Rudolf Hittmair - Der josefinische Klostersturm

441 heranwuchs, dafür wurde der Regierungskommissär Eybel bei der Inventierung des Stif- tes Wilhering (S. 317) Kronzeuge. Der Abt von Lambach wendete sich in einem Schreiben vom 14. September 1786 an den Bischof um Abhilfe gelegentlich der Visitation: Von einer Partei meist junger und der Ordnung nach letzter Priester droht der geistlichen Kommunität Verwüstung; un- längst aus dem Noviziat „entkommene" junge Religiösen lassen die Tonsur verwachsen, tragen samtene Kopfmützen, seidene Halsbinden, äußerst kurze, buntfärbige Reiseklei- der, vom frühen Morgen an, sogar beim Altar Stiefel, also die neueste Mode und welt- liche Sitte zum Hohngelächter der von ihnen verlassenen Welt. Sie gehen spazieren halbe Tage lang bis in den späten Abend und machen Reisen auf unbestimmte Zeit ohne Vorwissen des Prälaten, bloß auf Grund eines militärisch an Pater Prior abgeschickten Meldezettels. Auf Vorwürfe und Belehrungen kommen sie mit banalen Ausflüchten und berufen sich auf die Abneigung des Kaisers gegen klösterliche Ordnung. Und noch ein Zeugnis! Ein Kanzleipraktikant in Leonstein schreibt, an einen Stiftska- pitular: Ich las neulich eine richtige Beschreibung von denen Einrichtungen im General- seminar zu Wien, welche ein wirkliches Mitglied dieser geistlichen Pflanzschule mir mit- teilte: Beim Eintritt wurde jedem die Freiheit zu denken und zu handeln auf das liebe- vollste angekündet. Die tägliche Ordnung ist folgende: An den Studientagen wird man um 5 Uhr geweckt, wo man um 3/46 zum Morgengebet und um 6 Uhr zur Messe geht. Darauf folgen Studien bis 8 Uhr; von 8 bis 10 Uhr Kollegien, hierauf Studien bis 3/212 Uhr, wo man speist. Um 2 Uhr fangen wiederum Kollegien an, bis 4 Uhr, dann Studien bis 7 Uhr. An Erholungstagen wird um 6 Uhr aufgeweckt, um 7 Uhr die Messe gehört, am Vor- und Nachmittag muss man spazieren gehen; solche Tage sind 3 in der Woche. Die Sonntagsandacht besteht in einer Messe und nachmittags in der Allerheiligen-Lita- nei, welche von den Zöglingen gebetet wird. Dies lautet nun bis auf die Sonntagandacht und bis auf jenes, dass man die meiste Zeit auf Erlernung der orientalischen Sprachen verwenden muss, ziemlich gut. Das tolerante Betragen ihrer Vorgesetzten erlaubt ihnen Besuche von allen Gattungen, auch von Frauenzimmern ohne Unterschied aufzuneh- men, solche wieder abzustatten u. s. w. Mit der Diskretion geht es so weit, dass keiner zum Beichten oder zur Kommunion angehalten wird. Das immerwährende Auslaufen hat schon sosehr überhandgenommen, dass der Herr Kardinal sich gezwungen sah sel- bes wenigstens den Ordensleuten zu untersagen. In Anbetracht dieser Vorteile sind die aufstoßenden Ungemächlichkeiten, nämlich: zu wenig zu essen zu haben, den Durst mit mattem Wasser zu löschen, 45 Personen in einem Zimmer beisammen zu wohnen, selbst sich zu barbieren u. dgl. für nichts zu achten.— „Wo ist die so notwendige geistige Übung? die Ruhe, die Einsamkeit, die Aneiferung zur Tugend? muss man selbe vielleicht bei Frauenzimmern oder in weltlicher Gesellschaft suchen? Wenn doch wenigstens nach dem Austritt Hoffnung wäre sein Gemüt im Kloster versammeln zu können! Allein, da heißt es hinaus in die Seelsorge, ohne recht fürbereitet zu sein, und man wird das Kloster nur als ein Reisender von ferne sehen. Ich wüßte nicht, wenn ich heute ... beru- fen würde, zu was ich mich entschließen soll, so groß als auch mein Verlangen nach dem Kloster ist." Und der Briefsteller unterzeichnet anonym mit dem Vers aus dem 13. Psalm, der an das Tor des Generalseminars gleich nach dessen Entstehen sich von einer

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