Oberösterreich, 14. Jahrgang, Heft 3/4, 1964

einen gewissen Prozentsatz der Mitbürger — auch, ja gerade jener neuen aus den Wohnvierteln am Stadtrand — als Teil nehmer am normalen Kulturleben der Stadt zu gewinnen trachten. Der Besuch des Theaters, der bedeutenden Konzerte, der Museen und Galerien veranlaßt den Stadtrandbewohner, sich zunächst einmal körperlich ins Stadtzentrum zu bemühen, doch wird dabei allmählich auch eine innere Entfernung über wunden. Von der Peripherie her verwächst der Mensch mit Erscheinungen des zentralen städtischen Lebens; und indem er teilnimmt, wird er auf geheimnisvolle Weise selbst ein Teil der Stadt. Berührungspunkte mehren sich und die Ver bundenheit wird stärker, bis sich der im Assimilationsprozeß verstädternde Mensch eines unmerkbaren Tages mit seiner Stadt identifiziert. Zu seiner Stadt gehört nun auch die Stadt bevölkerung, mit der ihn — den Stadtbürger unter Mitbürgern — eine nahezu unüberblickbare Fülle der Funktionen und ihrer Wechselwirkungen verbindet. Zum Bewußtsein, an der Gegenwart tätig teilzunehmen, gesellt sich die Ahnung, auf dem gemeinsamen Grund einer bestimmten Vergangenheit zu stehen, sowie der Wille,zu einer sinnvollen Zukunft hinzu streben. Der Einwand, daß dies eine Apotheose sei, in der allzuviel idealistische Illusion stecke, weil die Menschen eben ver schieden und ihre Interessengruppen gegensätzlicher Rich tungen seien, was auch im Lebensbereich der Stadt nicht übersehen werden könne, soll mit einer Feststellung Werner Bockelmanns eingeschränkt werden. Der einstige Oberbür germeister der Stadt Frankfurt am Main und jetzige Ge schäftsführer des Deutschen Städtetags mit dem Sitz in Köln am Rhein, Dr. h. c. Werner Bockelmann, hat kürzlich in einem Interview gesagt: „Politik vollzieht sich in der Ge meinde weniger ideologisch verkrampft als auf den höheren Ebenen. In der Gemeinde hält sich Politik weit mehr an die Sache als an Programme." — Eben deshalb kann in einer Stadt jenes verbindliche und verbindende Klima ent stehen, in dem Stadtbürger und Stadtbürgerschaft gedeihen. Wer wollte bezweifeln, daß Linz die großen materiellen und sozialen Leistungen der Nachkriegszeit — zu denen nicht zu letzt die unkontrollierbare Problematik langwieriger Einbür gerungsprozesse gehört — vollbringen konnte, weil das „Klima" günstig war? Daß in diesem neuen Linz trotzdem nichts abgeschlossen ist, mag jedem, der kritisieren will, unbestritten bleiben. Irdische Existenz erweist sich überall und jederzeit als unvollendete Symphonie. Und bei aller Ra sanz, die unserer Stadt heutzutage nachgerühmt wird, gilt glücklicherweise auch für sie Leopold von Rankes Tagebuch notiz; „Die Dinge der Welt gehen langsam. Ginge die Ent wicklung zu rasch, so würde das Individuum gar keinen Raum haben,zu leben." Bei Schichtwechsel werden die Zufahrtswege zu den großen Industrieanlagen von den Fahrzeugen der Arbeitnehmer beherrscht Foto Albrecht

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