Oberösterreich, 4. Jahrgang, Heft 3/4, 1954

HELMUTH HUEMER Im Jahre 1925 kennzeichnete der deutsche Wissenschaftler Prof. Dr. Gustav Pazaurek die vergangenen Centesima nach den in ihnen zur besonderen Entfaltung gelangten Werkstoffen: so nennt er das 15. Jahrhundert das der Textilkunst; das 16. Jahrhundert das Zeitalter der Edelmetalle und das 17. das der Kunstwerke aus Elfenbein. Im 18. Jahrhundert herrschte das Porzellan und im 19. das Papier. Dem 20. Jahrhundert prophezeite er, daß es das des Glases werden wird. Nun, fünfundzwanzig Jahre später, erkennen wir, daß unser Zeitalter das der ,,Plastik", der synthetischen Stoffe geworden ist, obwohl sich die Verwendung des Glases in ungeahnter Weise weiter entwickelt hat - man denke nur an die chemischen und physikalischen Institute, an die komplizierten optischen Geräte und an die Möglichkeiten, die der Werkstoff Glas bei der Gestaltung Vc'n Innenräumen und Bauwerken bietet. Trotzdem scheint seine Entwicklung an einem Endpunkte angelangt und seine Möglichkeiten auch in technischer Hinsicht weitgehend ausgewertet zu sein. Wie das Holz, der Stein oder das Metall, zählt auch das Glas zum ältesten Kulturbesitz der Menschheit und aus ihm wurden und werden die vollendetsten Kunstwerke und Gerätschaften zum alltäglichen Gebrauche erzeugt. Diesem sowie dem Werkstoffe selbst wollen wir ein wenig Aufmerksamkeit schenken, liegt doch Oberösterreich einem Zentrum der Glasfabrikation und -veredelung dem Böhmerlande- räumlich benachbart und ergeben sich dadurch immer wieder enge Wechselbeziehungen auch zu den übrigen Gliedern unseres Bundesstaates. Vermutlich besaßen bereits die Ägypter 4000 Jahre vor Christi Geburt die Kenntnis der Glasbereitung ; bei den Völkern der Alten Welt war diese allgemein bekannt und die Erzeugnisse aus Glas bildeten einen begehrten Handelsartikel. Es wundert deshalb nicht, wenn der römische Gelehrte Plinius den geriebensten Kaufleuten des Altertums, den Phöniziern, die Entdeckung des Glases zuschreibt. Einer a lten Sage nach soll es damit folgende Bewandtnis haben: ,,In jenem Teile von Syrien, nachbarlich an Judäa, welcher Phönicien genannt wird, am Fuße des Carmel, wo der Fluß Belus, aus einem Sumpfe kommend, nach einem kurzen Laufe von 5000 Schritten bei Tholomaida (Ptolemaeis) ins Meer fällt, strandete ein Fahrzeug, an dessen Bord Salpeterhändler sich befanden. Um die Mahlzeit zu bereiten, unterlegten sie unter ih re Töpfe Stücke Salpeters, da keine Steine zur Hand waren. Und als jene nun zu glühen anfingen und mit dem reinen Flußsande sich 40 vermengten, da sei eine durchsichtige Masse weggeflossen, das Glas" (Ilg). Nach einer anderen Version soll den Juden das gleiche Verdienst zukommen. Josephus Flavius berichtet, wie im Israelitenlande ein Wald abgebrannt sei und sich auf dessen Boden aus dem Sande Glas gebildet habe. Jedenfalls stand bei den klassischen Völkern, den Ägyptern, Persern, Indern, Äthiopen und Juden, das Glasmacherhandwerk in hoher Blüte. Die Griechen gaben diese Kunst den Römern weiter, und letztere wiederum vererbten die Kenntnis den Trägern der neuen, von den Germanen geprägten Kulturepoche. Welche hohe technische Vollendung die Glaserzeugung um die Zeitenwende besaß, beleuchtet folgende Episode: Ein römischer Handwerker kam vor den Kaiser Tiberius und schenkte ihm einen unzerbrechlichen Glaskelch . Der Kaiser bewunderte die Erfindung, ließ den Mann jedoch einkerkern und enthaupten, damit die Glasermeister in Rom in ihrem Gewerbe nicht geschädigt würden. Bis heute ist es noch nicht gelungen, jene wunderbare Pasta wieder zu entdecken, die ein Glas unzerbrechlich macht. Das antike Glas ist bunt, erst viel später gelangte das durchsichtige, klare, kristallreine Glas zu gleicher Wertschätzung. Den größten Umfang in der Erzeugung nahmen Perlen aller Art ein, jedoch hatten die Römer bereits Fenster- und Spiegelglas sowie einen gewaltigen Formenreichtum an Zier- und Gebrauchsgefäßen. Die Kunst der Veredelung durch Bemalung oder Ziselierung wurde von den alten Völkern ebenfalls gerne geübt. Den nordischen Völkern brachten die Phönizier auf dem Seewege die ersten primitiven Glaserzeugnisse. In dänischen Gräbern finden sich im 2. bis 3. Jahrhundert n. Chr. Ketten aus Glasperlen. Die abendländische Glaserzeugung beschränkte sich im Mittelalter hauptsächlich auf sakrale oder brauchtümliche Zwecke; Meßkelche wurden aus Glas hergestellt, Kirchenfenster bunt mit Heiligenbildern bemalt · und Tränenfläschchen den Toten in das Grab mitgegeben. Wie sehr unser Werkstoff auch in das Fühlen und Denken des Volkes gedrungen ist, beweist sein Auftreten in Märchen, Sage und Brauch, in den Sprichwörtern und Redensarten. Mittelhochdeutsche Dichter besingen die Frauentugend, ,,die leuchtet wie spiegelglass", U lrich von Zazikhoven bezeichnet im „Lanzelet" den Glasberg a ls das Paradies der Toten , und die Brüder Grimm erzählen in ihren Kinder- und Hausmärchen von den sieben Raben, die aus dem Glasberg erlöst werden müssen. Dem körperlichen, durchsichtigen Material haftet ein magischgeheimnisvolles Etwas an, das durch die strenge Geheimhaltung der Art seiner Erzeugung - auf dem Verrat des „Glasgeheimnisses" stand die Todesstrafe - noch gesteigert wurde. Schneewittchen liegt scheintot in einem gläsernen Sarg, und den Glasberg bewohnen gute wie böse Geister, die den Sterblichen entführen, der dann wiederum nur unter den schwierigsten Umständen, wobei das Erklimmen des Glasberges durch eine Knochenleiter, mit Hilfe eines Wunderpferdes oder Wundersattels die Hauptrolle spielt, befreit werden kann. In einer Version der Heldensage wird Brünhilde nicht aus der Waberlohe, sondern aus dem Glasberg geholt. Das Zerspringen des Glases hat immer unheilbringende Vorbedeutung, ein Mann soll nicht aus einem zersprungenen Glase trinken, sonst bekommt seine Frau lauter Mädchen oder eines seiner Kinder Bauchweh. Gegen Milz, Lungenstiche und Spulwürmer verordnet ein alter „Albertus Magnus" das Einnehmen von zerstoßenen Glasscherben, wenn Kinder unter Krämpfen leiden, wird ihnen eine glitzernde Fensterscheibe vor das Gesicht gehalten. Durch Umkehren eines Glases kann man eine Rauferei entfesseln, jemanden stellen oder sich gegen den bösen Blick schützen (Haberlandt). Gläserne Kugeln töten verzaubertes Wild, und böse Geister können in Flaschen gebannt werden. Welch große Roll e umgekehrte Gläser heute noch bei spiritistischen Sitzungen spielen, ist allgemein bekannt. Doch kehren wir wiederum zurück in das Mittelalter, in das, wie wir gesehen haben, viele sagenhafte Überlieferungen vom Bekanntsein der Glaserzeugung reichen. Kunstvoll veredelte Gläser für profane Zwecke lieferte damals der Orient aus Damaskus, die Hohlglaserzeugung kam bei uns kaum über das ordinäre ,,Waldglas" hinaus. Die Glasmalerei, hauptsächlich für Kirchenfenster, erlebte jedoch eine große Blütezeit, uncl vor allem waren es die Zisterzienser und Benediktiner, die diese Kunst nach Österreich und Deutschland brachten. Einen breiten Raum nahm die Produktion von Glasperlen ein, die besonders in Venedig gepflegt wurde und dort den Grundstock für die spätere Hochblüte der Glasindustrie legte. Im ausgehenden Mittelalter und in der frühen Neuzeit bestimmte unzweifelhaft die Lagunenstadt die europäische Glasproduktion. Beeinflußt durch die Wiederentdeckung der Antike und di e aus Konstantinopel geflüchteten Emigranten, entstanden Formen und Verzierungen in vollendeter Schönheit. Die Fadengläser und Spiegel wurden begehrte Luxusartikel an allen europäischen Fürsten-

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2