Oberösterreich, 10. Jahrgang, Heft 1/2, 1960

ELFRIEDE PRILLINGER Pinv Gedanken über unser Heimatland, seine Sendung und seine Schönheit WEN VON UNS OBERÖSTERREICHERN ergriffe es nicht stets von neuem, dieses eine zu wissen: daß wir hier, ausgerechnet hier daheim sind und daß wir hergehören in dieses Land, denn wir sind herausgeboren aus dem Antlitz seiner Landschaft und aus der Kraft seines Geistes. Man nennt uns: Ober-Österreich, und ich glaube, das ist nicht nur geographischer Zufall, sondern mehr noch tiefe Bedeutung. Bedeutung darum, weil unser Land in seiner geistigen und menschlichen Struktur ein Abbild, ein ver kleinertes Spiegelbild der größeren Heimat Österreich ist. Auch wir sind — wie das gesamtösterreichische Volk — aus dem starken Einfluß von allen Seiten geboren. Auch uns hat der Lauf der Geschichte viel Blut vermischt und damit viele Wesenszüge und viele verschiedene Eigenschaften in uns zusammengetragen. Daher überkommt auch uns die Schwermut des östens aus dem Slawischen her und macht uns dunkel und träumerisch und ein wenig weich und breit; aus dem Süden aber wächst uns der Wunsch nach der Schönheit und nach der Gestaltung zu; — freilich: ein wenig auch nach Bequemlichkeit — aber diese Bequemlichkeit ist nicht Faulheit, sondern ein Warten auf die eine wichtige Stunde; und wenn die dann kommt, dann bricht auch der westliche Einschlag in uns durch,und wir werden lebhaft und streiten um unsere Ideen und um das Bild unserer Welt. Und dann wieder überfällt uns das Fernweh.Auch in unsistja das wandernde nordische Blut — Gott weiß, von wann her —,und manchmal packt es uns wieder. Dann spüren wir plötzlich den Geruch der fernen großen Häfen und den Geruch einer ganzen Welt — und dann träumen wir hinaus, wohin immer. Freilich: eines Tages wird es dann sein, daß wir wieder erwachen. Das mag geschehen auf einem Hügel von Rom oder mitten in den Weiten von Südamerika — irgendwo, wohin uns der Traum getragen hat oder die Notwendigkeit unseres Lebens oder sonst eine der tausend unnennbaren Kräfte des Daseins. Und aus einer Stille, aus einer jener Sekunden der Wahrheit heraus, wie sie für einen jeden von uns bereitet sind, wird die Erinnerung wachsen: Wissen, wie es zu Hause ist, daheim,dort,wo man hingehört, weil man von dorther geboren ist. Ein Österreicher hat ja nur ein Vaterland: Österreich, und ein Oberösterreicher hat nur eine einzige Heimat: sein Oberösterreich! WAS ABER IST DENN DAS: HEIMAT - denn Baum und Strauch und Blüte und Falter und mannigfaches Getier sind doch überall. Überall wächst das Brot des Daseins aus einer krümeligen Erde, und überall dehnt sich ein Himmel über dem Menschen und bestimmt Tag und Leben. Aber da ist eben dieser Mensch. Da ist der spezifische Ausdruck seines Wesens, der der neutralen Erde erst das Angesicht einer Besonderheit gibt; aus Willen und Wunsch heraus baut der Mensch seine Landschaft und seine Städte, aus Formgefühl und Andacht und Fleiß entstehen Klöster und Kirchen und Stätten der Kunst. Weil aber die Menschen, die das Antlitz unseres Landes im Verlauf vieler Jahrhunderte geprägt haben, unsere Vor väter waren, darum verstehen wir ganz, was sie mit ihrem Leben uns sagen wollten: „Dieses war unser Land, und nun ist es Erbe für euch und für alle, die kommen; für euch haben wir an diesem Land gebaut — wir sind aus dieser Erde geboren und wieder in sie gestorben, und was da zwischen lag: unser Leben, das haben wir ihr ganz ge schenkt. Tut ihr nun das gleiche!" Aber nicht nur Tradition — noch ein anderes ist uns die Heimat: das Land der kleinen Dinge, das Land der Einzel heiten, das Land der eindrucksvollsten Erinnerung. Was wir suchen in unserer Heimat istja nicht Großartigkeit, nicht das Wirken nach außen und niemals das Laute und Schreiende. Was wir suchen, ist klein und unscheinbar: Wiesen, überschüttet mit den tausend Farben des Frühlings, und Wälder, in denen die Sonne sich fängt; stille Wege einen Hang hinauf oder entlang dem Ufer des Sees, eine freundliche Stunde, in der wir das Gebirge so sehen können, daß es uns Tränen der Dankbarkeit in die Augen treibt: ringsum die Kette der Berge in einem wahr haft himmlischen Blau — oder wirfahren über Land,wenn schon Sommer ist, wenn die Felder breit und verschieden farbig neben den Wegen liegen, duftend von dem Hauch ihrer Trächtigkeit, und in den Halmen schon sichtbar die Frucht, die uns nähren wird an jedem einzelnen Tag. 13

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