Grüne Bürgerzeitung, Nummer 1, April 1989

GRÜNE BÜRGER-ZEITUNG Aus dem Gemeinderat STEYR: DEMOKRATIE Traum und Wirklichkeit Der lange Weg von der Obrigkeitsherr– schaft zur direkten Demokratie Wer immer sich mit der Lokalpolitik in Steyr beschäftigt , gewinnt sehr schnell den Eindruck , daß die SPÖ mit ihrer er– drückenden Mehrheit das politische Le– ben in der Stadt in die Bahnen zwingt, die dem Selbstverständnis dieser Partei und ihrer Teilorganisationen entspre– chen. Damit meine ich vor allen Din– gen, daß das langsame Aufkommen ei– ner direkteren Demokratie und die Ab– kehr von Dauerpolitikern und Mulit– funktionären (nur ein Beispiel: Linz) in Steyr bisher keine sichtbaren Zeichen hinterließ. Erst in der letzten Gemein– deratssitzung hat der Herr Bürgermei– ster von einer bemerkenswerten Verän– derung gesprochen, die auch in Steyr weitreichende Mitgestaltungsmöglich– keiten nach sich ziehen könnte. Der bisherige Zustand: Ein Hauch von Ostblock Steyrs Politik hinterläßt den Eindruck, abgehoben und ohne Verbindung zur Außenwelt nach den der SPÖ und ihren Organisationen eigenen Gesetzmäßig– keiten vor sich hinzuleben , stagnierend, den langsamen wirt~chaftlichen Abstieg bedauernd , aber ohne Kraft , dagegen anzukämpfen . Die anderen Parteien werden entweder ignoriert oder be– schwichtigt (KPÖ und FPÖ) oder pas– sen sich an, Um wenigstens mitbestim– men zu können (ÖVP). Nur durch eine Kraftanstrengung war es Gegnern bestimmter Entwicklungen (Zuschütten des Wehrgrabens, Bau ei– ner Sondermüllverbrennung , . . .) mög– lich , in einzelnen Fällen den vorgegebe– nen Gang der Dinge abzuändern. Mit Ausnahme dieser wenigen Ereignisse lief das „normale Geschäft" jahraus und jahrein im gewohnten Stil-. Die Grundeinstellung der Bestimmen– den: Zur Grundeinstellµng gehört es, daß die Politiker für sechs Jahre von den Bür– gern gewählt werden, um ihnen ·alle Entscheidungen abzunehmen. Für die Kleinarbeit und die fachmännische Be– ratung ist eine Anzah1 von Beamten vorhanden , den Rest erledigen die Poli- tiker. Zwischen den einzelnen Gruppen von Politikern sind große Unterschiede zu sehen. Die Wichtigen und die Zweitwichtig– sten, ein Zweiklassensystem: Bei den großen Parteien (SPÖ und ÖVP) gibt eine deutlich sichtbare Tren– nung zwischen den Spitzenfunktionären und den „Kleinen". Die Spitzenpolitiker (Bürgermeister, Vizebürgermeister und Stadträte) be– stimmen in Zusammenarbeit mit den Spitzenbeamten des Magistrats alle wichtigen und weitreichenden Entschei– dungen imAlleingang. Die Kleinen von ÖVP und SPÖ bleiben bei diesem Ver– fahren im wesentlichen außen vor. Diese kleinen Parteifunktionäre sitzen vor allem als „Platzhalter" der von ih– nen vertretenen Organisationen (Be– triebsrat, Kammer etc.) im Gemeinde– rat. Sie beziehen (nach meinem Ein– druck) ein Zusatzeinkommen aus Steu– ergeldern als Ausgleich für die jahre– lange, unbezahlte Tätigkeit in der Par– tei. Dafür haben sie - zumindest im Ge– meinderat - nicht zu reden. Die Arbeitsform der Bestimmenden: kleine geheime Zirkel Die Großen lieben den kleinen Kreis. Das wichtigste Gremium ist daher der Stadtsenat, in dem sie unter Ihresglei– chen die Weichen in allen großen Din– gen stellen. In einer Demokratie sollte man anneh– men , daß die Anzahl der an der Ent– scheidung beteiligten Perso·nen mit der Wichtigkeit der Entscheidung steigt. So sollten etwa bei der Stadtplatzgestal– tung möglichst alle Steyrer direkt und aktiv befragt werden. In der Realität unserer Stadt ist es genau umgekehrt. - Befragt werden im Regelfall nur Inter– essensvertretungen (Kammer, Gewerk– schaft , Pfadfinder ... ) und Vereine, nie aber ·Personen. Aus dem Blickwinkel der politischen Obrigkeit existiert der Einzelne nur in seiner Form als Mitglied bei Kammer, Gewerkschaft oder Partei nicht aber als Person. Nur die , die sich die Freiheit nehmen, ihre Stimme von selbst zu erheben , wer- 4/891 den angehört. Das sind dann meist die direkt Betroffenen, wie etwa bei der Gestaltung des Stadtplatzes die Kauf– leute , oder aber die sich in „Notwehr" zusammenschließenden Bürger in Form der Bürgerinitiative. Es ist zwar nie– mandem verwehrt, mit den Spitzen von Politik und Verwaltung zu reden , ziel– gerichtet herausgefordert (etwa mit Hilfe des Amtsblattes oder durch di– rekte Befragung) wird die Meinungsäu– ßerung des Einzelbürgers nicht. Der Präsidial-Planungsausschuß: die Geheime Hofkammer Für Baumaßnahmen der Stadt existiert sogar ein noch kleineres Gremium, der sogenannte „Präsidial-Planungsaus– schuß" , dem nur die „Allerwichtigsten" von SPÖ und ÖVP, sowie der Magi– stratsdirektor angehören . Hier werden alle Bauentscheidungen (wie die Neu– gestaltung des Stadtplatzes , der Neubau des Gsangsteges, ... ) bis ins Detail aus– gesprochen und entschieden. Dieser Präsidial-Planungsausschuß ist in kei– nem Statut oder Organisationsplan der Stadt genannt, daher auch nicht demo– kratisch legitimiert. An Stelle einer demokratischen Ent– scheidungsebene also ein geheimes Gremium weniger Personen , wie wei– land zu Kaiser Ferdinands Zeiten das Geheime Hofkammerkabinett. An Stelle der aktiven Mitarbeit setzt man lieber auf die parteipolitisch leichter kontrollierbare Beamtenschaft. Der Bauausschuß: Nur für Private: Der Bauausschuß des Gemeinderates hat sich in all den Jahren nur mit Vorha– ben privater Bauwerber beschäftigt. Wer immer auch ein größeres Gebäude , zu bauen vorhatte, eine Änderung des Flächenwidmungsplanes benötigte oder sonstwie stärker in das Gesicht der Stadt eingriff, dessen Vorhaben hatte sich dem Bauausschuß zu stellen. · Was die Stadt ihren Bürgern (zum Wohle aller) zumutet, ist für ihre ei– genen Vorhaben nicht notwendig. Eine Prüfung des Bauvorhabens durch den Bauausschuß des Gemeinderates wird als überflüssig angesehen. Die Planun– gen der Stadt sind „von vornherein rich- tig". . Auch hier ist der Wertunterschied zwi– schen „gewöhnlichem Bürger" und der „Stadt" (als besserem Ganzen) deutlich zu ersehen. Die Stadt und ihr Gemein– derat prüfen zwar andere, sie selbst sind nicht zu beurteilen , da sie von vornhe– rein alles richtig machen!

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