Geschichte der Freidenker -Die Freidenkerbewegung in Steyr

Wolfgang Hack, im März 2015 6 „Stark antisemitische Aussagen wurden ebenfalls von christlichsozialer Seite im Wahlkampf verwendet. Juden waren Volks- und Kulturschädlinge, aber Wahlspenden von jüdischen Großindustriellen und Bankiers wurden anstandslos übernommen.“7 Die meisten dieser „Kaplandemagogen“ standen im Banne des Theologieprofessors August Rohling, des damals wohl bedeutendsten, aber auch umstrittensten Vertreters des religiös begründeten Antisemitismus. Der Wiener Pfarrer Josef Deckert war in seinen antisemitischen Äußerungen soweit über die Grenzen des Gesetzes hinausgegangen, dass er von der Staatsanwaltschaft vor Gericht gestellt wurde. Die Christlichsozialen waren zur Schutzmacht der Kirche geworden, wie einst der Monarch. Katholisch und christlichsozial wurden synonym. Die Freidenker nutzten die aufkommende Gleichgültigkeit, kühle Distanz und Ablehnung gegenüber dem Christentum und der Kirche, um den religiös entwurzelten Menschen ihre eigene „Festkultur“ als Ersatz für ihre seelischen Bedürfnisse zu bieten. Diese organisierte Gottlosigkeit, das Freidenkertum, träumte davon, dass im Jahr 2025 der Wiener Stephansdom unter der Bezeichnung „Victor Adler Halle“, der St. Veits Dom zu Prag in eine Hus Halle und der Petersdom zu Rom als „Giordano Bruno Halle“ für freidenkerische kulturelle Massenveranstaltungen Verwendung finden würde. So zu lesen im Zukunftsroman „Die lebende Mumie“ von Genossen Max Winter8 So wie einst die Christen bzw. die katholische Kirche „alte, heidnische Bräuche“ in ihre Fest – und Gedenktage übernahmen, war auch die Festkultur der Freidenker an die kirchliche Festfolge angelehnt, natürlich im proletarischen, weltlichen Sinn. „Die kirchliche Festfolge „schuf mächtige seelische Bindungen, auf die der Konfessionslose verzichten muss, da er ja, außerhalb der kirchlichen Glaubensgemeinschaft stehend, an ihren Festen keinen Anteil mehr hat. So entsteht in ihm eine Leere, die ein Gefühl des Unbefriedigtseins hervorruft…Es gilt…nur, die proletarische Festkultur von den Eierschalen der kleinbürgerlichen Festkultur zu befreien… Auch die großen Kirchenfeste werden Anlass bieten zu Freidenkerfesten. Da wir nun einmal in einer bürgerlichen Gesellschaft leben, können wir unsere Feste noch nicht nach unseren Bedürfnissen ansetzen, sondern müssen uns an den bürgerlichen Kalender halten. Wir können aber den alten Kirchenfesten einen neuen Sinn geben, der unserer Weltauffassung entspricht…Wichtig ist vor allem, dass wir die seelischen Bindungen herstellen, die die Kirche durch ihre Zeremonien herzustellen weiß.“9 Ein Schwergewicht der Festkultur waren Veranstaltungen für Kinder und Jugendliche. Statt der Taufe gab es ein Wiegenfest. Statt der Firmung stand die Jugendweihe, womit sie feierlich in die sozialistische Arbeiterbewegung aufgenommen wurden. 7 Franz Sertl, Die Freidenkerbewegung in Österreich im zwanzigsten Jahrhundert, Seite 83, WUV 1994 8 P.Zyrill Fischer O.F.M., Die proletarischen Freidenker, S. 92, „Neues Reich“ – Bücherei Nr. 8, 1930 9 Freidenker, Dezember 1931, 101f

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