(Kulturzeitschrift) Oberösterreich, 1. Jahrgang, 1951 , Heft 2

In eirrer Gesellschaft von älteren, erfahrenen Menschen beiderlei Geschlechts ergab es sich, daß das Gespräch auf den vielumstrittenen Satz kam, der da besagt, ,daß der Zweck die Mittel heilrge. Wie immer, wenn mehrere Men– schen zusammenkommen, gab es auch in dieser GeseUschaft die verschiedenartigsten Charaktere und ,also auch ein lei– denschaftliches Für und Wider, das mit einem großen Auf– wand an Beispielen aus dem Alltagsleben, mit philosophi– schen Erörterungen und geschichtlichen Erinnerungen belegt wurde. Nur -einer der jüngeren Männer, der aber durchaus nicht etwa den Eindruck von Stumpfheit oder Unerfahren– heit machte, beteiligte sich nicht an dem Gespräch; als sich deshalb aller Augen auf ihn richteten, sagte er: ,,Ich bin nicht sachverständig in diesen Fragen und ich glaube, Men– schen, die zum Handeln geboren sind, gehen über alles R<eden hinweg. Aber ich will Ihnen -eine Geschichte ,aus mei– ner Kinderzeit erzählen, die doch irgendwie mit dem Satze zusammenhängt." Er erzählte: „Als ich vier Jahre alt war, stanb meine Mutter. Ich muß gestehen, daß der Todesfall ohne jedweden tiefei,-en Eindruck an mir vorüberging, obwohl die Elt,ern, wiie mir später erzählt wurde, in glücklicher Ehe gelebt hatten und es mir also an mütterlicher Zuneigung und Liebe keines– falls mangeln konnte. Vielleicht war ,ich noch zu jung, um die Größe des Verlustes ermessen zu können, ich bin in meinem ganzen Wesen ein Mensch, der langsam wächst und vid Zeit braucht, vielleicht waren es auch die folgenden Ereignisse, die mir die Erinnerung nahmen, Tatsache ist, daß ich nicht mehr im leisesten sagen könnte, wie meine Mutter ausgesehen, sich bewegt hat, oder wie si-e etwa zu mir gesprochen hätte." Der Mann schwieg einen Augenblick, dann sagte er: „Möge siie mir verzeihen, wenn sie irgendwie noch Anteil zu nehmen vermag an mir." Er sagte nach einem Blicke in die Runde, gleichsam Verständnis heischend: ,,Wir wissen doch nicht, wiie es aussieht nach dem Tode. Niemand weiß das." Er fuhr dann fort zu erzählen: „Der Vater, er war Rechtsanwalt, nahm sofort nach dem Tode der Mutter eine entfernte V,erwandte ins Haus, die sich um uns und den Haushalt kümmern sollte. Es war eine ältere Dame, die bisher in einem Frauenstifte gdebt hatte und von der <in der Famili,e die Rede ging, daß eine gute Frau und Mutter an ihr verlorengegangen sei. Soweit ich mich an sie erin111ern kann, war sie streng und in Sachen der Ordnung sehr genau, hielt auch die Dienstboten in gu– ter Zucht und herrschte in allem wie eine wahre Frau -des Hauses. Zu mir war sie gut und ·sorgte sich sehr um mein körperliches Wohlergehen, wenng1eich ich mich nicht ·ent– sinnen könnte, daß s 1 ie sich jemals in ein längeres Gespräch mit mir eingelassen hätte. Nur einmal, sie war bereits das vierte Jahr im Hause, rief sie mich auf ihr Zimmer und hieß mich ,in einen Stuhl setzen. Sie -sah mich lange und seltsam an, -dann sagt,e sie: ,Nun wirst du bald eine neue Mutter bekommen. Es ist eine ganz Junge.' Ich achtete nicht darauf, daß ihr bei diesen Worten zwei Tränen -die Wan- 50 ,, ,x:ARL JTOGER Zeichnungen von Fritz Fröhlich gen hinunterrollten, und wollte mehr wissen; s,i:e stand aber auf und meinte, es hätte keinen Zweck, ,darüber zu spre– chen, ich wüvde ja bald selber sehen. Wenige Tage später, als ich von der Schule heimkam, fiel mir auf, daß im k-leinen Speisezimmer der TÜlsch gedeckt war. Ich ging in die Küche, wo ich bisher immer die Jause eingenommen hatte, und traf dort den Vat,er iim Gespräch mit der Tante, wie ich unsere Verwandte ansprach. Er war schwarz gekleidet und sagte zu mir: ,Ich werde iin Kürze wieder heiraten , P,eter. Deine neue Mutter wird heute zum Tee kommen. Du sollst siie dort ·kennenlernen.' Ich mußte bessere Kleider an'.lJiehen, wie auch die Tante ihren Feier– ahendstaat trug. Als wiir schon bei Tische saßen, läutete es und der Vater ging hinaus. Er kam nach kurz,er z ,eit zu– rück und führte meine zukünft:ige Mutter an der Hand in das Zimmer. Ich war aufgiestanden und es war mir bei ihrem Anblicke, als häu,e ich noch nie in meinem Leben etwas so Schönes geS1ehen. Jede Einzelheit jener Stunde ist mir heute noch ganz klar, als wäre sie eben erst vergangen: Die Frau trug ein Kleid aus dunkelgrünem Samt, das hoch bis zum Halse geschlossen war; aus dem Ausschnitte aber erhob sich ein Haupt von so reiner und edler Schönheit, ein Haupt mit wunderbar warmen, blauen Aµgen und hel– lem, leuchtendem Haar, -daß ich den Blick nicht mehr ,ab– wenden konnte. Der Vater führte di,e Frau näher zu mir heran und sagte: ,Das ist in wenig,en Wochen deine neue Mutter, Peter.' Dann wandte er sich an die Frnu: ,Das ist Peter, mein Sohn.' Und nun geschah etwas Wunderbares, etwas, das ich nie in meiruem Leben vergessen werde: Die Frau, ,diese schöne, hohe Frau, Liieß sich auf ein Knie nieder und faßte meine Hände; sie sagt:e: ,Peter, ,ich werde dich . lieb haben.' Und ich, in einem T aiumel der Verlegenheit und Staunen und Glück, ich sagte nichts als: ,Ja, Mutter.' Da zog ·sie 1mch in ihre Arme und küßte mich, wie nur eine Mutter ihr Kind küssen mag. Wir setzten uns nachher zum Tee, aber es wollte kein 1,echtes Gespräch in Gang kom– men. Die Tantei sah auf ihren Teller nieder, auch der Vater war einsilbig, ich bemerkte nur, wii,e er einmal nach der Hand meiner zukünftigen Mutter griff und sie für Aug,en– blicke fest umschlossen hielt. Noch im gleichen Monate war dre Hochzeit. Die Tante verließ uns und kehrte in ihr Frauenstift zurück, die neue Mutter kam ins Haus. Ich war ihr gegenüber, nachdem die erste Aufwallung der Bewunderung und Verehrung vor– über war, fast schüchtern geworden und wagte es nur selten, das Wort an sie zu richten; ich hielt mich auch viel mehr als früher in meinem Zimmer auf und beschäftigte mich mit den Spielsachen und Werkzeugen, die mir zur Verfügung standen. In Gedanken freilich war ich bei der Mutter, sprach mit ihr oft halbe Stunden lang, erzählte ihr von den Schulbegebenheiten, bat sie um V•ergebung, daß ich so scheu sei und einsilbig, und war es doch:wieder, wenn sie zu mir in das Zimmer trat, sich neben mich setzte und nach meinen Arbeiten sah, manchmal -auch verlangte, daß ich ihr aus meinen Büchern vorlese. Der Vater war, soweit ich es damals sehen konnte und heute zu beurteilen vermag, tief glücklich. Er drückte mich oft an sich, wenn wir allein

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