(Kulturzeitschrift) Oberösterreich, 1. Jahrgang, Heft 4, 1951

wirren. Geißlerscharen ziehen durch Dörfer und Städte, bevölkern die Landstraßen und lassen singend und betend Geißeln auf ihre entblößten Leiber niederprasseln, W alden- se r und WiedertäuTer suchen die Stadt auf, ve11breiten ihre Lehren, wollen den Weg weisen aus dem Dunkel z,u Recht und Gerechtigkeit und Frieden, zum ewigen Glück nach dem Tode . Schon finden sie Zuflucht und Anhang in den Häusern der Bürger, spalten die Einheit der Gläubigen, Gewalt und Frevel flammen jetzt auf. Im alten Saale des Rathauses sitzen die Richter in schwarzen Gewändern, di e goldene Kette mit dem Kreuz um den Hals und sollen das Unheil wehren, Recht und Gericht sprechen über die Schuldigen und der Auflösung wehren. Aber Gewalt gebiert die Gewalt, reißt die heißen Gemüter zu Mord und Brand- ~tiftung hin und zwingt zu immer härterem Urteil. Andere Feuer lodern jetz t auf zwischen der Sca,dt und dem Stifte Garsten, Hunderte arme Verirrte, Waldenser, müssen in Pyrach ihr Leben an einem Gründonnerstag auf den glü- henden Scheitern löschen . Aber auch das neue Jahrhundert bringt keine Erlösung. Seit der Mönch in Wittenberg das „r eine Evangelium" lehrt, ist Europa in seinem Geiste durchströmt, Laien wi·e Priester wenden sid1 dem Erneuerer zu und verkünden bald auch von den Kirchen und Kanzeln in Steyr den Bür- gern die neue Lehre, zu der sich die Stadt rasch bekennt. Wohlhabende Bürger schicken jetzt ihre Söhne 1uch \Vittenberg, daß sie dort an der Quelle studieren, stiften Stipendien und verwandeln das verlassene Kloster der Do- minikaner auf dem Stadtplatz in ein protestantisches Gym- 1rnsium. Kaiser Maximilian der Zweite, selbst dem Luther- tum zugetan, gewährt auf dem Landtag zu Linz den landes- fiirstlichen Städten die frei e Ausübung ihrer Religion . . Mehr als ein halbes J ahrhundert vergeht, bis Ferdinand der Zweite seine Reformatiom-Kommissionen nach Steyr schickt, Lehrer und Predi ger abschafft, den alten Gotte~- dienst wieder einführt , di e Zusammenkünfte der Hand- we rker überwachen läßt und den Bürge rn der Stadt ein e Frist setzt, -den alten Glauben wieder anzunehmen oder Stadt und Land zu verlassen. Unwillige Richt er und Rats- herren werden durch neue ersetzt und die Ei nheit des alt en Bekenntnisses wiederhergestellt. Im Geheimen aber hleibt die neue Lehre noch lange lebendig und als die Verwirrung der Geister im Lande zum offenen Aufruhr anwächst und den Bauern die Fahne der Erhebung in die Faust drückt , schlägt auch in Steyr der Funke unter der Asche wieder zur Flamme aus. \Volfgang Madlseder, der gewesene Stadtrichter , schickt dem Anführer der Bauern die Botschaft, nach Steyr zu kommen und am 31. Mai des Jahres 1626 zieht Stephan Fadinger mit vierzig- tausend Bauern und zwanzig Kanonen vor und in die Stadt, die ihm willig die Tore öffnet. Wieder ist Madlseder der Richter in Stey r und Fadinge r präsidiert am Rathaustisch. Die Stadt ist ein wichtiger Stützpunkt der Bauern ge- ,vorden. Aber gilt nichts der Kaiser? N ichts sein Befehl? Wohl stehen an den Toren die Wachen, doch schon erdröhnt vor den Mauern der Wirbel anderer Trommeln. Der Kaiser läßt seiner nicht spotten, schon ist er der Sieger und die Bauern räumen die Stadt , auf die jetzt Steuern und Strafen niederhageln. Di e Führer der Bauern werden enthauptet und gevierteilt, unter ihnen vier Männer aus Ste yr, Michaclskirchc. Photo: II . Wöhr/. Steyr, darunter der Stadtrichter Madlseder und Laza rus Holzmi.iller. Am 23. April 1627 werden sie in Linz ge- richtet. Fast ein Jahr lang stecken die Köpfe der beiden auf dem Pranger vor dem Rathaus zu Steyr und erst, als di e \Vitwen den alten Glauben annehmen, dürfen sie di e Häupter ihre r Gatten herabnehmen und begraben . Ver- mögende Bürger bezahlen die vorgeschriebenen Steuern für Auswanderer und v ,~rlassen die Heimat , bauen anderswo ihr Handwerk und ihre Kunst auf , so in Solingen, wo sie zu Gründern welt bek annter Stahlwerke we rden. Hunderte H äuser stehen jetzt leer, andere fallen in sich zusammen , we il ihre Besitzer ve rarmt sind. Aber ein Unheil kommt selten all ein. Die \Vi ldwasser st ürzen furchtbar herein, Sol- daten bringen die Pest und Stürme entfachen himmelhohe Brände. H eerscharen aus allen Teilen Europas brandschatzen die Stadt, die Türken umkreisen ihre Mauern , Gewirr fremder Sprachen klingt immer wiede r in den kommenden J ahrhunderten auf und in sternloser Thomasnach t rauchen die \Vachtfeuer napoleonischer Scharen im Aichet, am Tabor und an den Ufern der Flüsse . Immer wiede r aber graut ein freundlicher Morgen her- auf, zwischen all dem <lüstern Gewölk blickt immer wieder auch die Sonne neuer Hoffnung und Tatkraft hervor, läßt die Stadt nicht untergehen , was auch das Geschick be- scheren mag. f1

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2