(Kulturzeitschrift) Oberösterreich, 5. Jahrgang, Heft 1/2, 1955

Otto Wutzel Burgenkunde in Sberösterreich Der Bedeutungswandel der mittelalterlichen Burg lehrt uns ein Stück politische Geschichte, in gleicher Eindringlichkeit aber auch ein Stück Kulturgeschichte. Aus dem alten Wehr- bau ist eine Ruine geworden oder ein gänzlich verbautes, umgebautes, meist schlecht erhaltenes Haus. Die historische Heimatkunde reiht diese sZrofanbauten der Vergangenheit in die Gruppe der dinglichen Geschichtsquellen ein. Die Kunstwissenschaft interessiert sich für sie in ihren Gesamt- anlagcn und Architekturdetails als Beispiele der europäischen Baugeschichte. Die Denkmalpflege wertet sie als Akzente der Landschaft, die in besonders eindringlicher Form das Inein- andergreifen von Statur und Menschenwerk dokumentieren. Über dem Intellekt steht aber sehr oft das Gefühl. Und so dürfen wir in der Kunde von unseren Burgen die roman ­ tische Grundstimmung unseres Volkes nicht vergessen oder geringschätzen. Es gibt eine echte Burgenromantik. Sie be ­ herrscht alle Altersstufen und macht oft nüchterne Menschen zu Sonntagsschwärmern, die ikrcn weg in den Feierabend nicht ohne das Bild der alten Mauern an waldcsrand oder auf Bergesböb erwandern möchten. Aus diesen vielnestal- tigen und verschiedenwertigen Faktoren hat sich als eigene Spezialdisziplin der Geschichtswissenschaft und als Rand ­ gebiet zur Kunstgeschichte bin die Burgenkunde entwickelt. Sie ist in den Lehrplänen der Hochschulen offiziell noch nicht anerkannt, ist auch methodisch nicht klar umschrieben, dem ­ nach heute noch ein Tummelplatz vielfacher Auffassungen. Im wesentlichen wird sie immer im Rahmen der Lokal- geschichte bleiben müssen und nie ohne die romantischen Dilettanten, o^ne die Amateurbistoriker, auskommon. Es mebren sich aber doch die Anzeichen, daß man in die burgen- kundliche Arbeitsweise eine gewisse Methodik einführen eine größere Einheitlichkeit erzielen möchte. Ihre Anfänge sind verhältnismäßig früh anzusetzen. Als Georg Matthäus Bischer im Jahre 1674 feine „Tonoi-ra- pbm Sustrmo superioris moclerrme" herausgab und hierin im Bild die Burgen, Schlösser, Städte und Klöster von Österreich ob der Enns festhielt, so setzte dies unter anderein bereits ein burgenkundliches Interesse voraus- Es war cin- geschlossen in die damals übliche topographische Methodik. Die eigentliche Burgenkunde wurde jedoch — wie so vieles in unserer modernen Geisteswelt — in den Tagen der Romantik geboren. Es war eine bobe Welle des welt- an schau lieben Idealismus, die an der wende vom )S. zum 1 9. Jahrhundert in Berlin, Jena und Heidelberg das ge ­ dankliche und literarische Gut der Romantik schuf. Man strebte bedeutenden Zielen zu, träumte von einem Gesamt- kunstwerk und einer weltreligion, forderte nach einem Zeit ­ alter des Verstandes ein Leben und Schaffen in Empfind ­ samkeit. Novalis verkündet in seinem Aufsatz „Spuren einer neuen Welt" den Beginn einer „neuen goldenen Zeit". Es ist eine Tragik im Denken und Dichten dieser Jünglingsseelen, daß rbr Hauptwerk nur zu Bruchstücken gedieh. Von dem, was sie im Tiefsten wollten, was die Besten unter ibnen — wackcnroder, Novalis, Tieck, Friedrich und August Wilhelm Schlegel — dachten und schrieben, ist nicht viel wirksam ge ­ blieben. Der romantische Roman blieb unvollendet. Das romantische Drama wurde nicht bühnenreif, das romantische Bild nie gemalt, obwohl es große Köpfe waren, die um all diese Kunstformen rangen — Goetbe nannte Novalis einen Imperator des Geistes und interessiert hörte er der Lesung von Tiecks Drama „Genoveva" zu. Das romantische, ideale Gesamtkunstwerk wurde also nie geschaffen, über die Jahr ­ zehnte hinweg blieb aber diese Geistesströmung wirksam in der Entdeckung und Wertschätzung des altdeutschen Lebens, des deutschen Mittelalters. Es wäre jedoch ein Mißverständ ­ nis, wenn man diese ursprüngliche Nebenabsicht, dieses Nebenwerk der Romantiker als ihre wesentlichste geistige Leistung erkennen wollte. Höher als die Lehre vom Volks- tum müßte eigentlich die Schrift Novalis' „Die Christenheit oder Europa" eingestuft werden. Selbst bei Clemens Bren ­ tano, der schon dem Kreis der Heidelberger Romantik zuzu- rechnen ist, zählt der „verwilderte" Roman „Godwi" mehr als „Des Knaben Wunderhorn". Es ist aber den Roman ­ tikern zum Schicksal geworden, daß sie nur auf einem Sektor ihres Denkens und wollens, der für sie selbst, wie bereits angedeutet, nicht im Zentrum stand, Weltbedeutung erlang ­ ten, nämlich in der Ehrenrettung des „finsteren" Mittel- alters. Zunächst entdeckte man die alte Dichtung, das Mär ­ chen, die Sage, das Volksbuch, das Lied. Man konnte be ­ reits auf frühere Beispiele des Interesses und der Forschung zurückgreifen, fand aber jetzt diejenige literarische Fornr der Wiedererweckung, die bis heute gültig geblieben ist. Clemens Brentano, Achim von Arnim, nochmals die Brüder Schlegel, die Brüder Melchior und Sulpiz Boisserse, die Brüder Grimm, Ernst Moritz Arndt, später dann Ludwig Uhland und Karl Simrock sind die Namen, die in diesem Zusammen ­ hang vielleicht vor allem genannt werden müssen. In den Geisteswissenschaften wurde damals der Grundstein zur Vor ­ herrschaft des Historismus gelegt. Der Blick der Menschen wandte sich in die Zeit zurück. Es tat sich, vor allem für die Deutschen, eine neue Welt auf, von Liebe zur Vergangen- heit, zur „deutschen Vorzeit" getragen. Man bezog in diese Vorliebe alle Bereiche ein, sammelte Literaturgut, Rechts ­ altertümer, Kunstwerke — und erwanderte sich und sam ­ melte Burgenschilderungen bzw. -beschreibungen. In Österreich erschien z. B. )8i9 — I8ro (2. Aufl. 1839 — 1842) anonym, nunmehr Franz Sartori zugeschrieben, das acht ­ bändige Werk: „Die Burgvesten und Ritterschlösser der österreichischen Monarchie" (Brunn: Traßler 1819/ro). Der Untertitel hiezu ist noch barock verschnörkelt: — „nebst der topograpbisch-pittoreskcn Schilderung ihrer Umgebungen, der Familienkunde ihrer ehemaligen und jetzigen Besitzer, der Lebensweise und Charakteristik des Ritterstandes und den Geschichten und Sagen der österreichischen Vorzeit". — Im 1. Band, Seite rri, findet sich z. B. eine Schilderung der Ruine Schaunberg: „... Schaumburg ist ein sehr altes weit- iGichtiges Gebäude, in dessen Mitte eine Schloü-Capelle steht, die nicht mebr olme Gefabr besucht werden kann: die Gemählde auf den wänden scheinen aus dem 14. Jahrhunderte zu seyn, eine Menge unterirdische Gefängnisse und Keller selbst unter der Capelle werden gezeigt, wo feuchte Dünste und Grauen bei jedem Schritte entgegen sieben, damit man eile, und den schüchternen Blick, die tiefen Winkel der Nacht zu durchforschen erspare, wo vielleicht mancher nach Rache träumte, und in der Unmöglichkeit sein Ende fand. In der Höbe sind noch einige Zimmer, die bewohnbar zugerichtet werden können, wer Geschmack an der alten Bauart findet, und den es nicht verdrießt, Stufen auf und Stufen ab zu steigen; dafür entschädigt die Aussicht auf die Morgenseite: eine weite Gegend mit all ihren Reitzen gegen die Donau hin, liegt wie eine schöne Karte ausgebreitet, deren Grenzen

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