis 1464) nicht nur im philosophischen und didaktischen Sinn registrierte, sondern auch als Dichter mit erlebte und mitformte. Daß er sich dabei an den Satiriker Lucianus hielt, ist kein Zufall: beide — Lucianus und Niavis — hatten zu geißeln statt zu erzählen, hatten aufzuklären statt zu träumen. Aus dieser Mission erwuchsen dem Chemnitzer Stadtschul leiter und späteren Stadtschreiber zu Zittau und Bautzen, Paul Schneevogel, Kräfte, die seine Briefe und Novellen zu einem echten Beginn stempelten, zu einem Auftakt, ohne den ein Celtis gleichermaßen unverständlich wäre wie ein Joachim von Watt. Darüber darf man freilich nicht — und ich wieder hole den Namen absichtlich! — einen Piccolomini, einen Johann Krachenberger (um 1460 bis 1518) mit seinen Elegien Ä, " \v' 'i'sV.- -1^ - ■ . X St. Florian, Augustinerchorherrenstift, Grabstein von Propst Petrus Maurer, Detail mit Darstellung des Propstes, darunter sein Wappen (siehe auch Abbildung Seite 1) Foto: Eiersehner 26

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