OÖ. Heimatblätter 1949, 3. Jahrgang, Heft 3

Oberösterreichische Heimatblätter dar, die durch die Wandlung des wissenschaftlichen Denkens von der Scholastik zur Naturphilosophie gekennzeichnet ist; die konfessionellen und kirchenpolitischen Zu¬ stände, die Keplers Lebensschicksal mitbestimmt haben, erfahren eine ebenso ge¬ drängte wie klare Darstellung. In fünf groß angelegten Kapiteln geht Caspar sodann dem Leben Keplers nach, wobei er als ergiebigste Quellen dessen Briefe und Werke verwertet, die eine Fülle selbstbiographischer Vermerke enthalten. Mit der Darstellung der einzelnen Lebensabschnitte verbindet sich eine allgemein ver¬ ständlich gehaltene, entstehungsgeschichtlich unterbaute Betrachtung der jeweils geschaffenen Werke, die der Leser sohin in genauer zeitlicher Reihenfolge kennen lernt. In einem abschließenden Kapitel „Rückblick und Würdigung“ bietet der Verfasser ein eindringlich gezeichnetes Charakterbild Keplers und eine zusammen¬ fassende Wertung der wissenschaftlichen Leistung. Wie Goethe, Hölderlin, Mörike und Novalis, denen die geistige Begegnung mit dem großen Genie der Himmelskunde zum beglückenden und erhebenden Er¬ lebnis wurde, gehört auch Max Caspar selbst zu den glühenden Verehrern und von Liebe ergriffenen Bewunderern Keplers. „Denn wer immer einmal“, bekennt er im Vorwort seines Buches, „in den Strahlungsbereich, der ihn umgibt, ein¬ getreten ist, kommt nimmer von ihm los.“ Solche tiefe Ergriffenheit erfüllt Caspars berichtendes wie deutendes Wort mit einer Herzenswärme, die das geistige Erlebnis seines Buches zugleich zu einem tiefen Gemütserlebnis macht. So folgt man mit wachsender Anteilnahme der ungemein fesselnden Dar¬ stellung des Lebensweges, den Johannes Kepler,der aus ehemals adeligem Geschlechte stammende, erstgeborene Sohn verarmter Bürgersleute, in der kleinen schwäbischen Reichsstadt Weil 4) am 27. Dezember 1571 angetreten hat. Für den jungen Kepler blieb die äußere Welt von den Grenzen seiner schwäbischen Heimat umfangen: an der Lateinschule in Leonberg, an der Klosterschule in Adelberg, am Seminar in Maulbronn und schließlich an der Universität Tübingen verbrachte er, Der Stern seines inneren zum Theologen bestimmt, die Jahre des Lernens. Jugendlebens — der Tübinger Mathematiker Michael Mästlin hatte ihn vor den Augen seines Lieblingsschülers aufleuchten lassen - war Kopernikus, der seinen weiteren Entwicklungsweg gelenkt hat. Im 23. Lebensjahre nahm Kepler Abschied von der Heimat und zog nach Österreich, wo ihm an der protestantischen Stiftsschule in Graz eine Lehrstelle für Mathematik angeboten worden war, Prag, das ihn nach dem Tode Tycho Brahes als kaiserlichen Mathematiker am Hofe Rudolphs II. sah, und Linz, wo er, nahezu ein halbes Menschenalter lang, als Mathematiker der oberösterreichischen Landstände wirkte, waren die weiteren Lebensräume seines Schaffens. Diese drei Städte teilen sich in den Ruhm, die Entstehungsorte seiner drei astronomischen Hauptwerke zu sein: das „Welt¬ geheimnis“ ist eine Frucht des Grazer Aufenthaltes, die „Neue Astro¬ nomie“ mit den ersten zwei Planetengesetzen entstand in Prag und die „Welt¬ *) Der Geburtsort Keplers heißt heute „Weil der Stadt“, in älterer Schreibweise „Weilder¬ stadt". 270

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