82. Jahresbericht des Bundes-Realgymnasiums Steyr 1964/65

Der gute Lehrer ist mehr als bloßer Wissensvermittler. Er ist in der Schule nicht bloß „im Amt“ und lebt sein eigentliches Leben etwa nur in der Familie, im Kreis von Freunden: Nein, sein Unterricht ist bewußter Teil seines Lebens, gibt diesem m i t Sinn. — Gewiß, dem Deutschprofessor steht dieser Weg, die eigene Persönlichkeit in den Unterricht einströmen zu lassen, in besonderer Weise offen. PROF. ANTON NEUMANN war ein guter Lehrer, ja viele Schüler sahen in ihm die Verköperung des idealen Erziehers, und wer eines der großen Feste unserer Schule besucht hat, weiß, welche Welle von Begeisterung dem schlanken, hochgewachsenen Mann mit dem weißen Haar und dem durch funkelnde Brillen verschärften Blick entgegenschlug. — Worauf gründete diese Wirkung? War der nunmehr Verblichene ein gutherziger Lehrer, der seinen Schülern vieles „schenkte“ und dadurch ihre Gunst erwarb? Mitnichten. Er war streng, und manch einer zitterte vor der Prüfung oder hatte an deren Ende das bittere Gefühl, versagt zu haben. Denn „Toni" verstand es meisterhaft, sein „Opfer“ mit immer neuen Fragen in die Enge zu treiben oder ihm endlich die richtige Antwort zu erpressen. Und doch blieb in solcherart geprüften Schülern kaum Groll zurück: sie anerkannten die geistige Überlegenheit ihres Lehrers, die strenge Forderung, die er an den Verstand stellte, seine Gerechtigkeit und Vornehmheit. — Viele ehemalige „Realschüler“ aber lernten in dieser Schule ihre Worte abwägen, diskutieren, ihre Meinung vertreten. Sie lernten, vereinfacht gesagt, denken. Dieses Denken aber war ausgerichtet nach dem Idealen, nach den höchsten Zielen des Menschen. Keineswegs weltfremd. Umfassendes Wissen auf allen Gebieten zeichnete Professor Neumann aus. Es befähigte ihn z. B., in beinahe jedem Fach zu supplieren. Deshalb auch wirkte er weit über die Schule hinaus. Er war begeisterter Alpinist, erfüllt von Liebe zur Natur, zu seiner zweiten Heimat, offen für das Schöne in jeder Gestalt. Auch diese Liebe zum Schönen und zur Natur suchte er in seinen Schülern zu wecken und zu erhalten. Neben Deutsch lehrte Professor Neumann Französisch. Gerade diese Sprache kam seiner intellektuellen Anlage sehr entgegen, gründet sie doch besonders stark auf Logik und verlangt Genauigkeit des Ausdrucks. Das bisher gezeichnete Bild wäre einseitig, wollte ich nicht des Vorgesetzten gedenken, der in schwerster Kriegszeit die Schule leitete. Wie ein älterer Kamerad, ohne für sich Vorrechte zu fordern, stand Direktor Neumann der Anstalt vor. Er verstand es, diese aus dem politischen Betrieb herauszuhalten, durchschaute er doch früh, er, der „Nationale", die Schwächen, ja die Brutalität des damaligen Systems. Toleranz war ihm selbstverständlich, obwohl er in seinem Leben sie von anderen nicht immer erfuhr. Mit Matthias Claudius möchte ich sagen: Ach, sie haben einen guten Mann begraben, Und mir war er mehr. Dr. Gunther Holub 45

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