Oberösterreich, 14. Jahrgang, Heft 3/4, 1964

solche Schulstunden keine leichte Auf gabe; die fast fehlende Phantasie bei den Kindern muß ja immer wieder durch ein sehr handgreifliches Anschauungs material ersetzt werden, denn nur mit gut ausgeklügelten Schulbehelfen kann die geistige Schwerfälligkeit überwun den werden. Familie und Schule wären jedoch nahezu wirkungslos, käme nicht als drittes die medizinische Behandlung und Betreuung hinzu. Diese drei Faktoren bedingen einander grundsätzlich in der Erziehung der behinderten Kinder. Wie die Schule ohne die Unterstützung der Familie und ohne Nachhilfe auf medi zinischem Gebiet nicht wirksam sein > .eA // ,> > !'iw könnte, so die Familie nicht ohne die beiden anderen Komponenten, und auch die medizinische Betreuung würde ohne den Rückhalt von Schule und Familie ins Leere greifen. So aber, da die drei seitige Wechselwirkung ineinander über geht, ist gerade die medizinische Über wachung zu einer sehr erfolgreichen Einrichtung geworden. Der Arzt ist hier der wichtige Helfer des Lehrers, denn aus der klinischen Untersuchung ergibt sich zugleich ein Ansatzpunkt für die schulische Erziehung wie auch für die notwendige Form der Unterstützung durch die Kinderdorf-Mutter. Ein Team von Ärzten bemüht sich, seine Erfah rungen einem Team von Lehrern und Müttern mitzuteilen — zum Segen dieser Kinder. Und so kommt es, daß das Kinderdorf St. Isidor trotz des Leids, das es birgt, ein fröhliches Dorf ist, in dem die Kinder sorglos ihre Spiele treiben und jauchzend Roller fahren, wenn sie nur irgend können. Es ist ein so frohes, schönes Dorf, daß die Leute aus der Umgebung sogar ihre gesunden Kinder hierher in den Kindergarten schicken — das ist vielleicht der beste Beweis dafür, daß es in St. Isidor wirklich gelungen ist, auch den behinderten Kindern ein echtes, gutes Familiendorf zu bauen. St. Pius in Peuerbach Man dai-f, wenn man von dem schö nen Dorf St. Isidor spricht, auch jene ärmsten Kinder nicht vergessen, die ihrem geistigen Vermögen nach dort nicht mehr erzogen werden können. Sie leben im Institut St. Pius in Peuerbach. Zwar ist dieses St. Pius noch kein Dorf zu nennen, aber ein bescheidener An fang dazu ist gemacht, wenn auch die Schwierigkeiten in diesem Fall noch un gleich größer sind als selbst in St. Isidor. St. Pius untersteht rechtlich — genau so wie St. Isidor — der Caritas der Diözese Linz; auch hier ist, ähnlich wie in St. Isidor, ein ehemaliges bäuerliches Besitztum der Grundstock des Insti tutes. Freilich vermißt man die dörf liche Lebendigkeit, aber auch hier ge schieht für die Kinder, was nur irgend wie möglich ist; sie genießen Liebe, Pflege und Geborgenheit bei den Schwe stern und Lehrern von St. Pius und lernen, ihre winzigen Kräfte innerhalb ihrer schwachen Fähigkeiten einzuset zen: im Garten, im Haus, bei kleinen Handfertigkeiten. Sie lernen hier, sich einzufügen in eine Gemeinschaft, und das hilft ihnen und erhebt sie, wenn sie es auch nur unbewußt spüren. Der äußere Eindruck von St. Pius ist der eines gepflegten ländlichen Hauses. Die schöne neue Schule mit den moder nen großen Fenstern ist ein erfreu licher Blickpunkt; die ruhige Umgebung, die weiten Wiesen, all das vermittelt eine sehr wohltuende Atmosphäre — aber das Innere des Heimes ist mehr als erschütternd. Alle Arten mentaler Erkrankung, alle Arten cerebraler Fehl entwicklung — von der Debilität bis zum Mongoloismus — finden wir in den Kindern von St. Pius ausgeprägt. Und wenn man um die Verhältnisse fragt, aus denen diese schrecklichen Schicksale aufwuchsen: nur ein relativ kleiner Teil kommt aus ungeordneten Lebenskreisen; erschreckend groß da gegen ist die Anzahl derer, die aus nor malen Familien kommen. Das Unheil fragt nicht, wenn es zuschlägt. Man muß aber andererseits die Freude dieser armen Kinder von Peuerbach über ihre Fleckerlteppiche, über ihre Webarbeiten, über ihre Basteleien ge sehen haben, um zu ermessen, was eine geeignete Erziehung auch für sie bedeu tet. Ein sichtbar vollbrachtes Werk macht diese Kinder überglücklich, daher zielt alle Erziehung in St. Pius — auch die mühsame schulische — auf sinnvolle Beschäftigung. Das Dasein solcher armer Kranker besteht ja aus einem unerhört starken, aber auch genauso ungezügel ten Beschäftigungsdrang; wenn es ge lingt, diesen quälenden Drang in ein sichtbares Ergebnis umzuwandeln — ein Vorgang, den diese Kranken niemals allein, sondern nur mit konsequenter Hilfe leisten können —, dann löst sich die Spannung, unter der diese Menschen leiden, in ein Glücksgefühl auf. In er höhtem Maße drängt sich daher die Notwendigkeit auf, solchen armen, gei stig so sehr benachteiligten Kindern Avenigstens durch eine speziell für sie geeignete Erziehung zu helfen, die auf gestaute formlose Energie ihres Lebens in eine geordnete Bahn zu lenken. Freilich werden sie immer ein geschlos senes Milieu, einen von der normalen, unduldsamen Welt abgegrenzten Le benskreis nötig haben, um bestehen zu können; immer werden sie eine Um gebung brauchen, die ihre Eigenschaften nicht V e r gleichend, sondern aus glei chend auffängt. Sie werden immer Hilfe und Unterstützung brauchen — wer aber sollte dazu verpflichtet sein, wenn nicht Avir, die wir verschont sind von solchem bitteren Leben? Denn wir, die wir unsere geraden Glieder, einen gesunden Verstand und ein geordnetes Familienleben als das Geschenk unseres Daseins preisen dür fen, können uns unserer Möglichkeiten nur dann getrost bedienen, wenn wir uns bemühen, auch diejenigen unserer Mitmenschen, die vom Schicksal hart bedrängt sind — und die Kinder sind die Ärmsten von allen —, so gut zu umsorgen, daß sie ihr zerschlagenes schweres Leben unter Umständen leben können, deren wir uns nicht schämen 30

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